Meine ersten zwei Jahre mit Testosteron

610 59 20
                                    


Der Titel klingt so als sei Testosteron kein Hormon, sondern ein kleines Vieh, was auf meiner Schulter sitzt. Aber ein bisschen ist es so auch. In den zwei Jahren, in denen ich Testosteron jetzt schon bekomme, hat sich so einiges verändert.

Erst einmal ein paar Daten und Fakten:

Am 16. November 2017 hatte ich mein erstes Gespräch beim Endokrinologen, dass ist ein Hormonarzt, der einem Hormone verschreiben kann. Das tut er meistens aus Gründen wie Unfruchtbarkeit oder auch Krankheiten wie AIDS, die Einfluss auf den Hormonhaushalt haben. Aber gerade in den großen Städten gibt es viele Endokrinologen, die sich auf das Thema Trans schon spezialisiert haben.

Bei dem Gespräch musste ich vieles unterschreiben und Fragen zu meiner Person beantworten. Zum Beispiel Sachen über Krankheiten, die in meiner Familie liegen. Als Nachweis brauchte mein Arzt nur einen Schein von einem Therapeuten oder einem Psychiater, der bestätigte, dass ich Hormone brauchte und dafür mental bereit sei.

Am 7. Dezember 2017 bekam ich das erste Mal Testosteron. Es gibt die Methode mit der Spritze und die mit dem Gel. Da ich keine Angst vor Spritzen habe und zu trocknerer Haut neige, was beim Gel ein Risiko ist, besonders an der Stelle, an der man es aufträgt, entschied ich mich für die Spritze. Ich konnte dann entscheiden, ob ich mich während des Spritzens hinlegen wollte oder ob ich dabei stehen konnte. Ich entschied mich zu stehen.

Dann pikste mich eine Pflegerin mit der Nadel, die sie in die Haut kurz über meinem Hintern einführte. Da ist viel Fettgewebe und dort kann sich das Hormondepot gut setzen und die tägliche Dosis ins Blut geben.

Nach der Spritze bekam ich ein Pflaster auf den Einstich und durfte mir meinen nächsten Termin holen. Anfangs bekommt man alle paar Wochen eine Spritze, um das Level erst einmal zu erhöhen. Mittlerweile, also nach zwei Jahren Behandlung, bekomme ich nur noch alle drei Monate Hormone gespritzt.

Ich muss sagen, dass das erste was ich merkte, ein piksender Schmerz der Einstichwunde war, der jedes Mal auftrat, wenn ich mich hinsetzte oder im Sitzen bewegte. Das habe ich heute auch manchmal noch. Es kommt auf die Einstichstelle und den Abstand zwischen den Spritzen an. So ist es jedenfalls bei mir.

Den Tag nach der Spritze lag ich fast nur im Bett, da ich ziemlich heftige Kreislaufprobleme hatte. Mir war schwindelig und ich war müde. Mein Körper musste erst einmal mit dem Hormon klarkommen und die erste Dosis, die ans Blut weiter gegeben wurde, verarbeiten.

Die ersten Wochen merkte ich nichts und das ist auch normal. Erst nach einem Monat bemerkte ich die ersten Veränderungen. Ich merkte, dass sich mein Körper leicht veränderte. Ich bekam mehr Haare an Armen, Beinen und um meinen Mund herum. Auch hatte ich mehr Hunger als sonst und mir war andauernd warm.

Nach drei Monaten setzte mein Stimmbruch ein. Mittlerweile musste ich mich beim Spritzen hinlegen, da ich beim zweiten Mal im Stehen ohnmächtig geworden war.

Der Stimmbruch machte sich bemerkbar anhand von Kieksern und Räuspern. Ich konnte nach vier Monaten nicht mehr in normaler Lautstärke sprechen, musste mich entscheiden zwischen laut reden und flüstern, weil Zimmerlautstärke immer in Tonhöhenschwankungen endete.

Um diese Zeit herum änderten sich auch meine Proportionen. Das Fett aus den Hüften, fand ich nun am Bauch wieder und meine Schultern wurden etwas breiter.

Auch auf der emotionalen Ebene änderte sich etwas bei mir: Ich war öfter gut drauf und ich konnte mich manchmal nicht zurückhalten etwas zu sagen. Ich bin wirklich kein vorlauter Mensch, aber in diesen Monaten laberte ich andauernd dazwischen, weil ich es quasi nicht kontrollieren konnte, was aus meinem Mund kam.

Auch fiel es mir schwerer zu weinen. Ich hatte zwar keinen Grund dazu, aber ich konnte es selbst nicht, als es angemessen gewesen wäre. Ich fühlte mich emotional distanzierter von allem und Sachen, die mich früher heftig gestört oder aus dem Gleichgewicht gebracht hatten, regten nun in mir nur eine kurze und kleine Welle an Unmut.

Nach anderthalb Jahren war meine Stimme in etwa dort angelangt, wo sie heute auch immer noch ist und wahrscheinlich auch bleiben wird. Auch mein Körper scheint sich nicht mehr sonderlich umzustellen. Ich mache nicht sehr viel Sport, deshalb ist mein Muskelaufbau eher so lala. Ich könnte jetzt sagen, ich habe mehr, aber das kann auch nur eine Überschätzung sein.

Nicht alle Veränderungen kommen vom Hormon. Vieles hat auch damit zu tun, wie mich andere jetzt sehen und wie ich mich selbst wahrnehme. Ich bin selbstbewusster, aber das liegt wahrscheinlich nicht am Testosteron, sondern an mir selbst. ich fühle mich jetzt wohler.

Inzwischen habe ich einen kleinen Bart, den ich ab und zu gern auch einfach stehen lasse. Ich bin zufrieden mit meinem Körper, mit meinem Aussehen und mit meiner Stimme und Testosteron hat viel dazu beigetragen.

Zum Schluss möchte ich noch anmerken, dass die Reaktionen auf Testosteron stark variieren, da jeder anders ist. Manche haben starken Haarausfall, manche bekommen Haare auf der Brust und wieder andere neigen während den ersten paar Jahren zu Aggressionen.

Uff, beim Durchlesen wird mir gerade klar wie schlimm das alles klingt. Es ist wirklich nicht so schlimm, wie ich es hier beschrieben habe. Testosteron ist kein Wunderelixir und hat auch seine Schattenseiten, aber es ist auch nicht nur schlecht natürlich. Immerhin würde ich es sonst nicht nehmen.

Es ist eben ein kleines Vieh auf meiner Schulter.

Habt ihr noch Fragen an mich?

How To Be TransWo Geschichten leben. Entdecke jetzt