Die erste Stunde

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~Leander~

Die ganze Woche hat sie mich ignoriert. Dieser Gedanke ist zwar nur ein kleiner Teil meines Lebens, aber einer der sich immer wiederholt.

Ich liege in meinem Zimmer auf dem Bett und langweile mich. Die Hausaufgaben sind gemacht und sonst gibt's nicht viel zu tun.

Ich versuche den Gedanken wegzudrängen und laufe ziellos durch das Haus. In einem Raum bleibe ich stehen. Es ist das undefinierte Zimmer. Undefiniert deshalb, weil es keinen bestimmten Zweck hat. Es gibt einen Schreibtisch, Regale mit Büchern, einem Sitzsack, mehrere Lampen und ein Keyboard.

Mein Keyboard.
Der Schreibtisch steht daneben.

In einem Anflug von musikalischem Interesse hatte ich vor einem Jahr ein Mikrophon mit dem ganzen drum und dran gekauft, welches auf dem Boden liegt. Ich bin noch nicht dazu gekommen es aufzubauen. Oder ich hatte keine Lust.

Weil die Langeweile doch übermächtig ist, machte ich mich jetzt daran zu schaffen. Besser spät als nie.
Ich suche die richtigen Kabel, Ständer, Schrauben und was nicht alles zusammen und beginne mit dem Aufbau.

Nach zwei Stunden bin ich fertig und betrachte mein Werk. Der Laptop mit Aufnahme- und Schnittprogramm steht, verbunden mit dem Mikro und dem Keyboard auf dem Schreibtisch.

Alles funktioniert soweit. Beim Anblick des Keyboards kommt mir eine Erinnerung hoch. Ich versuche krampfhaft sie festzuhalten, aber ich schaffe es nicht.

Etwas niedergeschlagen setze ich mich hin und beginne mich einzuspielen. Der klang der Tonleitern weckt mein Gedächtnis endgültig.

Der Nachmittag in der Stadt! Ich hatte doch versprochen wiederkommen!
Schnell schalte ich das Keyboard wieder aus und suche mir meine Sachen zusammen.

Schlüssel? - check.
Portemonnaie? - check.
Handy? - check.
Jacke? - check.
Zum Schluss schlüpfe ich noch in meine Schuhe und schon verlasse ich das Haus.

Diesmal laufe ich nicht den ganzen Weg, sondern mache Gebrauch von meiner Monatskarte und nehme die erste Bahn zum Stadtzentrum.

Dort angekommen fällt mir ein Stein vom Herzen, weil die meisten Geschäfte geöffnet haben. Samstags. Um 16:30. Yesssss!

Jetzt noch die Straße wiederfinden...
Da! Die Gitarre!
Vielleicht etwas zu stürmisch stolpere ich in den Laden.

„I- Ich bin da", japse ich, weil ich nur knapp einer Kollision mit einem, sehr antik aussehenden, Notenständer entgehen kann. Uff.

„Hallo." Der alte Mann kennt anscheinend keine Eile, den er begibt sich quälend langsam durch den Raum. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit bei mir ankommt lächelt er.

Nach allen Gesetzen des Überrumpelns ruft er auf einmal „Wer zuerst hinten ist!", und rennt überraschend schnell in Richtung Klavierzimmer, wie ich es nenne.

Natürlich führt meine Schockstarre dazu, dass er gewinnt. Möglicherweise ist auch der Fakt, dass man hier quasi in einem Labyrinth aus Musikinstrumenten ist, schuld daran. Wer weiß.

„Letztens war es hier eigentlich aufgeräumt", beschwere ich mich, als ich endlich bei ihm ankomme.
„Das liegt daran, dass eine neue Lieferung angekommen ist, Junge."

So wie er grinst, könnte ich mir vorstellen, dass er jedes einzelne Instrument extra so aufgestellt hat, dass nur er in dem Chaos klarkommt.

„Leander", sage ich, immernoch etwas beleidigt.
„Ich nenne dich wie ich will,
J-U-N-G-E."

Ich stöhne leise auf. Alles klar. Dann eben Junge.

„Sie sagten doch sie würden mir Klavier spielen beibringen, wenn ich wöllte", komme ich auf das eigentliche Thema zu sprechen.
„Du willst dir ein Klavier kaufen, ohne darauf spielen zu können?"

Er hebt eine Augenbraue.
„Ja, nein, äh, also, äh, das...-" Er unterbricht mich mit einem herzlichen Lachen.
„Ich verstehe schon. Du willst frei spielen, stimmt's?"

Erleichtert atme ich aus.
„Ja genau!"
Der Verkäufer geht langsam zwischen den Klavieren durch und streicht mit der Hand über die Klangkörper.
„Dann sollten wir gleich damit anfangen", murmelt er.

Ich folge ihm, bis zu dem Klavier auf dem er schon das letzte Mal gespielt hat. Er deutet auf den Klavierhocker.
„Na los Junge. Spiel einfach."
Ich bewege mich nicht von der Stelle.

Wie soll man denn auf diesem Schatz spielen, ohne sich zu blamieren?
- Unmöglich!
Ich schrecke davor zurück auch nur eine Taste zu berühren, aus Angst sie dreckig zu machen.

Seelenruhig nimmt der alte meine rechte Hand in seine und führt sie auf die Tasten zu. Erst verkrampfte ich, aber dann zwinge ich mich, locker zu lassen.

Es ist nur ein Klavier.
Wahrscheinlich nur um die hundert Jahre alt.
Wahrscheinlich nur um die tausend Euro wert, wenn nicht mehr.

Nach einer gefühlten Ewigkeit berühren meine Finger das Elfenbein.
Es ist kalt und wirkt beruhigend auf mein zu schnell schlagendes Herz.

Die warme Hand auf meiner bringt mich dazu ein c' zu drücken. Der volle Ton erfüllt die Stille.
„Ist es nicht wundervoll?"
Wie schon vor einer Woche, nicke ich nur.

Der Mann zieht seine Hand zurück und klatscht in die Hände.
„So. Da du nun deine Scheu überwunden hast, kannst du dich jetzt mal richtig hinsetzen und etwas spielen."

So sicher bin ich mir da nicht, aber ich komme seiner Aufforderung nach.
Ich lege meine Hände auf Position und erinnere mich an ein Stück, das mir meine alte Lehrerin beigebracht hat.

(Augen schließen empfohlen)

Nachdem ich fertig bin, schweigt der alte Mann. Er runzelt die Stirn.
„Ich sehe dein Problem. Du spielst nicht mit dem Herz, sondern mit dem Kopf. Kannst du bitte mal improvisieren?"

Ich weiß nicht was ich tun soll. Unsicher lege ich meine rechte Hand auf die Tasten und spiele ein paar Töne, aber schnell rutsche ich in ein anderes Stück ab, das ich gelernt habe. Ich bemerke selbst, dass das nicht der Sinn des Ganzen war und stoppte mittendrin.

„Das kriegen wir wieder hin", versucht mich mein neuer Lehrer aufzumuntern. Er kommt näher und setzt sich neben mich ans Klavier.

„Spiel erstmal wahllos irgendwelche Töne. Ohne auf die Tonart zu achten."

Ich tue wie mir geheißen. Es klingt schrecklich und es tut mir leid, dieses schöne Instrument dafür missbrauchen zu müssen. Entsprechend muss auch mein Gesicht ausgesehen haben, den nachdem er einen Blick auf mich geworfen hat, lässt er mich aufhören.

„Und jetzt nimmst du die Töne einer Tonart." Ich spiele und konzentriere mich darauf, nicht in das eine Stück in A-dur zu verfallen, dass ich vor einem Jahr gelernt habe.

Der Erfolg ist mäßig. Stellenweise erinnern sich meine Finger an die Bewegungen und ich spiele automatisch das Stück, dann wieder bemerke ich es und spiele angestrengt etwas anderes.

Der alte Mann gibt mir immer wieder andere Aufgaben, aber ich habe das Gefühl, nichts davon wirklich zu können. Am Ende des Nachmittags, als ich beschließe, dass es Zeit ist nach Hause zu gehen, bin ich entmutigt. Trotzdem verspreche ich wiederzukommen.

Wieder nehme ich die Bahn.
Zuhause am Keyboard höre ich sofort auf zu spielen. Der Klang ist scheußlich. Eigentlich wollte ich üben, aber daraus wird wohl nichts mehr.

Schnell sage ich meiner Mutter gute Nacht und lege mich hin, mit dem Ziel einzuschlafen. Natürlich Fehlanzeige.

Wer hätte es gedacht:
Gwendolin spukt wieder durch meinen Kopf.

Ich beschließe ihre Nummer herauszubekommen. Ich muss einfach wissen was los ist.
Mit diesem Vorhaben im Hinterkopf, schlafe ich dann wohl doch irgendwann ein.

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Ein neues Kapitel!!! Yyeeeeaaa 🙌
tschuldigung dass so lange nichts kam.
Schulstress und so...
Aber jetzt sind Ferien und ich bin total motiviert!

normal? schwachsinn!Where stories live. Discover now