Ein Schleier der Trägheit hält mich in seinen Klauen gefangen. Dumpfe Übelkeit und Kopfschmerzen jagen abwechslungsweise durch meinen Körper, als ob er sich nicht entscheiden kann, was stärker ist. Meine Ohren sind ganz taub, nur schwache, verzerrte Geräusche dringen an mein Trommelfell, sodass ich mir wünsche, Stille würde mich erneut überkommen.
Äussere Merkmale meines Körpers bemerke ich erst später. Aber dann wird mir bewusst, dass meine Hände und Füsse gefesselt sind, denn ich kann mich kaum bewegen. Vermutlich mit einem nicht besonders hautverträglichen Seil, da ich die brennenden Wunden an meinen nackten Hautgelenken spüre.
Das ist der Moment, als mich blanke Panik ergreift. Nie im Leben war ich zuvor so ängstlich. Und weil ich aus irgendeinem Grund meine Augen nicht öffnen kann, und deshalb vollkommen blind bin, wird alles noch schlimmer.
Einige meiner Sinne sind ganz offensichtlich eingeschränkt, also versuche ich die restlichen, noch funktionierenden zu aktivieren. Was mir schliesslich gelingt: Ich höre nach langer Anstrengung Vogelgezwitscher, rieche Erde, Tannennadeln und brennendes Holz. Der Rauch des Feuers brennt in meinem Hals, sodass ich mich anstrengend muss, nicht lautstark zu husten.
Ich muss in einem Wald sein. Denn nicht nur die Umgebung, - jedenfalls was ich davon wahrnehmen kann - hört sich so an, sondern auch der Boden unter meinem bewegungslosen Körper fühlt sich hart und körnig an. Genauso, als ob man flach auf dem Boden unter Blättern, Stöcken und Steinen liegen würde.
Auf einmal atme ich tief, reflexartig und fast schon hysterisch ein, als ob ich mehrere Minuten unter Wasser ohne Sauerstoff verbracht hätte. Gleichzeitig öffne ich die Augen, ebenso überraschend und verängstigt. Ich sehe mich hektisch um: Tatsächlich befinde ich mich in einem wild aussehenden Wald, der wohl kaum von einem Förster betreut wird. Wobei ich allerdings auf einem kleinen Stück sauberen Teil liege, welches frei von jeglichem wild wucherndem Gestrüb ist.
Wo, um Himmelswillen, bin ich?
Für mich sieht es aus wie jedes andere beliebige Stück Wald, was durchaus verständlich ist. Da ich in einer Großstadt aufgewachsen bin, kann ich wohl kaum einen Wald von einem anderen unterscheiden. Und die Orientierungslosigkeit, die ich hier empfinde, verstärkt meine Panik bloss noch.
Schnell setze ich mich auf, zu schnell, denn von der hektischen Bewegung muss ich mich augenblicklich übergeben.
Ich gebe ganz widerliche, erbärmliche Geräusche von mir, die wenigstens nicht allzu lange anhalten. Schnell habe ich mich wieder im Griff und richte mich auf.
Als erstes sehe ich das offene Feuer, dessen Hitze bis zu mir vordringt, obwohl es glatt sechs Fuss von mir entfernt ist. Daneben ist eine grüne, wasserdichte Plane an Zeltstangen aufgespannt. Darunter liegen Schlafmatten, Decken und sogar kleine Kissen. Rücksäcke liegen ebenfalls unter dem grossen Unterschlupf, deren Inhalt zur Hälfte auf dem Boden verteilt liegt. Ich kann einige Kleidungsstücke an einer Leine, zwischen zwei Bäumen gespannt, sehen, halbgesäuberte Essschalen und Trinkflaschen.
Ich frage mich, wem dieses ganze Zeug gehört und wer wohl so lebt. Es sieht aus, als hätten sie genug Zeug dabei um eine Weile in der Wildnis auszukommen ohne auf Aussenstehende angewiesen zu sein.
Na wunderbar.
Ich versuche mich angestrengt um mich selbst zu drehen, damit ich mir einen Überblick verschaffen kann. Jedoch gelingt es mir nicht wirklich, da ich an Händen und Füssen an einen Baum gefesselt bin. Aber ich kann erkennen, dass ich momentan alleine bin. Wie nachlässig eine Gefangene alleine im Wald zurückzulassen...
Als Fionn und ich uns auf den Weg machten, waren wir selbstverständlich bewaffnet. Reichlich. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass meine Entführer mir diese in meiner unmittelbaren Reichweite gelassen haben.
Aber wenn es Kämpfer sind, bedeutungslos ob Söldner, Verräter oder tatsächliche Soldaten, dann haben sie die Waffen behalten. Als Trophäen oder um sie selbst zu benutzen, spielt ebenfalls keine Rolle.
Vielleicht habe ich Glück und sie sind hier noch irgendwo.
Erneut schaue ich mich um, aber abgesehen von dem provisorischen Lager kann ich nichts weiter entdecken. Ich frage mich unwillkürlich, wieso diese Idioten diesen Platz ausgewählt haben als geeigneten Unterschlupf? Es scheint überhaupt nicht danach.
Nun, ihre Dummheit und gewiss auch Unwissenheit wird jedenfalls zu meinem Vorteil sein.
Ich versuche mich angestrengt zu konzentrieren, was schwieriger ist als erwartet, da noch immer Spuren der Droge in meinem Körper festhängen. Ich atme tief durch, lasse frischen Sauerstoff durch jede Faser meines geschändeten Körpers gleiten und suche dann auf dem Grund des Waldbodens nach einer potenziellen Waffe.
Ich taste den mit Blättern und Tannennadeln bedeckten Boden mit meinen gefesselten Händen ab, bis diese einen einigermassen spitzen Stein ertasten. Ich ziehe ihn unter dem Blätterdach hervor, nehme ihn genauer unter Augenschein und entscheide, dass er für meine verzweifelten Umstände ausreichen muss.
Dann setze ich die am scharfkantigste Seite an den Seilen an, wobei ich meine Handgelenke unangenehm verdrehen muss, und beginne, eine gleichmässige Bewegung entlang der ineinander verlaufenden Fasern auszuüben.
So sollte es mir am schnellsten gelingen, die Seile zu durchtrennen. Dabei stellt sich mir das erste Mal die Frage, wieso diese Genies mich mit Seilen fesseln... Kabelbinder wären weitaus schwieriger zu kappen gewesen.
Die Überbleibsel der Seile bröckeln auf meinen Schoss. Während meiner hektischen aber doch genauen Arbeit, schaue ich mich immer wieder um. Falls diese Männer zurückkehren und mich erwischen, wie ich zu flüchten versuche, werden das sicherlich keine besonders schönen Folgen geben.
Doch es scheint alles ruhig zu sein, denn ich kann weit und breit nichts weiter hören, als die Geräusche des Waldes und dessen natürlichen Bewohner. Was eine glückliche Sache ist, denn nach wenigen weiteren Minuten sind meine Handfesseln durchtrennt und meine Hände sind frei.
Meinem ersten Instinkt folgend bewege ich die steifen Finger, um sie aufzulockern. Es fühlt sich wunderbar an. Um nicht noch mehr Zeit zu verschwenden, reisse ich geschwind an den Fesseln meiner Fussgelenke und binde diese schliesslich auf.
Langsam erhebe ich mich, mir bewusst, dass mein Körper wohl lange Zeit in einer liegenden, sehr steifen Position verharrt geblieben ist und ich ihn nicht überfordern darf. Jedenfalls nicht zu Beginn.
Ich mache einige verunsicherte Schritte in eine Richtung, teste meine steifen Muskeln und Sehnen aus und dehne mich in alle Himmelsrichtungen. Als ich mir meiner Kräfte anschliessend einigermassen sicher bin, gehe ich auf das Lager der Entführer zu.
Sie haben ihre Rucksäcke unverschlossen liegen lassen. Neben dem einen liegt ein schwarzer Stoffbeutel, der bis zum Rand gefüllt zu sein scheint. Mein Interesse ist geweckt, also greife ich danach und sehe mir seinen Inhalt genauer an. Wie ich vermutet habe, haben sie meine Waffen behalten, denn sie befinden sich darin.
Ich grinse, beinahe euphorisch aufgrund ihrer übermannenden Dummheit und hole mir mein Eigentum zurück. Im Beutel, ganz unten auf dem Boden, finde ich schliesslich auch meine Kette. Ich erschrecke fast, als ich sie sehe und ziehe sie mit hektischen Bewegungen über meinen Kopf. Wenn ihr etwas zugestossen wäre, wenn sie kaputt wäre, dann könnte ich nie wieder in der Zeit springen... Zumal ich nicht einmal weiss, ob ich mich überhaupt noch in der Gegenwart befinde.
Ich verstecke den Anhänger unter meiner Kleidung, was mir Sicherheit gibt und richte mich dann auf.
Bis auf die Knochen bewaffnet, suche ich den Wald nach möglichen Störfaktoren ab. Und als ich ein unnatürliches Knacken, gemurmelte Stimmen und darauf folgendes Gelächter höre, stutze ich.
Sie kommen zurück.
DU LIEST GERADE
Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...