11 Gedrosselter Tatendrang

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Nachdem sie Tama geweckt und alle zusammen gefrühstückt hatten, setzte Yuna die Arbeit am Bokutō fort. Gelegentlich kam jemand vorbei, aber jeder sah ihr höchstens ein paar Minuten zu ohne sie anzusprechen. Als sie einmal über ihre Schulter ins Haus spähte, entdeckte sie Tama und Yui am Go-Tisch. Midori spielte den Schiedsrichter, oder beschäftigte sich sonst irgendwie.

Schliesslich war sie mit ihrer Schleifarbeit zufrieden und trug die erste Schicht Öl auf. Dazu goss sie etwas aus der Flasche auf den Baumwolllappen, womit sie nachher das Holz einrieb. Gierig sog das Bokutō die Flüssigkeit auf und Yuna musste mehrere Male Öl auftragen. Sie wartete auf das Aufbäumen einzelner Holzfasern, die nicht mehr fest sassen und schliff diese ebenfalls ab. Nach mehreren Stunden Arbeit war es ihr doch gelungen das Holzschwert instand zu setzen.

Yuna wog es in ihrer Hand, wobei sie zufrieden lächelte. Es hatte gut getan sich so auf eine Arbeit konzentrieren zu können. Mit ihren Fingern strich sie der Klinge entlang, konnte aber keine Unebenheiten fühlen. Sie kontrollierte noch den Griff, als sie eine kleine Gravur bemerkte.

Kira.

Die Oberschülerin starrte gebannt auf die Schriftzeichen. Es war tatsächlich das Schwert von Kira gewesen. Ihr Blick glitt auf die Wiese hinaus. Vielleicht hatte sie, genau wie Yuna heute, vor Jahrzehnten auf dieser Wiese trainiert und meditiert gehabt. Und Yoshiro war im Haus bei seinen Büchern geblieben.

War es möglich, dass die beiden das Arrangement zwischen den Yōkai und den Menschen bewerkstelligt hatten? Es würde irgendwie zu ihnen passen. Wenn es so wäre, wer hatte den Pakt dann gebrochen?


»Kanade-san, Sie sind zurück.« Yuna lenkte ihre Aufmerksamkeit in die Küche, wo die Kanades im Durchgang zum Wohnzimmer standen. Rei fehlte, Tomoya sah aufgebracht aus und seine Frau verdrossen. Nagisa schnappte sich zwei Teebecher und füllte sie auf, danach brachte sie einen zu ihrem Mann. »Alles in Ordnung?«, fragte Midori.

Der Butler sah zu seiner Arbeitgeberin und lächelte kurz, dann trank er von seinem Tee. »Leider nein. Rei ist verschwunden...«

Die beiden Mittelschüler am Spieltisch sahen auf. Beide trugen eine Mischung aus Angst und Verwirrung in ihren Gesichtern. »Die Yōkai«, flüsterte Yui.

»Wo ist meine Schwester?« Tama sah zwischen seinen Eltern hin und her, doch beide wichen seinem Blick aus.

Midori drängte die Erwachsenen ins Wohnzimmer und zog die Türen hinter sich zu.

»Mach dir keine Sorgen, Kanade-san«, beschwichtigte die Blonde den Knaben.

Yuna spitzte die Ohren, um das Gespräch im Wohnzimmer zu belauschen.

»Waren Sie bei der Polizei?«

Tomoya schnaubte. »Natürlich. Dafür mussten wir allerdings in die nächste Stadt fahren. Hier gibt es keinen Polizisten.«

»Und?«, hakte die Krankenschwester nach.

Die Mutter räusperte sich. »Sie sagten, dass es als Volljährige in Reis Ermessen liegt, wohin sie geht.«

»Und natürlich kam auch der Hinweis, dass hier viele Leute verschwunden sind. Wir hätten uns halt besser informieren sollen«, ergänzte Tomoya.

»Ist das ein Witz?« Yuna konnte hören, dass ihr Vormund darüber aufgebracht war.

Schnell antwortete Nagisa: »Es wäre anders, wenn sie noch minderjährig wäre, wie Ihre Mädchen. Da würden sie sofort ermitteln, aber bei Erwachsenen wie Rei und Shikibu-san...«

»Wo ist Ayumi?!«

»Sie blieb bei Yamato-san, falls Rei wieder auftauchen würde.«

»Sie liessen sie einfach dort zurück? Was ist wenn sie auch noch verschwindet?«

Ein japanisches SommermärchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt