Schicksal und Bestimmung

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Die Thronhalle ist das schon ein wenig unheimlich; kühl, verlassen. Es hängt eine geisterhafte, einsame Atmosphäre über dem Raum, welche mich schaudern lässt.

Die Throne bestehen aus massivem, dunklem Holz, ebenso wie das Podest, auf dem sie stehen. Zudem ist es düster, denn kaum Licht dringt durch die kleinen Fenster oberhalb aller Köpfe in den grossflächigen Raum.

Meine Absätze klackern über den glatten Marmorboden, hallen dutzende Male von den Wänden wieder, sodass die gesamte Stimmung noch unheimlicher wirkt. Ich sehe meine Eltern auf ihren rechtmässigen Plätzen sitzen, zueinander hingebeugt, sich leise unterhaltend. Mary sitzt auf dem grösseren, höheren Königsstuhl, der in seiner Pracht den Sitz des Königsgemahls um einiges überstrahlt.

Da wir in Schottland sind, hat Mary das Sagen, wenngleich sie eine Frau ist. Dieses Land ist ihr Erbe seit ihrer Geburt.

Wie auch er, ein geborener König, strahlen die beiden eine Grazie und Ehrenhaftigkeit aus, die sich nicht in Worte fassen lässt. So etwas muss man mit eigenen Augen erleben.

Mary und Francis unterhalten sich leise, jedoch angeregt, miteinander. Sie scheinen ein hitziges Thema zu diskutieren, dass nicht das erste Mal für Gesprächsstoff zwischen ihnen gesorgt hat.

»Verzeiht«, räuspere ich mich, da ich sie nicht belauschen will. »Ich kehre zu einem späteren Zeitpunkt zurück...«

Mary erhebt sich schnell und kommt mit rauschenden Stoffen auf mich zu. Ein nicht ganz so ehrliches Lächeln auf den Lippen und ihre Hände ausstreckend, kommt sie zu mir. Sie greift nach meinen eiskalten Fingern und drückt diese zwischen den ihren.

»Sicherlich nicht, meine Liebe. Komm«, versichert sie mir und zieht mich in Richtung ihres Ehemannes. »Wir haben dir einen Vorschlag zu unterbreiten.«

Allein ihre Worte lassen mich schaudern. Ich denke nicht, dass ich wissen will, was dieser Vorschlag innehält. Ich kann mir einfach nicht mehr vorstellen, dass mir mal etwas passiert, dass nicht kompliziert und extrem anstrengend ist.

»Was soll das bedeuten?«, hake ich nach. Am besten Augen zu und durch!

Francis erhebt sich ebenso und tritt neben Mary, was wie eine moralische Unterstützung aussieht. Er legt ihr diskret einen Arm um die Taille, eine Art von zärtlicher Geste, die ich noch nie zuvor bei den beiden beobachten konnte.

Ein unbekanntes Gefühl sticht mir ins Herz; sie sehen kaum älter aus als ich selbst und sind bereits verheiratet und haben ein Kind. Ihr Anblick erfüllt mich mit Wehmut... und Sehnsucht. Wie es wohl sein muss, jemanden so sehr zu lieben, obwohl beide wissen, dass sie auf den Untergang zugehen.

Jedenfalls gehe ich davon aus, dass sie es wissen, immerhin haben sie genug Kontakte in die Zukunft um darüber Bescheid zu wissen.

Mary und Francis wechseln einen Blick, als ich vor ihnen stehen bleibe und sie erwartungsvoll anschaue. Doch ganz offenkundig scheinen sie nach Worten zu ringen und nicht zu wissen, wie sie dieses Gespräch beginnen sollen. »Worum geht es?«

»Wir haben den unausweichlichen Entscheid getroffen, in Frankreich Francis' Tod vorzutäuschen«, beginnt Mary, die mich ansieht nachdem sie einen weiteren langen Blick mit dem König gewechselt hat.

Ich schlucke schwer. Wenigstens passt das ungefähr zum Ablauf in den Gesichtsbüchern, obwohl einige meiner Dozenten am College jetzt sicherlich Tod umfallen würden, wenn sie die Wahrheit kennen würden. »Weshalb?«

»In Schottland ist die Lage schlimmer denn je. Mary ist kurz davor, ihr Amt abgeben zu müssen, aufgrund der englischen Invasion und den feindlichen Angriffen der Protestanten«, erklärt Francis, der meine Verwirrung ganz offensichtlich erkannt hat.

»Ja, ich weiss...«, erwidere ich und halte inne. Ich bin unsicher, was ich dazu sagen soll. Wenn ich etwas preisgebe, dass noch nicht bekannt ist, könnte das einen negativen Einfluss auf die Wendung der Geschichte haben. Eigentlich sagt eine Faustregel des Zeitreisens, dass wir nicht eingreifen dürfen.

»Weshalb wir entschieden haben, gemeinsam herzukommen und diesen Anschuldigungen und diesen Vorkommnissen persönlich entgegenzutreten. Gemeinsam«, fährt dieser fort. »Frankreich ist stark genug um unter der Regentschaft meiner Mutter zu existieren, aber Schottland steht am Scheideweg.«

Ich hebe eine Augenbraue. »Was hat das mit mir zu tun?«

»Nun... hier kommt unser Angebot für dich, meine Tochter«, sagt Francis und tritt zu mir heran, wobei er augenblicklich nach meiner Hand greift. Seine Nähe und Wärme sind inzwischen vertraut und ich habe sie lieb gewonnen. »Wir bieten dir ein Leben hier an, bei uns, am Hof des schottischen Königshauses. Du bist protestantisch erzogen, nicht wahr?«

Ich nicke, und ahne bereits, worauf sie hinauswollen.

Francis schaut zurück, zu seiner Frau, die kräftig nickt. »Du sollst als Mary's Nachfolgerin eintreten und an unserer statt das schottische Volk führen und regieren. Als Protestantin wirst du die Widersacher des Landes beschwichtigen und kannst ihr Vertrauen in die Königsfamilie zurückgewinnen und da Mary, wie auch ich, als deine Berater fungieren werden, ist auch der katholische Adel beschwichtigt.«

Auch wenn ich halbwegs mit so einer Sache gerechnet habe, bin ich dennoch total überrumpelt und kann nicht fassen, was sie mir da sagen. »Aber das würde dann bedeuten, dass ich... in diesem Jahrhundert bleibe. Für immer?!«

Francis lächelt ein wenig, offenkundig amüsiert über meine schnelle Auffassungsgabe. »Ja, Emma, für immer. Aber bedenke, dass du tatsächlich in dieses Jahrhundert gehörst. Geboren bist du vor wenigen Jahren in Schottland, ebenso wie deine Mutter vor dir in diesem Palast.«

Ein gutes Argument, etwas das ich bis jetzt kaum bedacht habe. Also nicke ich. »Sicherlich...«

»Du bist nicht allein, Emma«, steigt Mary in das Gespräch mit ein. »Wir sind stetig an deiner Seite, ganz gleich wie du dich entscheidest.«

»Ich bin nicht geschaffen, eine Königin zu sein«, werfe ich ein. Allerdings habe ich keine Ahnung mehr, was ich dazu sagen soll.

Ein Leben, hier? Im 17. Jahrhundert? Für mein Geschichte-Freak-Ich ein absoluter Traum: Mode, Politik und Krieg. Alles so Hautnah mitzuerleben, dem Unmöglichen so nahe? Gibt es etwas besseres.

Aber da sind diese Zweifel, eine schwere Last drückt gegen meine Lungen, sodass mir das Atmen und somit das Stehen schwer fällt. Ich bin nicht sicher, ob ich alles aufgeben kann um hier zu leben. Noch dazu, für das Leben als Königin. In einer so unsicheren Zeit? Da wäre ich Zielscheibe für so einige Leute.

Andererseits gibt es nichts, was mich in meiner Zeit hält. Gar nichts. Keine Familie, kein Leben ohne Lügen, keine Zukunft...

»Du bist geboren um eine Königin zu sein«, widerspricht Mary. »Du bist Erbe dreier Länder, Emma. Es gibt kaum eine Frau, die eher eine Königin sein könnte.«

Shadow of Past - Band IWhere stories live. Discover now