Mein bisheriger Weg

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Mit neunzehn Jahren am Geburtstag meines Vaters traf mich das Ganze wie der Blitz. Plötzlich machte so viel Sinn und auf einmal verstand ich mich selbst und die Welt ein Stück besser, denn ich bin ein Junge.

Nach meinem Coming Out zu mir selbst, vertraute ich mich meinen besten Freundinnen an. Alles lief gut.

Meine Eltern waren die größere Hürde. Ich hatte Angst vor ihren Reaktionen, wusste aber, dass ich nicht drum herum kommen würde. Also outete ich mich auch vor ihnen. Wenn ich ehrlich bin, tut es etwas weh, das hier alles zu schreiben und ich wollte das Buch hier eigentlich sehr positiv belassen und euch Mut machen. Aber es ist nicht alles Regenbögen und Einhörner. Denn die Zeit nach meinem Coming Out, war die schwerste Zeit, die ich bis jetzt durchmachen musste. Ich hatte Angstanfälle, konnte kaum raus gehen, hatte Probleme mit meinen Eltern und war depressiv.

Und ich wollte dieses Kapitel stumpf wie eine biografische Erklärung herunterrattern, aber das war die Zeit damals nicht. Sie war intensiv und emotional und tat weh. Denn immer wieder musste ich kämpfen. Gegen innere und äußere Dämonen und immer wieder verlor ich den Mut und wollte einfach, dass es aufhört. Ich brach das Studium nach dem ersten Tag ab, dass ich eigentlich antreten wollte, weil ich nicht wollte, dass mein Geburtsname auf meinem Studentenausweis steht, weil ich selbst nicht einmal wusste wie ich jeden Tag aufstehen sollte, wenn mich die Welt nicht verstand.

Es ging mir schließlich so schlecht, dass ich in eine stationäre Klinik musste, wo ich erst einmal verstand wer ich war.

Das mag jetzt alles sehr dramatisch oder schnulzig klingen, aber ich denke immer wieder gern an die Zeit in der Klinik zurück und ich bin froh, dass ich sie hatte und dass ich die Leute kennenlernte, die ich dort kennenlernte. Denn die Zeit war ein Aufschwung, den ich allein in meinem Zimmer nie erfahren hätte.

Die ersten zwei Wochen in der Klinik musste ich mir das Zimmer mit einer Frau teilen, weil die Anmeldung verpennt hatte, dass ich Trans bin. Also wurde ich vehement als Frau angesprochen und wie sollten sie auch wissen, dass ich es nicht war? Ich nannte mich damals Jamie, was mir jetzt ein Stück weit Schutz war aber auch zum Verhängnis wurde.

Nach dem ersten Wochenende in der Klinik, dass ich wie die meisten, die neu dazu gekommen waren, heulend allein im Zimmer verbrachte, outete ich mich vor allen in meinem Haus. Ich fragte sogar ofziell, ob ich das Männerklo benutzen durfte.

Die Reaktionen waren unglaublich positiv. ich traf eine Frau, dessen Bruder ebenfalls Trans war und einen Freund hatte und einen weiteren Trans Mann, mit dem ich die Probleme als Trans Person besprechen konnte.

In der Klinik lernte ich außerdem zwei tolle Menschen kennen, mit denen ich immer noch in Kontakt bin und die mir unheimlich halfen. Sie waren die ersten, die mich statt Jamie Jasper nannten. Ich wollte diesen Namen ausprobieren, aber es nicht gleich an die große Glocke hängen, um Verwirrungen zu vermeiden.

Ich lernte, dass es okay ist, so zu sein wie ich bin und dass es in Ordnung ist, nicht zu wissen, wo man im Leben hingehört, oder wer man einmal sein will.

Ich fand aus dem Loch der Depressionen heraus und fasste neuen Mut.

Nach der Klinik verbrachte ich ein paar Wochen in Israel mit meinem Partner, die ich aber nur in unserer Wohnung verbrachte, weil es im August zu heiß ist, um wirklich raus zu gehen.

Im November 2017 hatte ich dann den ersten Termin im Krankenhaus, wo ich das Formular für meine Hormontherapie unterschrieb. Am 7. Dezember 2017 bekam ich die erste Dosis Testosteron gespritzt.

Es ging mir besser, je mehr die Hormone wirkten und meine Stimme tiefer, mein Bart sichtbarer wurde und meine Proportionen sich umänderten.

Der nächste Kampf, den ich in Angriff nahm, war meine offizielle Namensänderung, für die ich zu zwei Gutachtern musste, denen ich jeweils meine innersten Gefühle erzählen musste. Ich finde es immer noch nicht rechtens, dass ich dies tun musste, aber als ich dann ein paar Monate später, im Sommer 2018, meinen neuen Personalausweis in der Hand hielt, fühlte ich mich wieder einmal gestärkt. Keiner kann mir mehr sagen, dass ich nicht wirklich der bin, der ich bin und keiner muss sich mehr wundern oder nachfragen. So hatte ich zumindest das Gefühl.

Darauf stellte ich den ersten Antrag für eine Kostenübernahme meiner Mastektomie (die Entfernung der Brust), die meine Krankenkasse ablehnte. Nach dem dritten Antrag rastete ich am Telefon aus und schiss den armen Angestellten, der mir eigentlich nur die Nachricht überbracht hatte, zusammen. Natürlich war mir klar, das er dafür nichts konnte und dass es einfach das unfairere System war, aber nach diesem Anruf fühlte ich mich besser.

Wie lang muss ich das noch durchstehen?

Das hatte ich mich oft gefragt. Ich hatte an manchen Tagen so starke Dysphorie meine Brust betreffend, dass ich kaum atmen konnte.

Letzten Samstag dann - am 18. Mai 2019 - rief mich meine Mutter an, die einen Brief der Krankenkasse vor sich liegen hatte. Sie fragte mich, ob sie ihn öffnen dürfte, da ich gerade unterwegs war. Nachdem ich Ja sagte und es kurz still am anderen Ende war, brach sie in Tränen aus und schluchzte, dass mein Antrag angenommen wurde.

Diesen Montag dann machte ich gleich einen Termin im Krankenhaus mit meiner Chirurgin, die bei mir die Operation durchführen wird.

Ja, der Weg ist steinig gewesen und es ist definitiv leichter Cis zu sein. Aber ich habe dadurch, dass ich Trans bin, so viele Dinge erfahren und mich so weiterentwickelt, wie ich es als Cis Person nie hätte.

Ich bin froh, wie mein Weg bis hierhin war und bin mir sicher, dass es auch weiterhin bergauf geht.

Habt ihr Fragen an mich?

Jasper

How To Be TransWhere stories live. Discover now