27. Kapitel

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Isabell Lanes Sicht:

Wie die eiskalten Stiche eines scharfen Messers fühlt sich der Schmerz in meinem Brustkorb an, die Luft stößt schwerfällig aus meiner Lunge. Der laute Knall der Klassenzimmertür lässt mich aufschrecken, und bitter feststellen, dass ich Amelia nun endgültig aus meinem Leben verbannt habe. Und es tut mir leid. So verdammt leid.

Ich stolpere nach hinten, bis ich die Kanten des Tisches in meinem Rücken spüre. Meine Hände krallen sich fest in das harte Holz, während ich versuche meinen rasenden Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen. Wie muss sie sich nur fühlen? Was habe ich ihr nur angetan? Es hätte niemals so weit kommen dürfen. Niemals. Ich hätte mich von Anfang an beherrschen müssen, meine Gefühle im Zaun halten sollen. So wie mein Bruder es gesagt hat. Doch so sehr ich mir dies auch einzureden versuche, es will nicht in meinem Herzen ankommen. Ich spüre immer noch ihre Berührungen auf meinem Körper, ihr süßer Duft liegt mir in der Nase, der Gedanke an ihre Nähe beschert mir noch jetzt eine Gänsehaut. Ich kann sie nicht einfach vergessen.
Niemals werde ich mir wünschen, ihr weichen Lippen nie auf meinen gespürt zu haben, nie werde ich dieses Gefühl der Geborgenheit, die ich in ihren Armen fand, aus meinen Erinnerungen streichen wollen. So richtig es auch wäre, ich kann es nicht. Vielleicht war ich zu egoistisch, habe nur an meine Gefühle gedacht, nicht an die Konsequenzen, die all das für Amelia und mich bereit halten könnte. Ich will dass sie glücklich ist, dass sie eine sichere Zukunft hat, und so sehr ich es mir auch wünsche, diese Zukunft werde ich ihr nicht geben können. Nicht, solange ich ihre Lehrerin bin, und sie meine Schutzbefohlenen​.

Durch einen tiefen Atemzug fülle ich meine Lungen mit der stickigen Luft aus dem Klassenzimmer, versuche so wieder zu klaren Gedanken zu kommen.
Es ist die richtige Entscheidung. Ich muss sie gehen lassen, zur ihrem und meinem Wohl.

Als ich wenig später das Lehrerzimmer betrete, erwartet mich eine besorgte Emily.

>>Isabell, wo warst du heute Morgen? Gott, du siehst müde aus, schlecht geschlafen?<<,fragt sie auch sogleich, verzieht ihre vollen Lippen dann zu einem süffisanten Grinsen und zieht ihre rechte Augenbraue nach oben, >>Oder kamst du gar nicht erst
dazu?<<

Am liebsten hätte ich die Augen verdreht, kann es mir aber noch gerade so verkneifen.

Ohne auf die Frage meiner besten Freundin einzugehen, laufe ich an ihre vorbei, lasse die schwere Tasche auf mein Platz sinken und schnappe mir dann meinen roten Mantel.

>>Ich habe Pausenaufsicht. Lass uns draußen reden!<<

Ohne Widerworte folgt sie mir in die kühle, stechende Herbstluft. Der Lärm von kichernden Schülerinnen, die sich lautstark unterhaltend auf dem Schulgelände tummeln, lässt mich tief aufseufzen. Emily zieht mich zu einer alten Holzbank unter einer der großen Eichen. Das viele Laub, das sich wie ein bunter Teppich auf dem nassen Erdboden ausgebreitet hat, raschelt unter meinen Füßen. Als wir uns auf der kalten Bank niederlassen, schweift mein Blick sofort zum hinteren Teil des Schulgeländes, wo für gewöhnlich Amelia zusammen mit Elizabeth und den anderen Mädchen sitzt. Doch Amelia ist nicht da, und mit dieser Erkenntnis macht sich sofort ein ungutes Gefühl in meinem Magen breit.

>>Isabell!<<

Meine Augen wandern zu Emily zurück und ich versuche mich wieder ganz alleine auf sie zu konzentrieren.

>>Seit deiner Ankunft aus Cornwall hast du kaum ein Wort mit mir gewechselt. Ich mache mir langsam wirklich sorgen, also sag mir die Wahrheit!<<,ihre fordernde Stimme lässt mich den Ernst der Lage erkennen. Emily ist neben meinem Bruder die einzigste Person, der ich mein vollstes Vertrauen schenken würde. Ich weiß, dass sie immer hinter mir steht, egal wie misslich die Lage auch ist. Dennoch habe ich Angst vor ihrer Reaktion. Angst davor, aus ihrem Mund die gleichen Worte zu hören, wie ich sie auch schon von Finn bekam.

Captured- Im Netz der GefühleWhere stories live. Discover now