53. Kapitel

4K 184 35
                                    

Feuchter Nebel verschleiert meine Sicht, und macht es mir so fast unmöglich, etwas von meiner Umgebung zu erkennen. Eisige Kälte kriecht durch meine Schuluniform. So schmerzvoll, als würden sich spitze Nägel in meine Haut bohren. Krampfhaft umklammere ich den Griff meiner Umhängetasche, bis meine Fingerknöchel weiß hervorstechen. Meine Füße bewegen sich, Schritt für Schritt, obwohl ich keinerlei Ahnung habe, was genau mein Ziel ist. Es kommt mir vor, als hätte ich sämtliche Kontrolle über meinen Körper verloren, als würde er nur wie eine Maschine funktionieren, die tut, was sie will. Etwas spannt sich in meinem Brustkorb an, und lässt ihn immer enger werden. Stimmen dringen an meine Ohren, leise, kaum verständlich, als wären es nur flüsternde Schatten, als würde mir mein Kopf nur einen Streich spielen wollen. Doch die Stimmen werden lauter, mit jedem Meter den ich gehen, ohne es wirklich bewusst zu tun. Ich fühle mich wie eine Hülle meiner Selbst, beim vollem Bewusstsein, aber ohne jegliches Gefühl von Raum und Zeit. Die Luft um mich wird dicker, stickiger und die Dunstwolken um mich lichten sich, als würde ich gleich ins Scheinwerferlicht treten, bereit, für den großen Auftritt. Dunkle Umrisse bilden sich vor meinen Augen und ich brauche eine Weile, ehe ich das Bild genau erkenne kann, das sich mir langsam bietet. Die Stimmen werden deutlicher, immer lauter, bis endlich einzelne Wortfetzen zu mir durchdringen, und mir das Blut in den Adern gefrieren lassen.

>>Da ist die Lesbe!<<

>>Sie treibt es mit ihrer Lehrerin.<<

>>Wie ekelhaft.<<

>>Hoffentlich fliegen sie von der Schule.<<

Schmutziges Lachen hallt an den kahlen Wänden des Schulflures wieder, tuschelnde Mädchen starren mich an, als wäre ich ein Alien, verächtliche Blicke verflogen jeden meiner Schritte. Mein Herzschlag stolpert. Hitze brennt auf meinem Gesicht. Schwere und Enge legt sich auf meine Brust. Da ist die Lesbe. Sie treibt es mit ihrer Lehrerin. Ekelhaft. Ekelhaft. Die Worte hallen in meinem Kopf wieder, immer und immer wieder, sorgen dafür, dass mir das Atmen mit jedem Schritt den ich gehe schwerer fällt. Ich fühle mich, als wäre ich auf dem direkten Weg in die Hölle, völlig machtlos, völlig wehrlos. Wie nackt komme ich mir unter den Augen der anderen vor. Ich spüre, wie sich Ekel und Abschätzung in jeden dieser Gesichter wiederspiegelt. Ich will den Kopf senke und meine Füße anheuern, endlich schneller zu laufen, um diesem Albtraum zu entfliehen, aber es tut sich nichts. Rein gar nichts.

Bis mein Körper plötzlich wie erstarrt stehen bleibt. Wie eingefroren, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Vor meinen Augen erscheint Isabell. Eine Kiste Karton in ihren Händen, gefüllt mit all ihren Habseligkeiten. Der Ausdruck ihrer Augen fühlt sich schmerzvoller an, als es ein Peitschenhieb jemals sein könnte. Angst. Panik. Unendliche Verzweiflung flackert in ihren Augen auf. Zwei Männer erscheinen nehmen ihr, packen sie grob an den Armen und schleppen sie ohne Rücksicht hinter sich her.

>>Nein!<<,kommt es wie ein Hauch über meine zitternden Lippen.

Mein Herz reißt, droht auseinanderzubrechen, als ich die salzigen Tränen an ihren Wangen hinab rinnen sehe, und den Ausdruck in ihren Augen, wie eine stumme Bitte:

Vergiss mich nicht!

Ich schrecke hoch. Schweiß perlt an meiner Stirn hinab, mein Brustkorb hebt und senkt sich, als wäre ich gerade einen Marathon gerannt. Ich umklammere mein Bettlaken, suche in der Dunkelheit nach Sofia und Elli, die seelenruhig in ihren Betten liegen und schlafen, nur um mich zu vergewissern, dass das alles nur ein Traum war. Ein absoluter Albtraum.

Ich sinke zurück in mein Kissen, fahre mit meinen Händen über mein schweißgebadetes Gesicht, zwinge mich wieder zur Besinnung. Das war nur ein Traum, Amelia! Nicht die wahre Realität!

Captured- Im Netz der Gefühleحيث تعيش القصص. اكتشف الآن