02 | Wo ist deine Mutter?

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FLEUR-ROSÉ PAYNE
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Friedrich Nietzsche
Toleranz ist ein Beweis des Misstrauens
gegen ein eigenes Ideal.

Mit meinen Freundinnen habe ich mir damals, als vieles noch weniger kompliziert war, gern einige Filme angesehen. Angefangen bei Romantik, hinzu Action und Thriller – uns gefiel vieles, da wir nicht wählerisch waren. Doch eins blieb immer gleich, egal in welchem Genre: Menschen, die für längere Zeit allein waren, wurden verrückt. Daran habe ich nie geglaubt, weil es mir total irrsinnig vorkam.

Es wurde nahezu immer behauptet, dass sie Stimmen hören würden, die nach ihnen riefen. Meist gehörten diese verstorbenen oder geliebten Personen; eine Art Halluzination. Ich wollten diesen Behauptungen keinen Glauben schenken, vielleicht auch nur, um keine Angst zu bekommen. Doch gezwungenermaßen kann ich die Hypothesen bestätigen; ich wurde verdammt verrückt!

Und sollte dies demnächst noch so weitergehen, dann werde ich mich verlieren. Mir wäre jeder Besuch recht, sogar der Chef könnte erscheinen; ich fürchte mich so langsam vor mir selbst. Vielleicht ist genau das, sein Ziel. Ich seufze laut, denn die jetzige Einsamkeit kann wohl niemand vertreiben. Ich erinnere mich an die Worte meiner Mutter zurück, denn als ich noch jünger war, hat sie des Öfteren behauptet, dass Menschen die nicht allein sein können, auch zu Zweit einsam sind. Ich musste mir in das Gedächtnis rufen, dass ich bis jetzt nur sechs, verdammt lange Tage allein war.

Es vergingen mehrere Stunden.

Meine Stoßgebete gen Himmel, wurden erhöht, denn das altbekannte Surren der Tür, ist das erste Geräusch seit geraumer Zeit wieder. Auch wenn ich vorhin noch damit einverstanden war, dass er kam, will ich jetzt nur noch weg. Die Selbstsicherheit in seinem Blick, lässt mich ein kleines Mädchen werden; von der jungen Frau ist nichts zusehen.

Ich wäre sicherlich von mir selbst enttäuscht, wenn ich mich als außenstehende Person betrachten könnte; wo ist mein Mut?

Seine Schuhe machen dumpfe Geräusche, als seine Fußsohlen auf den kalten Beton aufkommen. Der Boden ist so grau, wie der teilweiße kaputte Straßenbelag in meiner verfluchten Heimatstadt. Ich denke an die Menschen zurück, die sich vielleicht Sorgen machen könnten. Doch ich kann den Gedanken nicht zu Ende führen.

»Fleur, ich freue mich dich zu sehen!«
Ich dich nicht, denke ich mir.

Gerade noch rechtzeitig beiße ich mir auf die Innenseiten meiner Wangen, um keine unbedachten Beleidigungen — die er verdient hat — zu äußern. Worte würden alles nur noch schlimmer machen und ich bin mir auch sicher, dass meine Stimme nicht die nötige Härte haben würde, um auch nur ansatzweise von ihm ernstgenommen zu werden.

»Dir geht es blendend«, wie schon vor einigen Tagen versucht er einen Dialog mit mir zu führen. Sechs Tage sind noch zu wenig, um Worte mit ihm auszutauschen. Wenn ich die Aussage nicht schon in wenigen Minuten bereuen werde!

»Du bekommst genug Essen, sowie Trinken«, mit einer kurzen Bewegung seiner Finger, deutet er auf die Liege unter mir, »hast einen angenehmen Sitzplatz.« Gerade, als er da so steht, mich so anschaut, schwirren Erinnerungsfetzen in meinem Kopf herum, die ich nicht zuordnen kann.

Warum kommst du mir bekannt vor?

»Für gewöhnlich mag ich keine kleinen Mädchen, die nicht mit mir sprechen«, gibt er bedacht von sich. Das Schnauben kann ich nicht unterdrücken, auch wenn es ihm missfällt, »Für gewöhnlich mag ich keine Typen, die mich «, fieberhaft überlege ich nach einem anderen Wort als entführen.

✓ | MAFIA | Dunkles VerlangenWhere stories live. Discover now