Colin Teil 49

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Ich riss den Kopf herum und sah Nathaniel. Er war aus dem wilden Gestrüpp herausgetreten, leise und unauffällig, wie ein Schatten. Seine dunkle Jacke verschmolz fast mit dem Hintergrund und sein Gesicht, das keine Emotionen zeigte, lag halb im Dunkeln, halb im sanften Licht. Starr wie eine Statue im roten Morgenlicht stand er da, das Denkmal eines Märtyrers dessen tragische Geschichte niemand kannte. Aber nicht nur er stand still, auch wir bewegten uns nicht. Es war ein zeitloser Augenblick. 

Plötzlich bewegte sich Nathaniel. Langsam kam er auf uns zu, Schritt für Schritt, als müsse er testen ob der Boden ihn hält. Hinter mir sagte Royce leise: „Kreist ihn ein."

Wie Figuren auf einem Schachbrett setzten wir uns in Bewegung, keiner ließ den Captor aus den Augen, während wir alle unsere Position fanden. Nathaniel in der Mitte, wir in einem geschlossenen Kreis um ihn herum. Die Formation, die wir so oft geübt hatten, wirkte jetzt irgendwie grausam auf mich. Ein Rudel, das seine Beute einkreist. Kein Entrinnen, kein Erbarmen. Nathaniel wusste das. Er hatte den Kopf Richtung Boden gesenkt. Sein schwarzes Haar war ihm ins Gesicht gefallen, sodass ich seine Augen nicht sehen konnte. So stand er da, die Hände in den Taschen seiner Jacke, still und gefasst. Und wieder dachte ich daran, dass er es nicht verdiente zu sterben. Aber hier stand er und wartete auf seinen Tod.

Ich ließ den Blick über die konzentrierten Gesichter der anderen schweifen. Sie starrten Nathaniel an, Blicke wie Messer, die er ganz bestimmt spürte. Dann sah ich zu Royce. Da war nicht nur Hass, sondern auch eine hässliche, arrogante Missbilligung. Breitbeinig stand er da, seine ganze Körperhaltung signalisierte seine unerbittliche Entschlossenheit, während er sichtlich genoss, dass der Captor endlich sterben würde. Ich konnte in ihm den Jäger erkennen, getrieben durch seine Aufgabe, gesteuert durch Feindseligkeit und überlegen durch die Magie, die durch seinen Körper floss. Durch den Stoff seines Hemdes erstrahlte sein Muster wie leuchtende Hieroglyphen. Die Magie verwandelte ihn in einen Richter, dessen Waffe dieser Zirkel war.

Der Anblick löste etwas Unerwartetes in mir aus: Empathie. Ich fühlte es. Der Captor sollte sterben. Das war es, was die Natur verlangte. Einen Fehler wieder auszubügeln, ein Gleichgewicht zu halten, einen Mörder zu bestrafen.

Die Magie erfasste Nathaniel. Royces Zeichnung hatte seinen Blick eingefangen und hielt ihn fest, wirkte wie ein Betäubungsmittel, wie ein Gift das sich langsam im Körper ausbreitet. Ich sah es zuerst in seinem Gesicht. Winzige Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und seine Haut wurde bleicher. Er öffnete den Mund als als wollte er nach Luft schnappen, aber es war als wäre sein Körper eingefroren. 

Sein Blick hetzte jetzt zwischen uns hin und her, als könnte er eine Verbindung in unseren Mustern erkennen, die ich noch nie bemerkt hatte. Und so war es. Unsere Muster verbanden sich über leuchtende Linien, bildeten eine Kuppel aus Licht, undurchlässig, stark und sicher. Ein Netz, das unser Opfer gefangen hielt.

Plötzlich gaben Nathaniels Beine nach und er fiel kraftlos auf die Knie, zitternd wie bei Schüttelfrost. Ich konnte nur dastehen und zusehen, wie er nach und nach in sich zusammenfiel.

 Ein Teil von mir war von seinem Versagen fasziniert. Unser Kreis stellte ein Gefängnis aus leuchtenden Linien dar und es quälte ihn, brannte sich in ihn hinein. Etwas anderes konnte er nicht sehen. Es gelang ihm, die Augen zu schließen, was ihm aber nicht half. Sein Kopf sank immer tiefer. „Na los!", schrie er angestrengt und gleichzeitig überraschend kraftvoll, die Stimme über den Weiher fegend wie ein Windstoß. Mühsam hob er den Kopf, als wiege er Tonnen und begegnete Royces Blick. Auch ich sah zu Royce. In seinem runden Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Darin sah ich das, was mit Nathaniel sterben sollte. Boshaftigkeit, Egoismus und ein kleines bisschen Sadismus.

Schlagartig fand ich zu mir zurück. Nicht Nathaniel war der Böse hier, es war Royce. Alles an diesem Kerl war abscheulich und ich würde ihm nicht den Gefallen tun, diesen falschen Sieg zu erlangen. Das hier sollte kein Kampf zwischen ihm und Nathaniel sein, sondern einer zwischen ihm und mir. 

Nur darauf war alles hinausgelaufen.


Obwohl wir Freunde wurden (Colin)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt