Kapitel 29

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London, 26. Juni (eine Woche vor dem Ausbruch)

Das unablässige, metallische Rattern der U-Bahn unter Ethans Füßen wurde langsam. Nachdenklich starrte er aus dem Fenster und las den Namen der Station, in die der Wagon einfuhr. »Charing Cross« stand in dunkelblauer Farbe auf dem weißem Untergrund des Schildes. Das rege Gedränge unter den Passagieren kam erst zur Ruhe, als sich die Türen wieder schlossen. 

Die U-Bahn ratterte weiter, hinein in die Dunkelheit des Tunnels. Ethans suchender Blick wanderte über die Gesichter der Menschen. Die Angst und Nervosität in ihren Blicken war kaum zu übersehen. Der letzte Angriff hatte gestern in St- Clementine, nur drei Stunden von London entfernt, stattgefunden. Diese »Wesen« füllten die Schlagzeilen nun seit mehreren Wochen. Ethans Vater hatte nicht ohne Grund beschlossen, von Manchester nach London zu ziehen. Diese Krankheit kam von Norden her. 

Ethans starrte nachdenklich auf seine Schuhe. Die nächste Station war »Embankment Tube Station«, in der Ethan ausstieg. Ein schneidender Wind kam von der Themse herauf, als er die Station verließ. Es würde ein kalter, verregneter Sommer werden, dachte er gereizt mit zusammengebissenen Zähnen und eilte über die Straße. Halb erfroren erreichte er die Eingangstür seines Zuhauses. »Guten Tag, Mr. Harrow«, begrüßte ihn der Portier und hielt ihm die Tür auf. 

Ethan murmelte desinteressiert die selbe Phrase zurück und verschwand in einem der Aufzüge. Nachdem er den obersten Knopf gedrückt hatte, musterte er seine erstarrten Finger. Die beißende Kälte in London, war für Juli mehr als nur eine Zumutung. Schließlich betrat er das Penthouse seines Vaters und schleuderte seinen Rucksack in die nächstbeste Ecke. Ethan merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, als sein Vater ihm aus seinem Arbeitszimmer entgegen kam. 

»Ethan«, sagte er monoton »Wir werden für ein paar Wochen nach Paris gehen«. Wütend ballte Ethan seine Hände zu Fäusten »Wieso?«, wollte er gereizt wissen »Wir sind erst eine Woche hier in London. Wieso müssen wir schon wieder wegziehen?«. Sein Vater senkte seinen Blick zu Boden »Aus geschäftlichen Gründen«, er deutete auf Ethans Schuluniform »Jetzt geh in dein Zimmer und zieh dich um. Unser Privatjet wird in zwei Stunden von Heathrow starten«. Kaum hatte sein Vater ihm den Rücken zugewandte schüttelte Ethan widerspenstig den Kopf 

»Nein«, erklärte er mit fester Stimme »Ich werde nicht schon wieder die Schule wechseln. Weißt du eigentlich wie schwer es ist, immer der Neue zu sein, Dad?«. Sein Vater hielt plötzlich inne »Es ist nur für drei Wochen, Ethan. Sieh es als vorgezogene Sommerferien. Außerdem kannst du von mir aus, auch mit deiner Mutter nächste Woche weiter nach New York auf ihre Ärztekonferenz fliegen. Ich weiß, dass du Paris nicht magst und dein Französisch miserabel ist«. Ethan kickte wütend mit dem Fuß gegen seinen Schulrucksack.

Als er knapp an seinen Vater vorbei schlitterte, fiel eine Packung Zigaretten aus dem äußeren Fach. Mit ernster Miene hob sein Vater die Schachtel auf »Du hast mir und deiner Mutter versprochen, das du mit dieser sinnlosen Sucht aufhörst«, seine Stimme klang gefährlich ruhig. Ethans Augen glänzten vor Wut »Ihr könnt nicht mein ganzes Leben bestimmen«, konterte er zischend und rannte nach oben in sein Zimmer. Mit einem lauten Knall warf er die Tür zu. Er war siebzehn, nicht knappe fünf Jahre alt. Als Ethan sich auf sein Bett setzte bemerkte er den kleinen, neonfarbenen Notizzettel rechts neben sich. 

Seine Mutter wollte ihn daran erinnern, dass sie bereits heute Vormittag nach New York aufgebrochen war. Ethan schloss angestrengt die Augen, draußen begann es zu regnen. Die Tropfen trommelten gegen die Scheiben der Fensterfronten und füllten das Penthouse mit einer unheimlichen Atmosphäre. Ethan spürte wie die zerrende Wut langsam abklang und ein stechender Schmerz sich in seinem Kopf einnistete. Seufzend griff er auf seinen Nachtisch und nahm eine kleine Dose mit Schmerztabletten zur Hand. 

So sehr er auch jetzt alleine sein wollte, er musste hinunter zu seinem Vater. Müde stieg er die Treppe wieder hinunter und betrat stumm das Arbeitszimmer seines Vaters. »Was ist jetzt schon wieder, Ethan?«, wollte dieser gereizt wissen. Ethan deutete auf seinen pochenden Kopf »Die Schmerzen sind wieder schlimmer geworden«.

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Keine halbe Stunde später saß Ethan auf einem Behandlungstisch in einer der Privatkliniken die seiner Mutter gehörten. Sein Vater stand mit verschränkten Armen neben ihm. Mr. Bladestone, der behandelnde Arzt, las nachdenklich in Ethans Akte. Schließlich sah er zu ihnen hoch »Seit der Operation, vor vier Wochen, hatte Sie also bislang keine Schmerzen, Mr. Harrow?«, Ethan schüttelte leicht den Kopf »Nein«. Sein Vater wandte sich plötzlich zu Wort »Aber er hat wieder mit dem Rauchen angefangen«. 

Der Arzt setzte einen ersten Gesichtsausdruck auf »Mit einem Kopftumor ist nicht zu spaßen, Mr. Harrow«, betonte er »Egal ob die Operation erfolgreich verlief«. Mr. Bladestone blättere in der Krankenakte weiter. Plötzlich hielt er inne und zog langsam ein Röntgenbild hervor. Eine Zeit lang sagte er nichts, sondern starrte nur nachdenklich auf das Bild. Schließlich wollte Ethans Vater wissen, was an dem Röntgenbild so interessant war. Der Arzt fasste schließlich stotternd nach Worten »Das... das ist das von heute...«, er zeigte es Ethan »Allem Anschein nach, hat sich ein weiterer Tumor in Ihrem Großhirn gebildet« »Dann operieren Sie meinen Sohn wieder«, verlangte sein Vater. 

Der Arzt senkte das Bild »Es ist zu riskant, eine Operation an dieser Stelle des Gehirns durchzuführen«. Ethan zuckte belanglos mit den Schultern »Dann eben wieder Chemo«, erklärte er. Mr. Bladestone legte die Akte auf den Behandlungstisch »Das Problem ist«, fing er an ohne auf Ethans Bemerkung einzugehen »Das der Tumor Teile des Gehirn schädigen wird. Das heißt, Mr. Harrow, dass ihr Sohn vielleicht in ein paar Monaten verbale Fähigkeit, wie zum Beispiel Sprechen, verlieren könnte«. 

The Crimson PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt