28 Der Sturm vor dem Sturm

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Yui sah zum Eingang des Izakaya und danach zum leeren Becher, welcher vor ihr stand. Als nächstes betrachtete sie Midori, die sich mit Mizugaki-san, der Grossmutter von Kazuya, unterhielt. Sie wippte auf der Stelle und blickte sich im Izakaya um.

Sie waren zum Teich gewandert, wo Tama angeblich die Unagi Hime entdeckt hatte – aber natürlich war er nicht, oder nicht mehr, dort. Anschliessend hatten sie sich ins Dorf begeben, sich erkundigt, ob jemand den Knaben gesehen hatte, und dabei einen alten, pfeifenrauchenden Mann getroffen, der sich darüber ereifert hatte, dass er genau dies prophezeit hatte. Aus Ayumis Reaktion schloss Yui, dass sie den Mann kannte.

Immer wieder waren sie wegen der Yōkai gewarnt worden, aber niemand hatte diese Warnungen ernst genommen. Selbst jetzt war sich Yui nicht sicher, ob sie an die Fabelwesen glauben sollte, oder nicht. Nach wie vor zog sie die Möglichkeit in Betracht, dass Rei etwas Abstand zu ihrem Vater suchte, während Yuna und Tama nun nach ihr suchten, was total nachlässig, aber auch verständlich war. Yunas Verantwortungsbewusstsein war enorm gewachsen, seit sie quasi zum Oberhaupt der Familie geworden war.

Sie sah wieder zu Midori, die noch immer etwas bleich war, aber schon besser aussah, als zuvor. Mit der langen Wanderung in der Hitze des Tages hatte sich die Krankenschwester eindeutig zu viel zugemutet. Nun sassen sie hier im Izakaya, während Ayumi alleine im Dorf unterwegs war und sich nach ihren Vermissten erkundigte. Yui wollte helfen, aber als letztes, verbleibendes Kind wurde sie mit Argusaugen überwacht.

Seufzend fuhr sie sich durch die Haare.

»Alles okay, Masuda-san?«, fragte die Grossmutter.

»Ich muss auf die Toilette.«

»Natürlich. Frag Kazuya.«

Die Mittelschülerin sah ihren Vormund an. »Ist das okay?«

»Natürlich. Bitte beeil dich, ich bin echt paranoid im Moment, Yui-chan.«

»Sie sollten sich wirklich nicht solche Sorgen machen, Omura-san«, sagte Kazuya, der an der Theke eine Zeitschrift las. Mit seiner linken Hand blätterte er um, da seine Rechte eingegipst war. Genugtuung hatte seinen Tag verschönert, denn die blauhaarige Pest war nun ebenfalls verschwunden. Geschah dem Miststück recht.

Yui stellte sich vor ihn und betrachtete seinen Gips. Vorhin hatte Ayumi mit dem Barkeeper gesprochen. Anscheinend kamen sie ganz gut miteinander aus. Er hatte erwähnt, dass er letzte Nacht einen betrunkenen Gast nach Hause begleitete und dabei unglücklich gestürzt war. »Tut das sehr weh?«

»Geht so. Warum?« Er sah sie grimmig an, doch sie wich seinem Blick aus.

»Ich habe mir noch nie etwas gebrochen. Ich bin einfach neugierig.«

»Hm.« Er deutete mit der eingegipsten Hand der Bar entlang. »Da hinten ist das Klo.«

»Danke.« Sie musterte nochmals den Gips, warf einen Blick zu ihrem Vormund und ging dann zur Tür. Hinter der Tür führte ein Gang weiter, wobei sich rechts von ihr je eine Toilette für Männer und eine für Frauen befanden. Gerade als Yui die Tür zur Frauentoilette aufstossen wollte, fiel ihr die leicht offenstehende Tür am Ende des Ganges auf. Dahinter konnte sie einen Blick auf die Strasse erhaschen. Sie starrte den Türspalt an, dann schüttelte sie ihren Kopf und betrat die Toilette.

Als sie heraus kam, sah sie wieder zur Tür. Yui biss sich auf die Unterlippe, kniff die Augen zusammen und ging zurück zur Bar. Vor der Durchgangstür stoppte sie. Die Stimmen der anderen drangen gedämpft an ihr Ohr. Ihre Hand ruhte auf der Klinke. Über ihre Schulter schaute sie wieder zur Tür.


***


»Bist du sicher, dass du den Weg kennst?«, murrte Tama.

Ein japanisches SommermärchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt