2.

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Wir waren bis spät abends bei Oliver gewesen, weshalb mich auch mein Wecker am nächsten Morgen so störte, als er mich aus dem Bett scheuchte. Ich gähnte, schaltete ihn noch schlaftrunken aus und rieb mir die Augen. Eines Tages... eines Tages würde ich ihn ignorieren und einfach weiter liegen bleiben. Das hatte ich mir fest vorgenommen, aber ich tat es letztendlich doch nie. Sonst musste ich nur viel zu viel nachholen. Und heute wollte ich eigentlich unbedingt zur Schule gehen! 

Olli hatte mir nämlich erzählt, dass jemand Neues in unsere Klassenstufe kommen würde, vermutlich sogar in seine Klasse, und dass sich seine Deutschlehrerin gestern mit einer Kollegin lautstark über ihn unterhalten haben musste. Er oder sie kam wohl aus Essen, hatten sie noch gemeint. Von so weit außerhalb waren echt wenige an unserer Schule und mich interessierte schon, was ihn oder sie wohl hierher verschlagen hatte. Ich hoffte insgeheim, dass es ein Mädchen war, auch wenn das bedeutete, dass Michael sich sofort an sie ran machen würde... Wir hatten eine Wette am Laufen, ob er auch wirklich jede abschleppen konnte, die er wollte, und er war tatsächlich am gewinnen.

Da ich wieder einmal spät dran war, schlang ich nur schnell mein Frühstück in mich, zog mich an, machte mich soweit fertig und öffnete grade die Haustür, als meine Mutter mich rief: "Maurice? Da liegt ein Brief für dich auf dem Tisch!"

"Äh... ja okay, aber muss jetzt los!", antwortete ich, lief nochmal zurück, schnappte mir den Brief und stopfte ihn hastig zwischen meine Bücher. Dann sprang ich auf mein Fahrrad und radelte los, als wäre ein wilder Hund hinter mir her.

Auf dem Weg durch einen Teil der Innenstadt kurvte ich ziemlich knapp um die Fußgänger, die um diese Zeit bereits wie Ameisen geschäftig auf dem Straßenpflaster herumwuselten, und raste im nächsten Moment beinahe in einen braunhaarigen Jungen, der sich an eine Tasche klammerte. Ich bremste notgedrungen, schlitterte mit meinem Hinterreifen weg und stürzte durch den Schwung beinahe noch mit dem Kopf voran zu Boden. "Oh, entschuldige bitte!", murmelte er Typ, lief aber sofort weiter ohne noch einmal zurückzuschauen. Mein "Tut mir leid" blieb mir im Hals stecken, als ich so ohne weiteres allein gelassen wurde, nur mit meinem Schock und meinem heftig pochenden Herzen. Also-, wären unsere Rollen vertauscht gewesen, hätte ich mich wenigstens erkundigt, ob es meinem Gegenüber gut ging, und wäre nicht einfach weggerannt! Egal, es hatte ja keinen Zweck, sich aufzuregen... Kurz sammelte ich mich noch und fuhr dann schnellstmöglich weiter, immer achtsam auf noch so einen Zwischenfall.

Ich kam noch geradeso rechtzeitig, nur wenige Minuten zu früh, grüßte entschuldigend Olli und Erik, die schon in ihrem Raum saßen und bemerkte ihr leichtes Schulterzucken in meine Richtung. Der Neue kam offenbar doch nicht zu ihnen. Und in unsere Klasse dann auch nicht, jedenfalls war noch niemand da, um den sich eine begeisterte Traube stellen und schon jetzt vor Stundenbeginn mit tausend Fragen löchern konnte. Ach naja, dann würden wir halt nicht so schnell über ihn erfahren. Aber spätestens in einer Woche sollten wir ihn oder sie mal gesehen haben, allzu groß war unsere Schule ja nicht!

Zehn Minuten des Unterrichts verstrichen ohne große Vorkommnisse, bevor es plötzlich leise klopfte und die Miene unserer Lehrerin sich aufhellte: "Ah, das muss er sein!"

Ich schaute zur Tür auf. Also würden wir doch den Neuen abbekommen! Meine Hoffnungen auf eine Mitschülerin verpufften allerdings auch im selben Moment. Schade, ich hätte mich wirklich über ein Mädchen gefreut. Aber ein Junge war sicher auch okay, solange er nett war.

Die Lehrerin öffnete dem Zuspätkommer und ich erkannte die dunkle Haarmatte auf den ersten Blick wieder. Der Typ, mit dem ich beinahe zusammengeprallt wäre! Ich erinnerte mich genau an ihn, obwohl ich ihn nur so flüchtig gesehen hatte! Er war es eindeutig, er hatte die gleiche knapp schulterlange Frisur, das blasse Gesicht und die schmale Stupsnase.

Deine Zukunft in meinen Händen (#GermanLetsDado)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt