Deine Zukunft in meinen Händen (#GermanLetsDado)

39.

Schon in der Tür erstarrte ich. Ich hatte etwas vergessen. Etwas wichtiges und jetzt war es auch schon zu spät. Nur hatte ich gar nicht daran gedacht, weil es Zuhause überhaupt kein Thema mehr war und auch bei Micha zum Beispiel bereits an Selbstverständlichkeit grenzte. Ich war Vegetarier und hatte noch nie in meinem Leben irgendetwas aus Fleisch gegessen. Und... auf dem Esstisch stand ein großer, tiefer Teller mit Schnitzeln darauf. Ich konnte es auch schon riechen, dieser eher unvertraute Geruch, dem ich bisher noch nie erlegen war, so oft ich auch in der Schulspeisung schon die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Manu drehte sich um und bemerkte meinen Gesichtsausdruck. "Was ist Dado?"

"Ich... ich esse eigentlich kein Fleisch", erklärte ich ihm leise, um nicht die Kochkünste seiner Mutter zu beleidigen. Manus Augen wurden groß. "Wirklich nicht? Ähm, soll ich dir dann noch etwas anderes aus der Küche suchen? Wir haben bestimmt noch irgendwas da!"

"N-nein, schon okay. Ich kann es ja mal probieren! Es sieht schon lecker aus", meinte ich optimistisch. Mich hielten ja weder eine Allergie, noch Ekel zurück. Es hatte mich nur bisher nicht gereizt, aber um Monika jetzt nicht vor den Kopf zu stoßen, konnte ich mein erstes Mal ja gleich hinter mich bringen! Also sagte ich nichts, ließ mich Manu gegenüber auf einen Stuhl nieder und schaute dann, was es noch gab: Kartoffeln und Bratensoße. Kein Gemüse, mit dem ich mich vielleicht doch noch um das Fleisch hätte drumherum drücken können. Mist...

Erst am Ende, als alle anderen sich schon von dem kleinen Stapel Schnitzel genommen hatten, langte auch ich zu, suchte mir mit den Augen eines aus, das möglichst klein war, gut angebraten aussah und hoffentlich nicht zu sehr nach krampfhafter Entscheidung meinerseits wirkte. Nagut, auf gehts! Es würde schon nicht so schlimm sein! Andere aßen das jeden Tag, also würde mir eines schon nicht schaden!

Doch schon alleine die Konsistenz war so ganz anders als alles, was ich gewohnt war. Irgendwie zerrig wie fasriger Spargel, aber fester und nicht so weich. Ich kam mir plötzlich dumm vor. Ob es den anderen auffiel, dass ich mich wie ein Kleinkind anstellte? Manu schaute ab und zu zu mir auf und lächelte mir aufmunternd zu. Es war bestimmt ganz lecker! Nachdem ich also das erste mundgerechte Stück zurecht geschnitten hatte, führte ich es gleich zu meinem Mund und wartete gespannt darauf, wie es schmeckte.

Hm, irgendwie... mh, zäh und seltsam... Es schmeckte nach nichts, was ich kannte. Aber auch nicht wirklich gut... Es dauerte Ewigkeiten, bis ich es zerkaut hatte und mich höflicherweise an den nächsten Bissen wagte. Keine Veränderung, leider. Und diesmal erwischte ich auch noch eine Stelle, die sich wie Gummi anfühlte, schwer zu kauen war und plötzlich unter meinen Zähnen knirschte, sodass ich erschrocken meine Augen aufriss. W-was war das gewesen?! Etwa ein-, ein Knochen? Ich bekam gruselige Vorstellungen und rutschte hastig auf meinem Stuhl herum, damit möglichst niemand meinen Schock bemerkte. Aber Manu sah es natürlich doch. "Alles gut?", erkundigte er sich leise und besorgt und ich schüttelte meinen Kopf leicht. "Ich glaub, bei mir war ein Knochen dabei!"

Er runzelte die Stirn. "Das geht eigentlich nicht, die haben nie Knochen... Hmm, achso, das war ein Knorpel! Den brauchst du nicht mitessen! Die schmecken sowieso nicht!"

Gut zu wissen. Noch immer nicht ganz beruhigt fischte ich den matschigen, unappetitlichen Bissen aus meinem Mund und legte ihn zurück auf den Teller, weit weg von den Kartoffeln. Erst einmal hatte ich genug von dem Schnitzel! Ich verstand echt nicht, wie andere das mögen konnten...

Ein paar Minuten später war aber nur noch es übrig und ich kam mir seltsam dabei vor, mir trotz halbvollem Teller noch einmal nachzuschenken. Also, weg mit dem Ding! Wenn ich schätzen müsste, waren es sowieso nur noch fünf Bissen. Das konnte ich noch schaffen und danach war ich bestimmt auch satt! Aber jedes Stück gestaltete sich schwieriger als das davor und am Schluss hatte ich Mühe, das auch alles unten blieb. Urks, ich war echt nicht für Fleisch gemacht...!

"Alles gut Dado?", hakte Manu nach, als wir unsere Teller wegschafften und in den Geschirrspüler einräumten, "Dir hat es wohl nicht so geschmeckt?"

"Nicht wirklich", gab ich zu und versuchte, nicht länger dran zu denken. Man hätte aber genauso gut verlangen können, dass ich jetzt nicht an den Beinahe-Kuss von vorhin dachte. Einige Sachen ließen sich eben nicht aus dem Gedächtnis verdrängen. Manu sah geknickt aus: "Ich hätte dir doch besser etwas anderes raussuchen sollen..." Gedanklich stimmte ich ihm zu, doch sprach es nicht laut aus, damit er sich nicht noch schlechter zu fühlen brauchte. Es war ja meine Schuld gewesen, dass ich meinen Mund nicht rechtzeitig aufbekommen hatte!

Kurz darauf verabschiedete ich mich auch schon und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich bekam nämlich langsam und allmählich Bauchschmerzen. Ich wettete, das war das Schnitzel. Verdammt! Wahrscheinlich würde es mich die halbe Nacht wach halten und ich schwor mir, dass ich in Zukunft nie wieder auch nur ein Stück Fleisch anrühren würde!