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Die ersten Tage verliefen ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Max machte sich mit der Gegend um ihre Wohnung herum vertraut, ging ab und zu zum Supermarkt und holte viel Schlaf nach. Das Vorstellungsgespräch im Café war heute Morgen gewesen und soweit Max das beurteilen konnte auch ganz gut gelaufen. Sie durfte jedenfalls erstmal dort anfangen und die ersten Wochen dort Probearbeiten. Damit konnte sie die Geldsorgen erstmal vergessen und beiseite schieben. Für die erste Woche lief das Ganze bisher gar nicht so schlecht. Die Kollegin mit der sie die meisten Schichten eingeteilt war, wirkte jedenfalls sehr nett und auch der Chef schien zumindest ganz okay. Vielleicht ein wenig verklemmt, aber immerhin kein Exemplar der besonders schlimmen Sorte, soweit sie das bisher beurteilen konnte. Immerhin bezahlte er verhältnismäßig gut und ließ sie das volle Trinkgeld behalten. Irgendwie würde sie es dort schon aushalten, es war schließlich auch nur als vorübergehende Lösung gedacht und nicht für immer.

Ansonsten verbrachte Max die ersten Tage damit ihrer Street Art Leidenschaft nachzugehen. Am ersten Abend hatte sie in der Gegend einen kleinen Park entdeckt, wo sie sprayen gehen konnte. Da sie sonst ja noch nicht viel zu tun hatte, verbrachte sie dort die meiste Zeit der ersten Woche. Ihre eigene Wohnung war doch etwas zu leer und trist um dort den Großteil des Tages zu verbringen, außerdem war das bestimmt nicht der schlechteste Ort um vielleicht zumindest ein paar Leute kennenzulernen mit denen sie in Zukunft vielleicht öfter abhängen könnte. Max war zwar nicht besonders kontaktfreudig und hatte lieber wenig Menschen um sich, aber so ein paar Leute würden mit Sicherheit nicht schaden - und mit anderen Künstlern konnte sie immerhin etwas anfangen.

Besonders eine Künstlerin, die ihrer Meinung nach sehr cool wirkte, war ihr ein paar Mal schon besonders aufgefallen. Angesprochen hatte Max sie allerdings nicht. Soziale Interaktion war wirklich nicht ihr Spezialgebiet, auch wenn sie sonst eigentlich auf Außenstehende alles andere als schüchtern wirkte. Die Sprayerin hatte einen wirklich interessanten Stil gehabt und verschiedene 'DedSec'-Artworks gemacht, wobei es sich anscheinend um eine Hackergruppe in der Gegend um San Francisco handelte, die alle möglichen Unternehmen damit nervte, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen und Fehltritte aufzudecken. Sie hatte den Namen schon ein paar Mal gehört und sich natürlich ein wenig informiert, nachdem sie die ganzen Artworks gesehen hatte, die in der Stadt verteilt waren und vom Stil her ziemlich sicher auch von der Frau waren, die sie gesehen hatte. Soweit sie das bisher beurteilen konnte, schienen sie echt cooles Zeug zu machen. Vielleicht war die Künstlerin ja ganz cool und konnte ihr ein bisschen zeigen, wie man sich hier am besten einlebte, falls sie ihr nochmal begegnen sollte.

Da sie auch diesen Nachmittag frei hatte machte Max sich auf den Weg zu ihrer Wohnung, um die Café Kleidung und den Donut Geruch dort gegen ihre üblichen Klamotten umzutauschen. Sie schlüpfte in schwarze, zerrissene Strumpfhosen mit der kurzen bepatchten Hose, die sie eigentlich so gut wie immer trug, suchte ihre gestreiften Overknees raus und trug einen Bondage Belt tief um die Hüfte. Aus dem Rucksack fischte sie eins der Crust Punk Shirts, die bepatchte Jacke und natürlich die Nietenweste. Sie sah sich in dem kleinen und schmutzigen Spiegel in ihrem Bad an und wuschelte ihre kurzen, zum Iro geschnittenen grün-schwarzen Haare auf. So fühlte sie sich endlich wieder wohl. Diese furchtbaren bunten Café Outfits gingen gar nicht, aber daran musste sie sich wohl zumindest den halben Tag lang gewöhnen. Sie schlüpfte in ihre locker geschnürten Stiefel, griff die Tasche mit den Spraydosen und machte sich auf den Weg in den Park.

Als sie dort ankam, war sie fast ein bisschen enttäuscht dort niemanden anzutreffen, aber so konnte sie sich immerhin hemmungslos kreativ ausleben, ohne dass sie beobachtet wurde. Sie hatte ein paar Ideen für ein neues Werk, war sich aber noch nicht ganz sicher, wie sie das Ganze umsetzen sollte. Sie setzte ihre Kopfhörer auf und begann Skizzen auf die Wand zu bringen. Sie lauschte der Musik und ließ ihre Kreativität freien Lauf und tatsächlich schien das ganze nach einer Weile noch cooler auszusehen, als sie erwartet hatte. Sie hatte nun die neue Motivation, dass es perfekt werden sollte und war so vertieft in ihre Arbeit, dass sie gar nicht merkte, wie die Zeit verflog. Ihr wurde erst bewusst, wie lang sie schon dort war, als ihr auffiel, wie hungrig sie langsam wurde. Max streckte sich, stellte die Dose ab und drehte sich um, wobei sie augenblicklich zusammenzuckte. Hinter ihr stand die Künstlerin von gestern und lachte. Max nahm immer noch schwer atmend die Kopfhörer ab.

LOVE-LETTER-FOR-YOU.TXT (Deutsch)Where stories live. Discover now