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Noch während die Schulklingel ging, sprang Manu auf, hängte sich seine Tasche um und lief zügig auf die Tür des Klassenraums zu. Dabei hatten wir eine Doppelstunde hier! Ich verstand sofort und rannte ihm nach. Er wollte nach Hause gehen! Aber dann würde er noch mehr Fehlstunden haben und müsste sich morgen vor den Lehrern rechtfertigen, was zu einer weiteren unangenehmen Situation für ihn führen würde! Er startete damit quasi einen Teufelskreis und das wollte ich dringend verhindern!

Manu war bis ins Erdgeschoss gelangt, bevor ich ihn eingeholt hatte. "Manu, warte doch!", rief ich ihm japsend nach und nahm ihn rasch in meine Arme, als er stehen blieb und sich tatsächlich zu mir umdrehte. Damit, dass ich ihm folgen würde, hätte er wohl nicht gerechnet. "Bleib hier, okay? Das war doch nicht so schlimm!"

"...Doch, w-war es. Hast d-du denn nicht gesehen, wie s-sich die anderen über mich lustig gemacht ha-haben?", brachte er mit dünner Stimme heraus und ich bemerkte, dass er kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Oh nein, nicht doch! Nicht weinen! Etwas verloren begann ich, ihm vorsichtig über den Rücken zu streicheln in der Hoffnung, es würde ihn beruhigen. Aber er kämpfte gegen meine Berührungen an, sodass ich ihn wieder losließ. Er wusste nicht, wohin er gucken sollte, während er sich mit seinen Ärmeln über sein Gesicht fuhr. "I-ich will doch einfach nur keinen Ärger machen...", murmelte er und wollte sich wieder dem Ausgang knapp vor uns zuwenden, aber ich hielt ihn sanft zurück. "Komm bitte wieder mit zurück. Das kann doch mal passieren! Und du bist nicht der einzige, der mal unaufmerksam ist oder eine dumme Antwort gibt! Die... die Blonde ein paar Bänke vor uns zum Beispiel, die hat vor einer Woche in Ethik etwas von einer Katze mit einem Marmeladenbrot gefaselt! Da haben auch alle gelacht. Aber weißt du was? Wenn wir jetzt zurückgehen, wird niemand mehr lachen! Das haben die alles schon wieder vergessen, wollen wir wetten? Sie werden nur lachen, wenn du dich von so etwas kleinem unterkriegen lässt. Bitte komm, sonst werden sie dich morgen nur wieder ärgern!"

Ich war über mich selbst erstaunt, wie frei und selbstsicher ich das eben hinbekommen hatte. Es war vielleicht nicht das Beste gewesen, dafür war ja eigentlich Alina die bessere Rednerin von uns, aber ich glaubte, dass ich Recht mit dem hatte, was ich meinem Kumpel ans Herz legen wollte. Und darauf kam es ja an! Bitte Manu, beiß die Zähne zusammen, auch wenn es dir jetzt besonders schwer fällt! Noch überlegte er, hin und hergerissen in seiner Entscheidung, und schließlich nach gefühlten Minuten des Abwartens nickte er endlich zaghaft. "Nagut... Du hast ja Recht, Dado... Wegrennen hilft nichts."

Ich holte erleichtert Luft. Das war gut, das musste die richtige Entscheidung gewesen sein, obwohl nichts davon in den Briefen stand! Die Zukunft änderte sich bereits! Auch Manu versuchte sich jetzt an einem klitzekleinen Lächeln, das durch seinen noch immer eher traurigen Blick eher krumm und schief geriet, und ließ sich dann von mir zurück zum Klassenraum führen. Geradeso rechtzeitig konnten wir noch vor dem nächsten Klingelzeichen durch die Tür schlüpfen und zu unseren Plätzen spurten, dann begann die Lehrerin auch schon wieder munter, in ihrem Stoff weiterzugehen. Jetzt atmete auch Manu befreit auf. Wie ich gesagt hatte, niemand lachte mehr über ihn! Und jetzt begann ich zu verstehen, wieso er die Tage zuvor gefehlt hatte. Im Grunde war er wie ich, genauso schüchtern und ein wenig verklemmt, mit einer großen Angst davor, herauszustechen und aufzufallen. Ich konnte genau nachvollziehen, wie sich das anfühlte... War das ein weiterer Grund, warum er meinem älteren Ich so wichtig gewesen war? Weil wir ähnlich gestrickt waren und vielleicht gerade deswegen Trost beieinander finden konnten? Das war gut möglich. Und da ich das nun wusste, würde ich ab jetzt noch besser auf seine Probleme eingehen können!

Ich spürte plötzlich, dass ich beobachtet wurde und zuerst dachte ich, es wäre wieder Manu, doch er versuchte jetzt, dem Unterricht zu folgen, um nicht noch einmal angezählt zu werden. Es war Micha, der sich zu uns umgedreht hatte und im Blick behielt. Als ich ihn erwiderte, sah ich ihn noch geschlagen seufzen, ehe er sich wieder abwandte und nach vorne sah. Er hatte diesmal wenigstens nicht so böse wie in den letzten Tagen ausgesehen! Aber ich spürte unbewusst, dass er noch Gesprächsbedarf deswegen hatte. Und das wenn möglich sehr bald!

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Ab morgen beginnt die Woche, in der ich weder schreiben, noch etwas veröffentlichen werde, weil dann die Prüfungen beginnen und mir die Zeit fehlen wird. Ich weiß leider nicht, wie lange danach noch meine "mentale Pause" dauern wird, in der ich wie zum Vorabi nur Unsinn produzieren würde, aber hoffentlich kann ich sie mit weiteren Kapiteln überspannen und ihr bemerkt nicht allzu viel davon! :)

Deine Zukunft in meinen Händen (#GermanLetsDado)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt