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Eiskalter Regen weckte mich aus diesem Albtraum. Mein Schädel schmerzte und pochte wie wild als ich platschende Schritte im feuchten Gras hörte. Ich öffnete die Augen, schwer verkrustet vom Blut. Doch der Regen löste das Blut leicht von meinem Körper. Ich sah eine schlanke Gestalt. „Ich sagte es dir.", hörte ich die mir bekannte Stimme. „Hilf... Hilf mir...", ich war am Ende! So bat ich selbst Bella um Hilfe. Sie sah mich kalt an. „Wotans Leiche ist fort. Die Schlange wird seinen Pelz tragen.", erklärte Bella. Ich stemmte einen Arm auf den Boden und zwang mich aufzustehen. Zumindest stützte ich mich auf. „Bella... bitte...", hauchte ich. „Es ist vorbei, Niala. Dort liegt Maegor. Dort der Schmied. Ich sehe viele bekannte Gesichter." „Ich... Ich gehe zu meinem Stamm und..." „Niala, warum denkst du bin ich hier? Mutter musste sich zurückziehen. Dein Stamm, den gibt es nicht mehr. Sie sind alle tot. Es rannten zu viele in das Lager. Meine Leute konnten sie nicht aufhalten. Und du... du bist nun ein einsamer Wolf. Ohne Stamm. Ohne Clan. Sieh. Dort liegt sogar Loki.", erklärte Bella und deutete auf den Haufen von Leichen. Vater... Loki... meine Familie... Mein Clan! „Es ist das Beste.", bemerkte Bella und riss an ihrem Finger. „Bitte... Bella... wir... wir werden heiraten und du... hilf mir... bitte...", keuchte ich und schaffte es mich aufzusetzen. Ich lehnte meinen verwundeten Körper an den Felsen, der mir vor einiger Zeit, wohl vor drei Stunden wenn ich den Mondstand richtig deutete, alle Knochen im Leib zerschmettert hatte. Der Vollmond und die Tatsache, dass ich Mitternacht wohl noch einmal besonders stark war, hatten mir wohl das Leben gerettet. „Lebe wohl, Niala.", hauchte sie und warf etwas in meinen Schoß. „Was will ich mit einem einsamen Wolf ohne Rang und ohne Clan?", wollte sie kühl wissen und erschrocken nahm ich Bellas Verlobungsring, den sie mir vor die Füße geworfen hatte. Sie wand sich zum Gehen. „Das... das kannst du mir nicht antun!" „Doch. Niala, es ist besser. Lass dich nie wieder auf dem Land meines Clans blicken. Du ziehst die Gefahr an! Aber gut... einen letzten Gefallen tue ich dir. Der alten Zeiten willen. Ich sage dir, was ich sah. Nachdem die Schlange alle restlichen Wölfe umgebracht hatte...", ein Donner hallte über uns hinweg. Es schüttete wie aus Eimern. „Danach befahl er über den Fluss zu ziehen. Dein Blut, Niala, scheint heute Nacht kein Glück zu bringen. Lebe wohl.", erklärte sie und ging davon. Ich starrte ihr nach. Bella... sie verließ mich auch! Ich hatte nichts mehr... doch! Ora! Nira! Meine Mutter! Meine Schwester! Ich zwang mich trotz der Schmerzen auf. Ich musste laufen! Der Vollmond half mir. Ich musste sie retten! Sie waren alles, was ich noch hatte!

Jeder Ast, jede Wurzel, schlitzte mir die Pfoten auf doch verheilte es durch den Vollmond. Es musste bereits halb drei Uhr morgens sein. Wie ein Trommeln hörte es sich an als ich über die Brücke rannte und meine Krallen in den Boden unter mir schlug. Das Blut, das aus zahlreichen Wunden meines Körpers floss, ignorierte ich. Langsam schlossen sie sich wieder. Doch um gut zu heilen müsste ich ruhen. Und für Ruhe hatte ich nun keine Zeit! Ich sah Rauch in der Ferne!

Das Dorf brannte lichterloh. Ich ging in menschliche Gestalt. Der Regen prasselte auf mich herab. Meine Kleidung klebte an mir mit Wasser und Blut... „ORA!", rief ich und sah mich um. Meine Arme und Beine zitterten. Ich war erschöpft. So erschöpft. „Ora!", keuchte ich. Viele Ratten rannten durchs Dorf. Kaum ein Bruchteil von denen, gegen die meine Leute gefallen waren. Ich hörte einen Schrei und rannte weiter.

Mit einer Hand riss ich die Reste von Niras Tür auf und rannte in das Haus meiner Mutter. „Mutter?", rief ich und stürzte in die Küche. „Mutter!", erschrocken kniete ich nieder. Eine Wunde klaffte an ihrer Brust. Ich nahm sie schnell in die Arme und hob ihren Kopf an. „Mutter! Das wird wieder! Das..." „Niala... was tust du hier?", hauchte sie. „Sie sind tot, Mutter! Alle! Ich helfe euch! Wenigstens ihr sollt le..." „Alle? Wota..." „Alle...", wimmerte ich. Sie nickte traurig. „Ich sehe ihn bald wieder. Niala, ich bin kein Dämon... das hier... ist tödlich...", sie lächelte mich sanft an und legte ihre Hand an meine Wange. „Niala... ich liebe dich mein Kind... Ora sie... sie ist zu Erik gelaufen... Rette sie... beschütze deine Schwester... schwöre es...", bat sie. „Ich schwöre es, Mutter. Bei meinen Ahnen schwöre ich dir, ich werde auf Ora Acht geben!", schwor ich ihr und sie lächelte sanft. „Bitte... lass mich... neben ihm liegen...", hauchte sie als sie die Augen schloss und zusammen sackte. Ich starrte sie an. Meine Mutter war in meinen Armen gestorben. Sanft legte ich sie wieder auf den Boden. Ich musste zu Ora!

„ORA!", rief ich und schlug dem Ratten-Mann den Kopf ab, der eine Fackel in die Schmiede geworfen hatte. „Ora!" „Niala!", hörte ich und starrte zum Wald. Sofort rannte ich los. „ORA!", ich preschte in den Wald hinter dem brennenden Dorf. Ignorierte die sterbenden Menschen, bis ich im Wald zwei Gestalten sah. „Erik, bitte! Niala kommt gleich und..." „Sei still! Das ist alles deine Schuld!", keuchte Erik. „Erik! Nein! Bitte... wie kann es meine Schuld sein?" „Deine Ohren! Ich sah richtig! Du und Niala seid Dämonen! Und ihr zieht die Ratten an!" „Lügen! Euer Dorf ist die Belohnung den die Ratten erhielten für den Kampf bei den Bergen!", erklärte ich und trat zu den Beiden. „Bleib bloß stehen!", forderte Erik und zog Ora an sich. Den Dolch an ihren Hals gedrückt. „Erik, ich habe heute Nacht schon so viel verloren. Nimm mir noch meine Schwester und ich lösche dich aus.", erklärte ich ruhig. „Du? Du blutest am ganzen Leib und..." „Trotzdem schlug ich mich durch viele Ratten hier her. Sie kommen näher. Ich rieche sie. Kommt mit mir und ihr werdet die Nacht überleben. Auch du, Erik.", bot ich an. „Niala Hilfe!", wimmerte Ora als er ihr den Dolch fester an die Kehle drückte. Nein! Sie verlor ich nicht auch noch. Mit einem Sprung ging ich in Wolfsgestalt. Erik schrie erschrocken auf als ich ihn ansprang. Ora fiel ins Gras. „Lass mich los! Dreckiges Dämonenpack!", brüllte er doch ich riss ihm mit einer schnellen Bewegung die Kehle heraus. Ich stand auf, in menschlicher Gestalt, und sah Ora an. Sie sah verweint aus. Zum ersten Mal sah ich sie mit Wolfsohren... natürlich. Es war Vollmond. Auch einen Schweif hatte sie. Nun sah sie mir noch ähnlicher. „Ora, Wir laufen!" „Mutter sie..." „Ich weiß, Ora. Wir haben keine Zeit! Wir reden wenn wir Ruhe haben! Komm! Ich bringe dich in mein Lager! Dort sollte niemand mehr sein! Wir können uns dort verstecken." „Wie lange?", wollte sie wissen. „Ich weiß es nicht. Komm.", ich ging in wölfische Gestalt und Ora setzte sich auf meinen Rücken. Ihre Hände klammerten sich in mein Fell und ich rannte in Richtung des Flusses.

Der Morgen graute, als ich mit Ora in das Lager kam... alles war verwüstet... vieles brannte noch leicht. Doch die Feuer zu löschen wäre sinnlos. Ora stieg von meinem Rücken. „Oh nein...", hauchte sie schockiert und sah sich um. Ich stellte mich in menschlicher Gestalt neben sie. „Hallo? Hallo?", rief ich. Nichts. Leichen über Leichen. „Niala... wo ist Papa?", wollte sie wissen. Ich sah sie an. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich zog Ora in meine Arme. Erst da bemerkte ich, dass sie den Mantel unserer Mutter trug. „Jetzt sind nur noch wir zwei. Aber ich passe auf dich auf. Das schwöre ich dir.", versprach ich ihr und hob sie hoch. Ora wimmerte und klammerte sich enger an mich, als ich sie in die Höhle meines Vaters brachte... nun allein die meine. Und Oras. „Hier. Leg dich in Vaters Bett.", hauchte ich und legte meine Schwester dort ab. „Es riecht nach Papa...", wimmerte sie. „Ja... Ich gehe in mein Bett... ich..." „Schläfst du nicht hier?", wollte sie wissen. „Nein. Ich gehe in meines.", hauchte ich und ging. Ich konnte nicht länger für Ora stark sein. Morgen wieder. Aber für heute war ich am Ende. Mein Körper brannte wie Feuer. Schmerzte als steckten unzählige Pfeile in mir... und mein Herz lag in Trümmern. Kaum war die Tür zu meinem Zimmer hinter mir zugefallen fiel ich in mein Bett. Ich klammerte mich in das Kissen. Als ich ein bekanntes Blondes Haar darauf fand war meine Seele vollends zerbrochen und ich weinte. Weinte um Papa. Weinte um Mama, um Loki, um meinen ganzen Stamm... und weinte, da mich Bella verlassen hatte. Ich war nun allein. Nur ich der da war um Ora zu schützen. Doch lange konnte ich nicht weinen. Ich war zu erschöpft.

Das süße Gift: Die Tochter des WotanDonde viven las historias. Descúbrelo ahora