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Kapitel 9

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Josh und ich hatten die Landstraße hinter uns gelassen und bogen auf die Hauptstraße am Ufer der Themse ein. Es wirkte bei fortgeschrittener Dämmerung schon fast ein wenig unheimlich, wie das Wasser im Halbdunkel glitzerte. Die Tatsache, dass ich mit Josh dort entlangging, entschädigte mich jedoch für alles. Selbst mein verlorenes Handy war nicht mehr ganz so wichtig.

„Vermisst du dein altes zu Hause in Deutschland?", wollte Josh wissen und ich spürte, wie er mich von der Seite musterte.

„Ich komme besser zurecht, als ich befürchtet hatte, aber ich vermisse meine beste Freundin sehr", gab ich wahrheitsgemäß zurück. Am liebsten hätte ich ergänzt, dass mein Arrangement mit der Situation zu einem großen Teil an ihm lag, aber das verkniff ich mir.

„Wann seht ihr euch wieder?" Joshs Stimme war sanft und sein Interesse schmeichelte mir. Er war ganz anders als die Typen, die ich bisher kennengelernt hatte.

„Sie wird mich wahrscheinlich in den Ferien besuchen kommen", gab ich zurück, während ich mich schon sehr auf das baldige Wiedersehen freute.

Als wir ungefähr die Hälfte der Strecke hinter uns gebracht hatten, blieb Josh plötzlich stehen. „Was machst du?", fragte ich irritiert und versuchte seinen Blick zu deuten.

„Pass auf, ich zeig dir was", antwortete er geheimnisvoll, während ein leichtes Grinsen seine Lippen umspielte. Mittlerweile waren wir von Dunkelheit umgeben und nur der Mond spiegelte sich im Wasser der Themse wider.

Völlig unvermittelt nahm Josh meinen Arm und zog mich vor ihn. Unser Blick war auf das Wasser gerichtet.

„Wenn du dich konzentrierst, kannst du das andere Ufer sehen oder?", wollte er wissen. Der Klang seiner Stimme sorgte dafür, dass sich eine Gänsehaut auf meinen Armen bildete. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen.

„Kannst du den Turm sehen?", durchbrach er erneut die Stille und tatsächlich, auf der anderen Seite konnte ich die Konturen eines Turmes ausmachen.

„Ich denke schon ... Brennt dort Licht?"

„Das ist der alte Leuchtturm von Greenwich. Nach einem Brand vor einigen Jahren wurde er gesperrt", erklärte Josh und seine Stimme war nun nicht mehr, als ein gruseliges Flüstern. Fuck! Wollte er mir Angst machen?

„Aber wieso brennt dann Licht in dem Turm?", gab ich angespannt zurück. Er machte es wirklich spannend.

„Die Leute erzählen sich, dass es dort spukt", hauchte Josh in mein Ohr.

„Das glaubst du doch selbst nicht", versuchte ich möglichst unbeeindruckt zu kontern, aber er hatte es tatsächlich geschafft, mir mit seiner Erzählung etwas Angst einzujagen.

Josh ließ meinen Arm los und zuckte grinsend mit den Schultern. „Es ist nur eine Geschichte", lachte er anschließend und schaute mich dabei amüsiert an.

„Warst du schon mal dort drüben?", bohrte ich weiter nach und deutete mit einem Nicken in Richtung Leuchtturm.

„Tom und ich waren schon ein paar Mal da, aber Geister haben wir bisher keine entdecken können", erwiderte Josh, während das Grinsen in seinem Gesicht immer größer wurde. Anscheinend wirkte meine Reaktion ziemlich belustigend auf ihn.

„Woher kommt denn das Licht, wenn der Turm außer Betrieb ist?" Mein Blick war noch immer auf die andere Seite des Flusses gerichtet.

„Als wir dort waren, haben wir zwar niemanden getroffen, aber es ist echt viel Zeug im Turm. Anscheinend hängen dort öfter mal Leute rum", erklärte Josh mit einem Schulterzucken, während wir unseren Weg langsam fortsetzten.

Wir hatten mein Haus fast erreicht und insgeheim war ich etwas traurig, dass der unverhoffte Abend mit Josh nun gleich vorbei sein würde. „Woran denkst du?", wollte Josh wissen. Ich fühlte mich bei meinem Gedankengang ertappt.

„Ich habe gerade daran gedacht, dass meine Mum mich gleich töten wird", gab ich gespielt witzig zurück. Bei dem Gedanken an meine Mutter wurde mir schlecht. Wahrscheinlich hatte sie sich riesige Sorgen gemacht. Eigentlich wäre ich schon längst zu Hause gewesen, weshalb sie mit Sicherheit schon mehrmals versucht haben musste, mich telefonisch zu erreichen.

„Sie wird dir schon nicht den Kopf abreißen", versuchte Josh beruhigend auf mich einzureden. Er hatte meine Angespanntheit anscheinend bemerkt. Ich nickte zustimmend, aber gleichzeitig wurde mein schlechtes Gewissen immer größer.

„Hier ist es", erklärte ich Josh schließlich und deutete mit einer Handbewegung auf unser Haus. Im Wohnzimmer brannte Licht, das konnte ich bereits durch das Fenster sehen.

„Soll ich mit an die Tür kommen und deiner Ma erklären was passiert ist?", bot Josh überraschenderweise an, woraufhin ich sein Angebot tatsächlich für einen Moment in Erwägung zog.

„Ich mach das schon", wiegelte ich dann doch ab. Ich wollte nicht riskieren, vor Josh eine peinliche Auseinandersetzung mit meiner Mum auszudiskutieren.

„Okay", entgegnete er verständnisvoll und ohne groß darüber nachzudenken, umarmte ich ihn zum Abschied. Zu meiner großen Erleichterung erwiderte er die Berührung. Erneut stieg mir der leicht herbe Geruch seines Parfums in die Nase und ich schloss für einen Moment die Augen. Es war nur ein kurzer Augenblick, aber es fühlte sich wie eine kleine Ewigkeit an.

Bevor Josh sich von mir verabschiedete, warf er mir noch ein Grinsen zu und verschwand in der Dunkelheit.

Mia - Between Love and LiesWhere stories live. Discover now