Sprung in die Vergangenheit

1.4K 129 1
                                    

Ich bin kleiner und leichter, dadurch auch flinker als diese Muskelprotze, die hinter mir herjagen. Das ist ein unbestrittener Vorteil und ich komme gut voran. Vor allen Dingen ist der Eine verletzt, sodass dieser weit zurückbleibt.

Einige Male ertönen Schüsse, jedoch sind diese wohl absichtlich weit daneben geschossen und sollen nur meiner Irritation dienen. Allerdings lasse ich mich nicht von der Aussicht ablenken, von diesen primitiven Wilden wegzukommen.

Ich laufe im Zickzack, als würde ich ein wildes Tier loswerden wollen. Dabei weiss ich nicht einmal, weshalb ich das mache. Irgendwann, als ich das Rauschen des Laubes ihrer Stiefel nicht mehr hinter mir wahrnehmen kann, halte ich inne. Ich drehe mich mit hoch erhobenen Waffen um, um mich im schlimmsten Fall direkt verteidigen zu können.

Es ist keiner zu sehen. Ich sehe mich um, da ich irgendwie hier rauskommen muss. Aber ich kann nichts weiter sehen als die Weiten des Waldes. Erneut sehe ich in den Himmel hinauf.

Ich muss erneut einen Baum hinauf klettern, denke ich. Jedoch dieses Mal ganz nach oben, sodass ich mir einen Überblick verschaffen kann und erkenne, in welche Richtung ich gehen muss.

Doch ich komme gar nicht dazu, denn noch bevor ich einen weiteren Schritt tun kann, spüre ich kalten Stahl gegen meinen Hinterkopf drücken. Es klickt, sodass ich weiss, dass die Waffe geladen ist. Ich rühre mich keinen Zentimeter mehr und gehe in Gedanken schon alle möglichen Fluchtmöglichkeiten durch.

»Keinen verdammten Schritt mehr weiter«, raunt jemand in tiefer, aggressiver Stimme. »Du kannst einem wirklich auf die Nerven gehen, weisst du das?«

Ich antworte selbstverständlich nicht. Die Annahme, dass mich zu wehren und von denen davon zu laufen, nervig ist, ergibt keinen Sinn. Aber ich lasse das mal so stehen.

»Komm runter, du Idiot. Wegen deiner Schwachsinnigkeit hätten wir beinahe unser einziges Druckmittel gegen diese verdammte schottische Plage verloren. Jetzt nimm die gottverdammte Pistole herunter, sie weiss, dass wir sie nicht erschiessen.«

Wow, wenigstens einer von diesen Armleuchtern scheint so etwas Ähnliches wie ein Gehirn zu haben, denke ich genervt. Trotz des offensichtlichen Fehlens ihrer Intelligenz, sieht die Situation für mich dennoch so aus, als ob sie mich erneut in ihre Gewalt bringen. Ich muss einen anderen Ausweg finden.

Ich überlege, überlege und überlege... Und dann greift meine Hand wie automatisch nach dem Anhänger unter meiner Kleidung. Ich ziehe ihn heraus, drehe ihn in den Fingern und lasse die Kühle des Materials auf mich wirken. In vielen schwierigen Situationen war die Flucht in die Vergangenheit und der eine Sprung durch das Raum-Zeit-Kontinuum meine Rettung. Meist emotionaler Art, aber ein zwei Mal auch Physischer.

Ich schliesse die Augen, presse sie so fest zusammen wie ich nur kann, und versuche mich auf einen Punkt in der Ferne zu konzentrieren. Ich sehe nichts, doch ich fühle es in meinem Inneren. Ich denke an die Empfindungen während eines Sprungs, wie es sich anfühlt, sich selbst und die physische Materie in der Zeit zu verlieren und dann passiert etwas komplett verrücktes. Denn ich springe tatsächlich.


Scottish Borders, Scotland 1765

Ich falle aus der Luft, wie ein Ast der von seinem Baum abbricht. Nur viel schwerer, sodass ich flach auf den Boden falle und mir dabei den Kopf aufschlage. Es schmerzt so sehr, dass ich sofort die Hand an die Stelle hebe. Meine Finger sind bereits mit Blut besudelt. Ich seufze schwer. Das hat mir gerade noch gefehlt.

Ich stehe auf, langsam, weil ich befürchte, dass mir ansonsten schwindlig wird. Dann erst bemerke ich, dass ich auf einem durch Stiefel platt getretenen Pfad gelandet bin. Er scheint aus dem Wald hinauszuführen, also entscheide ich mich sofort, ihm zu folgen.

Langsam gehe ich auf unsicheren Beinen durch den Wald, in dem es bereits düster wird. Der Himmel verfärbt sich langsam, doch unter dem Blätterdach wirkt es gleich dunkler. Ich will unbedingt vor Anbeginn der Nacht hier rauskommen, ansonsten muss ich mich die gesamte Nacht im Wald durchschlagen.

Als ich nach ungefähr zwanzig Minuten der Stille und des müden Schritts, Stimmen wahrnehme, bin ich mir nicht sicher, ob das Glück oder Unglück bedeutet. Ich lasse mir alle möglichen Szenarios durch den Kopf gehen, denn immerhin kann das tödlich enden. Ich weiss nicht, in welcher Zeit ich gelandet bin, wo ich bin, noch wer da auf mich zukommt. Wenn es irgendwelche Wilden sind, oder noch schlimmer, Engländer, dann bin ich vermutlich schneller tot als ich hier her geschleudert wurde.

Dennoch sehe ich keine andere Möglichkeit, als mich darauf zu verlassen, dass mein Schicksal es gut meint und nette, verarmte Dorfbewohner in meine Arme treibt, die sich meiner annehmen.

Dann kommt es jedoch trotzdem anders: Einige, in dunkelblaue Umhänge gekleideten, eher ältere Männer kommen um die Biegung, die der Pfad einschlägt. Sie haben einen dicken, vollbepackten Esel dabei, der ihre Vorräte zu tragen scheint. Sie unterhalten sich leise und einige halten Fackeln in die Höhe, die in der Düsternis des Waldes sanftes Licht spenden.

Ganz unvermittelt und wie vom Blitz getroffen, bleibe ich mitten auf dem Pfad stehen und warte darauf, bis sie mich entdecken.

»Oh«, macht der wohl am ältesten aussehende dieser Reisenden. Er bleibt ebenfalls stehen und sieht mich verwundert an. Aber irgendwie sieht er dabei nicht besonders überrascht aus, oder verängstigt. »Wen haben wir denn da?«

Seine Gefährten werden aufgrund der Worte mir gegenüber still, folgen seinen Blicken und nehmen mich ebenso skeptisch unter die Lupe. Einen Moment ist es komplett still, niemand sagt auch nur ein Wort, aber dann passiert etwas merkwürdiges.

»Geht es Euch gut, Mylady?«, fragt jener, der am Kopf der Gruppe steht. Er blickt mich vollkommen ruhig an, seine Augen sehen vertrauenswürdig aus und er scheint mich beruhigen zu wollen.

»Was...?«, stammle ich durcheinander.

»Ihr seid doch eine Zeitenwanderin, nicht wahr? Geht es Euch gut? Ihr seid ganz offensichtlich verletzt«, fährt er fort. Ich bin mir nicht sicher, ob er bemerkt, wie verwirrend das Ganze für mich ist. Woher weiss er denn, was ich bin?

»Mir geht es gut, danke. Kennen wir uns?« Möglicherweise wurde ich im Verlauf der letzten Wochen einmal bewusstlos geschlagen und in eine andere Zeit entführt, sodass mich diese mir fremden Menschen bereits kennen und ich mich bloss nicht daran erinnern kann.

Der Mann lächelt und auch auf die Gesichter der anderen tritt ein Schmunzeln. »Nun, Ihr tragt das Medaillon, so wie alle Zeitenwanderer. Und ich erkenne den Anhänger wieder: Ihr müsst demnach der noch lebende Spross unserer längst verstorbenen Königin sein«, erklärt dieser. Ich habe noch nie davon gehört, dass unsere Ketten als Identifizierung gedacht sind. »Ihr seid uns hier willkommen, Hoheit. Wie es der Zufall will, sind wir gerade unterwegs in einen unserer Zufluchtsorte. Ich glaube, es wäre notwendig Eure Kopfwunde zu säubern und zu verbinden.«

»Was soll das bedeuten? Wer seid ihr denn?«

Nun sind diese überaus freundlichen Männer das erste Mal irritiert über meine Aussage. Sie sehen sich einige Male untereinander verwirrt an, bevor ihr Anführer erneut das Wort ergreift. »Wir sind der Geheimbund der Clans, Mylady. Wir sind seit Jahrhunderten mit der Existenz Ihresgleichen vertraut und helfen in dem Sinne aus, falls Dinge wie diese passieren. Zudem sind wir mit der vertraulichen Information betraut, wer Ihr seid und woher Ihr kommt.«

Ich sehe sie baff an. Das kann doch jetzt wirklich nicht wahr sein, wie geheimnisvoll soll das alles denn noch werden? »Wie bitte?«

»Wir stehen Euch zu Diensten, Prinzessin.«

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt