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Kapitel 10

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Mit Herzklopfen steckte ich meinen Schlüssel in das Schloss, aber noch bevor ich ihn umdrehen konnte, riss meine Mum bereits die Tür auf.

„Wo warst du?", wollte sie aufgeregt wissen. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie auch schon fort: „Weißt du eigentlich wie spät es ist? Warum bist du nicht an dein Handy gegangen?"

Ich wollte gerade etwas erwidern, da bemerkte ich die Tränen in ihren Augen. Fuck!

„Es tut mir leid, ich habe mein Handy verloren. Sonst hätte ich dich doch schon längst angerufen", versuchte ich sie zu besänftigen und hoffte, sie würde sich schnell wieder beruhigen. Immerhin war es tatsächlich nicht mein Verschulden.

„Du hast dein Handy verloren?", wiederholte sie meine Aussage fassungslos, während sie mich skeptisch betrachtete. Anscheinend hatte sie diese Möglichkeit vor Sorge gar nicht in Betracht gezogen.

„Nachdem ich dir geschrieben habe, muss ich es wohl verloren haben. Ich habe es überall gesucht, aber leider ohne Erfolg. Es tut mir wirklich leid", antwortete ich mit gesenktem Blick. Ich hasste es, wenn sie sich sorgte. Sie hatte einfach Angst, mich auch noch zu verlieren.

„Und wieso bist du erst jetzt nach Hause gekommen?"

„Ich bin zu Fuß gelaufen", erklärte ich ihr wahrheitsgemäß. Mir war jedoch bewusst, wie absurd sich meine Geschichte für sie anhören musste.

„Du gehst zu Fuß von der Schule nach Hause, obwohl es bereits dunkel ist und du dich noch gar nicht richtig in der Umgebung auskennst?", erwiderte meine Mum mit entsetztem Blick. Seitdem mein Dad uns verlassen hatte, war sie in der Tat überängstlich geworden.

„Ich ...", begann ich, aber sie gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich schweigen sollte.

„Am besten du gehst jetzt in dein Zimmer und wir reden morgen in Ruhe darüber. Gute Nacht." Mit diesen Worten hatte sie sich auch schon abgedreht und war im Wohnzimmer verschwunden.

Als ich endlich im Bett lag, dachte ich über meine erste Schulwoche hier in Greenwich nach. In der kurzen Zeit war wirklich viel passiert. Josh war passiert. Natürlich war ich auch froh darüber, in Jessica eine Freundin gefunden zu haben und insgesamt fühlte ich mich tatsächlich wohl hier. Wer hätte das gedacht? Ich mit Sicherheit nicht. Der heutige Tag war auf jeden Fall mein persönliches Highlight. Zwar stimmte mich der Gedanke an mein Handy immer noch sehr traurig, aber immerhin hatte mir dieses Unglück Zeit mit Josh beschert. Er hatte mich sogar nach Hause gebracht. Bei dem Gedanken an unsere Umarmung zum Abschied huschte mir ein Lächeln über die Lippen.

****

Durch ein lautes Klirren wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Was war das? Ich setzte mich aufrecht hin, um besser hören zu können, woher das Geräusch gekommen war. Im Stockwerk unter mir vernahm ich Mums Stimme. Sie diskutierte lautstark. Mit wem redet sie da bloß?

Da ich auf der Stelle hellwach war, stieg ich leise aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen aus meinem Zimmer. Am Treppenabsatz blieb ich stehen und lauschte angestrengt in Richtung Erdgeschoss. Ein erneutes Klirren ließ mich augenblicklich zusammenzucken. So wie es sich anhörte, war sie gerade dabei unser Geschirr auf dem Fußboden zu verteilen. Angestrengt versuchte ich zu verstehen, mit wem sie da wohl telefonierte, während mich eine dunkle Ahnung beschlich.

Mit leisen Schritten nahm ich die ersten Stufen abwärts und blieb auf der Mitte der Treppe stehen. „Du spinnst wohl, Oliver!", rief meine Mum außer sich. Ich konnte an ihrer Stimme hören, dass sie geweint hatte. Meine Vorahnung bestätigte sich, sie telefonierte tatsächlich mit meinem Dad. Diese Information reichte mir und ich nahm zwei Stufen auf einmal, um wieder möglichst schnell in meinem Zimmer verschwinden zu können.

Ich fragte mich, was er plötzlich von uns wollen könnte und ließ mich wütend zurück in mein noch immer warmes Bett sinken. Seit über vier Monaten gab es keinerlei Kontakt zu meinem Dad. Er hatte sich für seine Arbeitskollegin entschieden, also sollte er uns gefälligst in Ruhe lassen. Ein Blick auf die Uhr über meinem Türrahmen verriet mir, dass es erst kurz nach acht war. Es war Samstag und normalerweise würde ich noch schlafen.

Als endlich Stille im Wohnzimmer eingekehrt war, beschloss ich, nach dem Rechten zu sehen. Ich begab mich ins Erdgeschoss und öffnete vorsichtig die Tür. Meine Mum sammelte gerade die Scherben ihrer Kaffeetasse vom Fußboden auf. „Mum?", fragte ich vorsichtig, woraufhin sie sich langsam zu mir umdrehte. Ihre Augen waren vom Weinen ganz aufgequollen.

„Was ist los?", wollte ich umgehend wissen, während ich mich hinhockte, um ihr beim Scherben aufsammeln zu helfen.

„Dein Vater hat sich von seiner Freundin getrennt und ist der Meinung, dass wir wieder eine Familie werden!", rief sie außer sich. Es dauerte einen Moment, bis die Bedeutung ihrer Worte vollends zu mir durchgedrungen war.

„Bitte was?", entgegnete ich völlig geschockt. Wir hatten uns gerade hier eingelebt, da konnte er doch nicht mit einem Anruf alles zunichtemachen. „Wie stellt er sich das denn vor?", wollte ich vorsichtig von ihr wissen. Sie zitterte am gesamten Körper, der Anruf hatte sie sichtlich aufgewühlt.

„Ich habe ihm gesagt, dass er spinnt", entgegnete sie schon etwas gefasster. Das war genau der Teil des Telefonates, den ich belauscht hatte, aber das behielt ich natürlich für mich. Das Verhältnis zu meinem Dad war nie besonders innig gewesen, er war oft geschäftlich unterwegs und nur selten zu Hause.

„Und jetzt?", hakte ich besorgt nach und hoffte, meine Mum würde sich nicht wieder von ihm einwickeln lassen.

„Es gibt kein Zurück mehr für uns als Familie", entgegnete sie mit fester Stimme. Ich nickte zustimmend und mir fiel ein Stein vom Herzen. Denn ich hatte wirklich keine Lust darauf, dass sich schon wieder alles ändern würde.

„Mir tut es leid, dass du dir gestern Sorgen gemacht hast", begann ich nach einer kurzen Redepause. Ich schuldete ihr noch eine Entschuldigung.

„Schon in Ordnung. Ich hatte einfach Angst, dass dir etwas zugestoßen sein könnte und habe in meiner Sorge überreagiert", entgegnete sie und schloss mich unvermittelt in ihre Arme.

Ich war froh, dass sich die Wogen so schnell geglättet hatten und beschloss, nach dem Frühstück mal auf meinem Handy anzurufen. Vielleicht wurde es ja irgendwo abgegeben. Große Hoffnung hatte ich zwar nicht, aber zu meiner Verwunderung war tatsächlich ein Freizeichen zu hören. Nach ein paar Sekunden wurde das Gespräch entgegengenommen.

„Hallo?", fragte ich in die Stille hinein.

Keine Antwort.

„Ich habe gestern mein Handy verloren und hätte es wirklich gerne zurück", versuchte ich es erneut.

Aber alles, was ich hörte, war ein leises Atmen am anderen Ende der Leitung, bis die Person auflegte und mich verwirrt zurückließ.

Mia - Between Love and LiesWhere stories live. Discover now