Missunderstood

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Die Tage bei Remus vergingen viel zu schnell. Ich hatte keine Ahnung wie ich Sirius gegenüber treten sollte. Er würde sauer sein, das war mir von Anfang an klar gewesen. Aber wie sauer er wirklich war, erfuhr ich erst, als ich mit eingezogenem Kopf hinter Remus in das Abteil der Rumtreiber stieg. James, Sirius, Peter, Mary, Cora und Lily saßen dort und hoben interessiert die Köpfe als Remus die Tür aufschob. Sofort veränderte sich die Stimmung im Abteil. James Blick wanderte unruhig zwischen Sirius und mir hin und her, während Cora trotzig die Arme vor der Brust verschränkte. Ihr würde ich mich also auch erklären müssen.
,,Raus" fauchte Sirius. Mary öffnete bereits den Mund in Protest, aber James zog sie am Arm von ihrem Sitz. ,,Du nicht, wir müssen reden."
Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum, während die anderen langsam das Abteil verließen. Ich war mir ziemlich sicher, dass zumindest Lily und Mary keine Ahnung hatten, was hier vorging, aber sie kommentierten es nicht. Als sich die Abteiltür hinter uns schloss breitete sich eine angespannte Stille aus. Ich konnte ihn nicht ansehen, ich konnte einfach nicht.
,,Hast du irgendeine Ahnung, was für Sorgen ich mir gemacht hab? Ich dachte du wärst tot, oder dir wär sonst noch was passiert. Da steht ein Massenmörder vor unserer Haustür und dann bist du einfach weg. Weißt du wie lange ich nach dir gesucht hab?" fuhr er mich an. ,,Ich hab Julie und Harrold sogar angefleht, dich vermisst zu melden."
,,Es tut mir leid" murmelte ich und starrte auf den Boden. Ich konnte es nicht ertragen ihn so sauer zu sehen und zu wissen, dass ich der Grund dafür war. Es tat einfach zu sehr weh.
,,Es tut dir leid? Willst du mich verarschen?"
,,Was soll ich denn sagen Sirius?" leicht verzweifelt hob ich die Arme. ,,Es tut mir wirklich, wirklich leid."
,,Wie wärs, wenn du mir zur Abwechslung einfach mal die Wahrheit sagst?" fragte er in einem gefährlichen Ton. Ich kannte Sirius und ich wusste, dass er kurz davor war, genug zu haben. Genug von mir. Er war eigentlich ein geduldiger Mensch, aber ich hatte den Bogen überspannt. Mehrfach, so viel war klar.
,,Ich musste einfach mal weg, okay?"
Eigentlich wollte ich ihm einfach nur die Wahrheit sagen. Ich wollte ihm sagen, dass ich Angst hatte und ich wollte, seine Meinung zu all dem hören, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Ich konnte einfach nicht.
,,Du musstest mal weg?" ungläubig starrte er mich an.
,,Sirius ich-" versuchte ich zu erklären, unterbrach mich aber selbst. Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Das Abteil war auf einmal viel zu klein und alles um mich herum verschwommen. Panik schnürte mir die Kehle zu. Ich stand hier und ich konnte nichts sagen, um die Situation besser zu machen. Sirius war drauf und dran einfach rauszulaufen und mich hier sitzen zu lassen. Und er hatte vollkommen recht damit.
,,Du was?" fragte er unverwandt. Ich rang nach Atem, wie eine Ertrinkende, aber er schien es nicht zu bemerken.
,,Ich kann nicht" presste ich heraus, ehe ich mich an ihm vorbeischob. Die anderen standen auf dem Flur und starrten mich mit großen Augen an, aber ich ignorierte sie. Ich musste hier weg. Mein Weg führte mich geradewegs zur nächsten Toilette, wo ich mich einschloss und dann an der Wand zu Boden sinken ließ. Ich zitterte am ganzen Körper ich ich wusste nicht wieso. Es war schließlich nichts passiert. Verzweifelt schloss ich die Augen und versuchte tief durchzuatmen. Panik hatte noch nie etwas gebracht.
,,Silvi?" es klopfte leise an der Türe, aber ich ignorierte es. ,,Silvi lass mich rein. Komm schon."
Mühsam rappelte ich mich auf. James zu ignorieren brachte sowieso nichts und eine Tür war noch nie ein Hinderniss für einen Rumtreiber gewesen. Vorsichtig schloss ich die Türe auf. James schob sich wortlos an mir vorbei in die Toilette und schloss die Tür hinter sich.
,,Du siehst beschissen aus" stellte er fest. ,,Wann hast du überhaupt das letzte Mal geschlafen?"
Ich zuckte die Achseln. Was sollte ich dazu auch groß sagen? James seufzte und ließ sich dann auf die geschlossene Toilette sinken.
,,Sirius ist ziemlich sauer auf dich. Cora, Mum, Dad auch" er sah mich unverwandt an. ,,Und ich, ich überlege die ganze Zeit warum. Warum ausgerechnet du einen Todesser zu dir nach Hause einlädst, dann wochelang verschwindest und dann wieder auftauchst, als wäre nichts gewesen. Nicht mal du würdest etwas so Dummes einfach grundlos machen!"
,,Ich hab Angst James" gab ich leise zu. Irgendwann musste ich es doch so oder so aussprechen, da brachte es auch nichts, es jetzt noch ewig hinauszuzögern. ,,Ich hab Angst, dass Sirius es nicht verstehen wird. Und ich hab Angst vor mir selbst."
James seufzte - schon wieder - und sah mich dann eindringlich an.
,,Was ist passiert Silvi? Hat er dich bedroht?"
,,Was? Nein, hat er nicht. Es ist nicht so wie ihr alle denkt."
,,Okay und wie ist es dann?" fragend sah er mich an. Ich wich seinem Blick aus.
,,Ich will dich da nicht mitreinziehen."
,,Lass den Scheiß Silvi. Was - ist - passiert?"
Und dann erzählte ich es ihm. Alles. Von der ersten Nachricht, die Rodolphus mir hinterlassen hatte, meinem Einbruch in der Westminster Abbey, den weiteren Nachrichten, wie ich ihn ignoriert hatte und er schließlich bei mir vor der Haustür gestanden hatte. Und dann zog ich das Buch aus meiner Tasche und zeigte ihm das Bild von Magica Robur, das mich seit Tagen verfolgte. James war ziemlich baff. Einen Moment lang sah er mich sprachlos an, dann starrte er zurück auf das Bild und dann wieder in mein Gesicht.
,,Was hat das zu bedeuten?"
,,Ich weiß es nicht" leicht verzweifelt zuckte ich mit den Schultern. ,,Wenn ich das wüsste, dann würde ich mit Sicherheit nicht hier sitzen."
,,Okay" James nickte langsam. ,,Also was haben wir? Ein Märchen und ein Buch mit einer Zeichnung, die aussieht wie du."
,,Und die Kiste" erinnerte ich ihn. ,,Rodolphus hat gesagt er hat eine Kiste mit alten Stammbäumen und Briefen und so auf dem Dachboden meiner Großeltern gefunden. Ich überlege schon die ganze Zeit, wie ich da rankommen könnte."
,,Kannst du deine Grandma nicht einfach fragen?"
,,James, ich habe seit Monaten keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt. Ich kann da jetzt nicht einfach reinschneien, vor allem nicht, nachdem ich praktisch im Krieg mit meinen Eltern stehe seit ich das erste Mal von Zuhause weg bin."
,,Oh Mann" James seufzte tief. ,,Gut, dann müssen wir uns jetzt wohl überlegen, wie wir an diese Kiste kommen. Aber bevor wir das tun, musst du mit Sirius reden."
,,Er ist ziemlich sauer, oder?" fragte ich unnötiger Weise.
,,Ja, schon ein wenig" seufzte James.
,,Oh Mann" müde fuhr ich mir über die Augen. ,,Ich kann doch so gar nicht mit ihm, wenn er sauer ist."
,,Tja, da musst du jetzt durch. Ich geh ihn holen."
Ehe ich ihn aufhalten konnte oder überhaupt etwas sagen konnte, war James schon aufgesprungen und aus der Tür verschwunden. Frustriert blieb ich in der schlecht beleuchteten Toilette zurück und konnte nichts tun, als zu warten. Das war definitiv nicht der Ort, um sowas zu klären. Ich sollte nicht hier sein. Ich warf einen Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken und wünschte mir sofort es nicht getan zu haben. James hatte recht, ich sah wirklich schrecklich aus. In dem fahlen Licht sah meine Haut noch blasser aus und die dunklen Ringe unter meinen Augen stachen noch deutlicher hervor. Ich schlief schlecht. Schlecht, weil Sirius nicht da war und noch schlechter, weil Rodolphus mir gesagt hatte, was er mir gesagt hatte. Seufzend schlang ich meine Strickjacke noch enger um mich und wartete. Es dauerte nicht lange, da wurde die Tür schwungvoll aufgestoßen und Sirius quetschte sich in die Toilette. Er sah immer noch ziemlich sauer aus und absolut bereit für Runde zwei unseres Streits. Nur ich war es nicht, definitiv nicht.

,,Lässt du mich bitte ausreden, bevor du schreist?"
Er sagte nichts, lehnte sich bloß mit verschränkten Armen gegen die Wand. Ich nahm das als eine Einladung weiter zu reden. Es war lächerlich, dass ich mich auf einmal in seiner Gegenwart so unsicher fühlte. Das hier war Sirius, er kannte mich in und auswendig. Und ich kannte ihn, wahrscheinlich besser, als er sich selbst kannte. Und trotzdem, auf einmal kam ich mir vor wie ein kleines Kind. Unsicher biss ich mir auf die Lippe, ehe ich zu sprechen begann. Da es eh keinen Sinn mehr hatte ihm etwas zu verheimlichen, sagte ich ihm einfach alles. Genau wie ich es James erzählt hatte, sagte ich ihm, was Rodolphus mir gesagt hatte und zeigte ihm dann das Buch. Aber er würdigte es kaum eines Blickes, stattdessen starrte er mich mit einem eisigen Blick an und ich spürte, wie sich meine Kehle erneut zuschnürrte.
,,Ist das alles?" fragte er schließlich steif.
,,Ist das alles?" wiederholte ich ungläubig. ,,Sirius ich hab dir grade gesagt, dass ich wahrscheinlich von jemandem abstamme, der-"
,,Und wenn du von Dracula persönlich abstammst, das ist mir doch egal" unterbrach er mich.  ,,Darum geht es doch überhaupt nicht. Du warst einfach weg. Ich dachte du  wärst tot. Weißt du wie ich mich die letzten Tage über gefühlt habe? Ich dachte er hat dich umgebracht und ich hab dich mit ihm allein gelassen! Ich dachte ich bin schuld. Und dann finde ich raus, dass du  dich bei meinem besten Freund versteckt hast, der es nicht mal für nötig  gehalten hat mich zu informieren. Wegen sowas?"
,,Lass Remus da raus, das war nicht seine Schuld" murmelte ich leise. Ich traute mich nicht ihn anzusehen, weil mir ziemlich klar war, dass ich dann wahrscheinlich anfangen würde zu heulen.
,,Remus ist mir scheißegal" er schrie jetzt so laut, dass seine Worte an den Wänden wiederhalten und ich erschrocken zusammenzuckte. Ich verstand Sirius. Wirklich, ich wusste, dass er sauer war und er hatte jedes Recht dazu. Aber ich wünschte mir einfach nur, dass er aufhören würde, dass er sich hinsetzen würde und das hier mit mir diskutieren würde, so wie James es vor wenigen Minuten noch getan hatte.
,,Sirius mein ganzes Leben ist auf einmal irgend wie anders. Dieses Buch hat etwas verändert ich-" versuchte ich zu erklären, aber er ließ mich nicht ausreden.
,,Siehst du? Genau das ist es. Es geht immer nur um dein Leben. Ich hab  dir gesagt das ich dich liebe, wir wohnen zusammen. Ich will mir hier  etwas aufbauen mit dir! Aber du denkst immer nur an dich! Du bist da wenn es dir passt und wenn nicht, dann gehst du eben. Und ich soll damit klar kommen! Ich hab keinen Bock mehr dir hinterherzulaufen Silvi!"
Das tat wirklich weh. Und es machte mich auch ein bisschen wütend, was er mir hier vorwarf. Schließlich tat ich doch den ganzen Tag über nichts anderes, als an ihn zu denken!
,,Weißt  du warum ich nicht nach Hause gekommen bin? Genau deshalb, weil ich  wusste, dass du es nicht verstehen würdest. Weißt du wie es sich  anfühlt, wenn die einzige Person, von der du gedacht hast, sie würde  dich immer verstehen auf einmal gar nichts mehr versteht?"
Einen Moment lang starrten wir uns einfach nur an. Er bebte immer noch vor Wut und in meinen Augen brannten immer noch die Tränen und ich fragte mich, wie wir von einem Tag auf den anderen einfach so kaputt sein konnten. Ich wollte etwas sagen, aber ich suchte noch nach den richtigen Worten, als es auf einmal an der Tür klopfte.
,,Ist alles in Ordnung da drinnen?"
Es war die Frau mit dem Süßigkeitenwagen, die normalerweise immer das Essen in unseren Abteilen verkaufte. Sie musste uns streiten gehört haben. Wortlos stieß Sirius sich von der Wand ab und ging zur Tür.
,,Alles bestens, danke."
Dann ließ er mich einfach so stehen. Und mein Körper verfiel auf einmal irgendwie in eine Art Schockstarre. Ein paar Sekunden lang starrte ich ihm einfach nach, dann setzte ich mich wie von selbst in Bewegung. Schweigend schob ich mich an der Süßigkeitenhexe vorbei und folgte ihm zu unserem Abteil. Meine Freundinnen und die Rumtreiber waren schon alle da. Sofort spürte ich ihre neugierigen Blicke auf mir. Schweigend ließ ich mich auf den leeren Platz neben James fallen und starrte auf den menschenleeren Gang. Ich fühlte mich noch elender als vor unserem Gespräch. Wir hatten absolut gar nichts geklärt und ich war mir nicht sicher, ob Sirius überhaupt jemals wieder normal mit mir sprechen würde. Die anderen begannen sich wieder zu unterhalten und um mich herum ging das Leben einfach weiter, aber ich war wie in Trance. Was sollte ich denn jetzt machen? Ohne Sirius hatte ich doch niemanden mit dem ich wirklich über alles sprechen konnte. Klar ich hatte meine Freundinnen, aber es war nicht das Gleiche, sie waren nicht Sirius. Mit Schrecken erinnerte ich mich zurück an das letzte Jahr. Die Monate in denen wir nicht miteinander gesprochen hatten kamen mir auf einmal so unendlich lange und schrecklich vor. Vorsichtig riskierte ich einen Blick in seine Richtung. Er spielte mit Peter Zauberschach und würdigte mich keines Blickes. Mein Blick wanderte weiter zu Cora. Sie machte gerade Verwandlungshausaufgaben. James hatte gesagt, dass sie ziemlich sauer auf mich war. Ich schluckte. Mindestens zwei Leute in diesem Abteil, würden vielleicht das ganze restliche Jahr nicht mehr mit mir sprechen. Der Gedanke war unerträglich. Schnell drehte ich meinen Kopf wieder in Richtung Gang und fuhr mir über die Augen, so dass die anderen meine Tränen nicht sehen konnte. Ich hatte eine ganze Menge wieder gut zumachen. Einfach so zu verschwinden machte die Dinge wohl nur noch schlimmer, so viel hatte ich jetzt zumindest gelernt.

I might be crazy but at least I'm free - Blood is thicker than waterWhere stories live. Discover now