54. Kapitel

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Die nächsten Tagen sind furchtbar. Mein Körper fühlt sich krank an, irgendwie müde und ausgelaugt. Ich würde das Ganze gerne auf einen grippalen Infekt schieben, würde mich damit jedoch nur selbst belügen. Schuld an meinem körperlichen Unwohlsein ist schlichtweg die anonyme Nachricht, und deren ausdrucksstarken Worten, die sich tief in mein Gedächtnis gefressen haben. Es vergeht kein Tag, keine Stunde, in der die Sätze nicht durch meinen Kopf geistern und sich damit wieder dieses undefinierbares Stechen in meinem Brustkorb bemerkbar macht. Nachts liege ich stundenlang wach, auf der Suche nach der Frage, wer sich hinter dem anonymen Absender versteckt. Doch egal wie lange ich mir auch den Kopf darüber zerbreche, ich ende immer wieder in der gleichen Sackgasse. Ich klammere mich an den Verdacht, dass mir der Junge die Nachricht im Coffeeshop zugesteckt hat, weil ihm meine plötzliche Abfuhr nicht geschmeckt hat. Auch, wenn diese Vermutung selbst in meinen Ohren unwahrscheinlich klingt, verdränge ich diese Tatsache. Genauso, wie ich die lästigen Stimmen aus meinem Gehirn zu vertreiben versuche, die mir unmissverständlich klar machen wollen, dass William es ist, der dieses Treffen will, und er vermutlich längst mehr weiß, als es gut für Isabell und mich ist. Doch leider endet auch dieses Vorhaben im Unmöglichen.

Auch Isabell tappt im Unwissenden. Ich habe es bisher nicht übers Herz gebracht, ihr von dieser vermeintlichen Gefahr zu erzählen. Ich habe Angst, sie damit nur unnötig zu beunruhigen, sollte sich der Zettel später doch als völlig harmlos herausstellen. Irgendwie will ich sie schützen, vor Allem und Jedem, der ihr etwas böses will. Isabell ist mein Mädchen, und ich werde alles dafür tun, damit das auch so bleibt.

>>Amelia, kommst du?<<

Sofias Stimme reißt mich aus meinem Trancezustand. Ich hebe meinen Blick und muss feststellen, dass bereits die Hälfte meiner Klasse den Raum verlassen hat. Miss Withe, die vorne vor dem Lehrerpult steht und ihre Tasche packt, wirft mir einen aufrichtiges Lächeln zu, dass wahrscheinlich einem amüsierten Schmunzeln gleich kommen soll. Ihre lockige, schwarzbraune Mähne ist zu einem lockeren Knoten nach hinten gesteckt worden, und einzelne feine Strähnen umranden ihr zartes Gesicht. Miss Withe strahlt pure Offenheit aus und auch, wenn ich sie nicht besonders gut kenne und nur ein mal in der Woche mit ihr Unterricht habe, kann ich gut verstehen, dass Isabell sie zu ihren engsten Freundinnen zählt.

Ich packe in Windeseile meine Tasche, schwinge sie mir über die Schultern und verlasse mit den Mädchen nach einem kurzen Tschüss an unsere Lehrerin den Raum.

>>Ich gehe noch kurz auf die Toilette, komme gleich hinterher<<,wende ich mich schnell an meine Freundinnen. Ich bekomme ein einvernehmliches Nicken zur Antworten und bin wenige Sekunden später im nächsten Gang verschwunden. Ich gebe zu, dass ich eigentlich nur den Umweg zu den Toiletten nehme, um am Lehrerzimmer vorbeigehen und so ein Blick auf Isabell werfen zu können. Heute Nachmittag findet eine wichtige Lehrerkonferenz statt, weshalb leider auch die Nachhilfestunde bei Isabell und damit die einzige sichere Gelegenheit an diesem Tag, sie sehe und ungestört in ihrer Nähe sein zu können, ins Wasser fällt. Ich verdränge die listige Stimme in meinem Hinterkopf, die mir einreden will, dass das angesichts der derzeitigen Situation sowieso besser sei und scanne unauffällig meine Umgebung nach Isabell ab. Nur einen Augenblick später entdecke ich ihren blonden Haarschopf in der Masse von Schülerinnen. Sie kommt mit selbstbewussten Schritten direkt auf mich zu, die braune Aktentasche in ihrer rechten Hand und ein herzliches Lächeln auf ihren Lippen. Ich kann förmlich spüren, wie sie jeden in ihrer Umgebung mit ihrer unübersehbaren guten Laune ansteckt, fast wie ein magischer Zauber, der jeden um sie herum dahinschmelzen lässt. Okay, vielleicht schmelze auch nur ich dahin, was jedoch sowieso um einiges besser ist. Ich will die einzige sein, die sie mit ihrem Lächeln verzaubert und mit niemand anderem möchte ich dieses schöne Gefühl teilen. Ich sehe, wie ein Funkeln das Blau ihrer Augen verziert, als ihr Blick auf meinen trifft. Meine Finger beginnen wie verrückt zu kribbel und mein Magen zieht sich auf angenehme Weise zusammen. Gott, ist sie schön! Ich will meinen Blick von ihr abwenden, will sie nicht so offensichtlich anstarren, bin jedoch völlig machtlos. Aufgrund der Masse um uns herum fällt es nicht auf, dass Isabells Hand die meine im Vorbeigehen für eine kurze Sekunde streift und dabei hunderte von Stromschlägen durch mein Körper zucken lässt. Mein Haut kribbelt an der Stelle, an der sie mich geschliffen hat, und auch wenn es nur wie eine kurze, banale Berührung aussehen mag, verspüre ich die Zärtlichkeit, die bedingungslose Liebe hinter ihrem Tun. Ich lächel zufrieden und kann nur schwer dem Wunsch widerstehen, meinen Kopf in den Nacken zu legen und die Augen genießerisch zu schließen, nur um dieses Prickeln auf meiner Haut noch ein bieschen auskosten zu können.

Captured- Im Netz der GefühleWhere stories live. Discover now