Acht

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Ich wache auf der Couch auf. Müde blinzelnd sehe ich auf. Ich liege in Julies Wohnzimmer und mein Blick ist direkt auf die Wohnungstür gerichtet. Manuela und Nicole sind gerade dabei zu gehen. „Tschüss", sagt Manuela leise.

„Julie schläft noch, wir wollten euch nicht wecken", sagt Nicole. Mit diesen Worten gehen die beiden. Minuten später höre ich, wie im Nebenzimmer – wahrscheinlich das Schlafzimmer – Julie aufwacht und in die Küche schlurft. Kurz danach steht sie nur in Unterwäsche und mit einem alten Shirt im Wohnzimmer, eine Tasse in der Hand.

„Morgen", murmelt sie und lässt sich zu mir aufs Sofa fallen. Ich dachte eigentlich, dass sie Kaffee in ihrer Tasse hat, aber es riecht nach Kakao. „Willst du auch einen?", fragt sie mich, als ich auf ihre Tasse starre.

„Nee, danke." Als ich mich aufrichte, sehe ich violette Flecken überall. Ich blinzele ein paar Mal, bis das unangenehme Schwindelgefühl weg ist und mein Blick wieder klar ist. Die Kopfschmerzen bleiben trotzdem.

Jetzt, wo ich Julie direkt gegenüber sitze und ihr in die Augen sehen kann, bekomme ich wieder dieses seltsame Gefühl von gestern, dieses Gefühl von Unsicherheit in ihrer Nähe. Auch wenn ich sehr sicher bin, dass sie jetzt keine ihrer seltsamen Überraschungen veranstalten wird, weil sie zu müde ist, bin ich ziemlich nervös. Ihre freie Hand liegt auf meinem Knöchel und ein für mich ungewohntes, warmes Gefühl geht von dieser Berührung aus. Sonst habe ich das Gefühl nur in Simons Gegenwart gespürt.

Julie sieht gedankenverloren in ihre Tasse und nimmt ihre Hand von meiner Haut, um sich am Kopf zu kratzen. Auf eine eigenartige Art freue ich mich, dass sie mich losgelassen hat. Ihre Nähe bringt mich nur durcheinander.

Um mich abzulenken, sehe ich durch den Raum. Es hat sich nicht viel verändert seit gestern Abend, die leeren Gläser stehen noch immer auf dem Tisch und ein paar gezündete Tischfeuerwerke liegen auf dem Boden. Mein Blick bleibt wieder am Regal mit den CDs hängen. Vor ein paar Tagen, als ich Julie im Café das erste Mal gesehen habe, hätte ich nicht erwartet, dass sie so etwas wie Metallica und Slayer hört.

„Willst du noch länger hierbleiben?", fragt Julie in die Stille hinein.

„Willst du mich loswerden?", entgegne ich.

„Nein, das nicht, aber ich muss wissen, ob ich Mittagessen für zwei machen soll." Ich schiele zur Uhr. Es ist tatsächlich schon halb zwölf.

„Danke, aber nein. Ich gehe gleich wieder nach Hause, mal sehen, wie stark die Wohnung verwüstet wurde." Wir beide kichern müde. Zuerst will ich noch etwas über Simon sagen, aber dann fällt mir wieder ein, wie kalt Julie immer auf das Thema Freund reagiert. Und die ruhige Stimmung ist viel zu schön, als dass ich sie jetzt schon beenden möchte.

„Weißt du was?", murmelt Julie. „Eigentlich habe ich nie an so etwas wie Liebe auf den ersten Blick geglaubt..." Ich setze mich aufrecht hin und rücke die Kissen in meinem Rücken zurecht, sodass ich bequem sitze. Jetzt spricht sie dieses Thema an, das ich vorsichtshalber gemieden habe. Meine Neugier ist geweckt, ich würde so gerne wissen, auf was für Männer Julie steht.

Im Café neulich wirkte sie sehr professionell, ich glaube, ein Business-Typ würde gut zu ihr passen. Jetzt, wo ich sie allerdings privat kenne – also relativ – würde ich sagen, dass sie sich in Gegenwart von solchen Leuten sehr wahrscheinlich eingeengt fühlen würde. Ein Abenteurer-Typ würde doch besser zu ihr passen.

Woher nehme ich mir eigentlich das Recht, über ihre Liebe zu urteilen? So gut kenne ich sie auch wieder nicht. Sie ist mir vor nicht einmal einer Woche zum ersten Mal begegnet. Ich verscheuche sämtliche Gedanken und sehe wieder zu ihr hinüber, gespannt darauf, was sie mir jetzt sagen wird und ob ich mit den Vermutungen richtig liege.

Julie nimmt einen Schluck Kakao und sieht mir dann direkt in die Augen. „Und dann habe ich dich gesehen", vervollständigt sie ihren Satz.

JulietWhere stories live. Discover now