Siebzehn

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Seit dem Vorfall in der U-Bahn habe ich mich nicht mehr getraut, Julie in der Öffentlichkeit zu küssen oder überhaupt Zuneigung zu zeigen. Wir sind nicht als Pärchen essen gegangen, sondern als gute Freunde. Ich wusste, dass ich noch nicht wirklich bereit dafür war, aber ich habe es versucht.

Glücklicherweise hat es die Beziehung zwischen uns beiden nicht beeinflusst. Wenn sich etwas geändert hat, dann nur, dass Julie jetzt noch besser auf mich aufpasst. Und das liebe ich. In ihrer Nähe fühle ich mich so sicher.

Simon habe ich schon davon erzählt. Er war schockiert und ich glaube, wenn er je den zwei Typen begegnen sollte, werden diese das nicht heil überstehen. Simon beschützt mich immer noch sehr, obwohl wir nicht mehr zusammen sind. Und er hat Julie eingeladen.

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass Simon mit meiner neuen Liebe einverstanden ist. Meine Erwartungen waren anders, ich hätte wirklich gedacht, er würde es nicht verstehen. Stattdessen hat er Julie zum Essen eingeladen und kocht sogar.

Ich wusste nichts von der Einladung. Zwar fand ich es seltsam, dass Simon unbedingt kochen wollte, aber habe ihm freie Hand gelassen. Dann klingelte es an der Tür und Julie stand dort, schüchtern lächelnd und mit einem Blumenstrauß in der Hand. Ich wäre beinahe vor Rührung in Ohnmacht gefallen.

Jetzt sitzen wir am Esstisch, Julie neben mir und Simon uns beiden gegenüber. Er unterhält sich angeregt mit Julie, während ich mit verhaltenem Grinsen dasitze und esse. Ich kann doch noch das ein oder andere über Julie in Erfahrung bringen, das ich vorher nicht wusste.

Irgendwann am Abend komme ich gerade von der Toilette wieder, als ich höre, dass Julie und Simon über mich reden. Ich bleibe im Flur stehen und lausche. „Du bist echt nicht... sauer oder so?", fragt Julie gerade.

„Warum sollte ich? Frauen sind eben eindeutig das schönere Geschlecht, und du und Alexa, ihr seid die besten Beispiele dafür." Beide lachen. „Ehrlich, ich habe überhaupt nichts dagegen. Wenn ihr beide euch liebt, kann ich da so oder so nichts dran ändern. Und ich liebe es, wenn Alexa glücklich ist."

Ich spähe ins Wohnzimmer. Julie sitzt auf der Couch und knabbert Salzstangen, Simon kommt gerade aus der Küche wieder. „Weißt du, ob ihre Familie davon schon weiß?"

„Ich glaube nicht. Aber gefragt habe ich sie noch nicht." Ich bekomme schon ein schlechtes Gewissen. Ob ich meinen Eltern und Schwestern schon sagen kann, dass ich eine Frau liebe, weiß ich nicht genau. Aber ich könnte ihnen wenigstens sagen, dass ich und Simon nicht mehr zusammen sind.

„Ich hab's ihnen noch nicht gesagt", sage ich und setze mich wieder zu Julie. Sie küsst mich kurz auf die Wange und sieht mich an.

„Ich würde sie gerne kennenlernen", sagt sie. Ein offensichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Kurz überlege ich, ob ich nein sagen soll, nur um sie zu ärgern. Aber der Blick aus ihren hübschen, grauen Augen hält mich davon ab.

„Ich kann sie fragen, ob wir vorbeikommen können." Ich überlege bereits, wie ich es meiner Familie am besten sagen kann, empfinde es allerdings als sinnlos, mir jetzt schon Sorgen zu machen. Ich werde Julie einfach mitbringen und Mama, Papa und meinen Schwestern dann sagen, dass ich sie liebe. Es wird einfacher sein, wenn ich Julie bei mir habe.

Während ich noch in Gedanken bin, legt Julie die Salzstangen weg, umarmt mich und drückt mich an ihren weichen Körper. Ich schmiege den Kopf an ihre Schulter und küsse sie auf den Hals. Mir ist es nicht mehr unangenehm, das auch vor Simons Augen zu machen.

Der Rest des Abends vergeht ruhig. Wir reden die ganze Zeit über Gott und die Welt, während ich in Julies Armen liege, und sie mich ab und an sanft küsst. Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem ich mich auch ohne Angst in der Öffentlichkeit so mit Julie zeigen kann.

Es ist schon sehr spät, als sich Julie schließlich verabschiedet. „Bis bald, Kleine", sagt sie. Wir küssen uns noch einmal, dann geht sie.

JulietWhere stories live. Discover now