Sechs

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Ich tauche als Erste bei Julie auf. Sie ist noch in der Küche beschäftigt, als ich an ihre Wohnungstür klopfe. „Oh, hi!", begrüßt sie mich. „Wie bist du reingekommen?"

„Hey. Die Tür unten steht offen, die geht gar nicht mehr zu."

„Schon wieder? Der Hausmeister wollte sich doch darum kümmern..." Sie führt mich ins Wohnzimmer, während sie weiterredet. „Ich wohne hier erst seit drei Wochen, und das ist schon das vierte Mal, dass die Tür klemmt." Sie deutet auf die Anlage, die auf einem Regal steht. „Hast du Musik mit?"

Ich nicke und lege ein paar CDs auf den Tisch. Es sind nur ein paar alte von Rihanna, Beyoncé und so weiter, ich höre sie eigentlich nie. Neugierig sehe ich durch Julies Sammlung von CDs, die sich neben der Anlage aufstapeln. Metallica, AC/DC, Motörhead... „Ich weiß, mein Musikgeschmack ist komisch. Passt einfach nicht zu 'ner Feier." Julie geht zurück in die Küche, während ich eine CD von Beyoncé einlege.

Wie selbstverständlich gehe ich zur Tür, als jemand anklopft. Es sind die anderen beiden Freundinnen, die Julie eingeladen hat. Sie stellen sich mir als Manuela und Nicole vor. Manuela hat Salat mitgebracht, Nicole ein paar Tischfeuerwerke. „Ich bin mir nämlich sicher, dass wir keine Raketen auf dem Balkon zünden dürfen", sagt sie und zwinkert mir zu.

„Ich habe extra den Hausmeister gefragt, ob Tischfeuerwerke erlaubt sind. Sind sie." Julie kommt mit ein paar Tellern aus der Küche und stellt sie auf den Esstisch. „Nicole, kannst du bitte kurz helfen, den Tisch zu decken? Komm her!"

Manuela und ich folgen unaufgefordert, um den beiden zu helfen. Julie hat einen Auflauf gemacht, von dem sie sagt, sie wisse auch nicht, wie er schmecke, da sie das Rezept zum ersten Mal ausprobiert hat. Ich muss allerdings sagen, dass sie eine ziemlich gute Köchin ist. Der Auflauf schmeckt fantastisch.

Während wir essen, stellt uns Julie einander vor. Sie erzählt davon, wie ich ihr im Café den Kaffee ausgekippt habe – ich werde rot und Nicole und Manuela beginnen zu kichern – und wie sie mich ins Kino mitgenommen hat, weil Nicole krank war. Nicole interessiert sich für alles, was mit Horror und Grusel zu tun hat, außerdem sammelt sie Ohrringe und sie hat einen Hund. Manuela ist ziemlich sportlich, sie spielt Tennis und Handball. Darüber hinaus schneidet und färbt sie ihre kurzen Haare selbst.

Mir fällt auf, dass Julie kaum von sich selbst spricht. Nach zwei Stunden habe ich das Gefühl, wirklich alles über Manuela und Nicole zu wissen, aber von Julie weiß ich bloß, dass sie vierundzwanzig Jahre alt ist, diese Wohnung erst vor drei Wochen bezogen hat und dass sie Metal hört.

Um zweiundzwanzig Uhr holt Julie Sekt und Wein und wir setzen uns aufs Sofa. Eine Stunde später lachen wir fast nur noch und Manuela schlägt vor, Wahrheit oder Pflicht zu spielen. Ich widerspreche zuerst, doch die anderen beachten das gar nicht, also mache ich mit. Die Flasche zeigt auf Julie und sie wählt Pflicht. Manuela überlegt kurz. „Du musst irgendwas in diesem Raum abknutschen", sagt sie grinsend.

Julie sieht sie skeptisch an. „Irgendwas? Also auch die Lampe?"

„Von mir aus auch deinen linken großen Zeh, ist mir egal. Irgendwas halt", antwortet Manuela und nimmt einen Schluck Sekt.

Julie sieht sich um und dann auf ihr Weinglas hinab. „Da ist eh schon Lippenstift dran...", murmelt sie. Irgendwas an dieser Situation ist so lächerlich, dass ich in lautes Gelächter ausbreche.

„Sorry, aber du willst gerade ein Glas küssen", grinse ich. Ich muss schon etwas angetrunken sein, denn normalerweise würde ich nicht über einen solchen Schwachsinn lachen.

„Tut mir leid, es war Manuelas Idee", entgegnet Julie, lacht aber auch. Ihr Atem riecht nach Wein. „Okay, bringen wir's hinter uns." Plötzlich packt sie mein Kinn, dreht mein Gesicht zu sich und presst ihre Lippen auf meine.

JulietWhere stories live. Discover now