The London Library

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,,Okay. Und was genau soll das sein Rodolphus?" misstrauisch lehnte ich mich gegen den Küchentisch, eine Hand immer bereit, um meinen Zauberstab zu ziehen. Ich glaubte nicht, dass mein Cousin mir etwas antun würde, aber er war immer noch ein gesuchter Mörder und ich war kein Idiot. Ich würde ihm nie wieder blind vertrauen, so viel war klar.
,,So lebst du also jetzt?" er sah sich in unserer Wohnung um und schüttelte leicht missbilligend den Kopf.
,,Hör auf damit" fuhr ich ihn an. ,,Lenk nicht vom Thema ab, sondern komm zum Punkt. Du machst uns hiermit beiden nur Ärger."
,,Ich hätte uns überhaupt keinen Ärger machen müssen, wenn du einfach das getan hättest, was ich dir gesagt hab und an unserem Treffpunkt erschienen wärst" erwiderte er in einem gefährlichen Ton. ,,Aber du musstest dir ja von Siri-Schatzi ins Gewissen reden lassen."
,,Lass Sirius da raus" angespannt stieß ich mich vom Tisch ab und durchquerte den Raum, so dass ich direkt neben der Tür stand. ,,Entweder du sagst mir, was du so wichtiges weißt, oder du gehst."
,,Schön" er seufzte tief und deutete dann auf einen der Stühle. ,,Setz dich."
Zögernd setzte ich mich auf den Stuhl. Er wirkte müde und angespannt, jetzt wo ich ihn genauer musterte. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten und seine Haut war aschfahl. Instinktiv fragte ich mich, wie er jetzt wohl lebte. War er noch bei Voldemort? Oder allein auf der Flucht? Ich sparte mir die Frage jedoch, da ich mir sicher war, sowieso keine Antwort darauf zu bekommen.
,,Sagst du mir endlich, was diese ganzen Treffen sollen?" fragte ich ein wenig ruhiger. ,,Was hast du rausgefunden, das angeblich so wichtig ist, dass ich es unbedingt erfahren muss?"
,,Letzten Sommer, kurz bevor ich mich Ihm angeschlossen habe, war ich in Schottland. Wir haben den Sommer bei unseren Großeletern verbracht, wie immer. Bella war auch dabei und wir sollten unsere Verlobung feiern" begann er zu erzählen. ,,Sie ist die ganze Zeit an mir dran gehangen und ich war genervt davon, also habe ich mich vor ihr versteckt und die meiste Zeit auf dem Dachboden verbracht. Ziemlich eingestaubt da oben, aber wenn man sich erstmal an die ganzen Spinnen gewöhnt hat, dann kann man da eine Menge interessantes Zeug entdecken. Ich hab eine Kiste voll mit alten Papieren gefunden. Briefe, Tagebücher und Stammbäume. Nicht so wie der Stammbaum, der in eurem Familienzimmer an der Wand hängt, viel ältere Stammbäume, so alte habe ich noch nie gesehen. Und die Namen darauf kamen mir irgendwie bekannt vor. Irgendwas war komisch an dem Zeug in dieser Kiste und ich wollte eigentlich mehr darüber herausfinden, aber dann mussten wir zurück nach Hogwarts und dann ist im letzten Jahr so viel passiert, dass ich die Kiste beinahe vergessen habe. Erst als ich mich bei meiner Flucht ein paar Tage bei unseren Großeltern versteckt habe, ist sie mir wieder eingefallen. Und ich habe nachgeforscht."
,,Okay. Und was hat das ganze mit mir zu tun?" ich wollte endlich wissen, was hier vorging.
,,Magica Robur, schon mal gehört?"
,,Das ist ein Kindermärchen Rodolphus."
Meine Großmutter hatte mir dieses Märchen in meiner Kindheit so oft erzählt, dass ich es in und auswendig kannte, aber ich konnte nicht ganz die Verbindung zwischen einem Märchen und Rodolphus Geschichte herstellen.
,,Es ist eine Legende, kein Märchen. Magica Robur war die erste Tochter, der siebten Tochter einer siebten Tochter. Ihre Familie war bettel arm und ihre Eltern konnten das Mädchen nicht versorgen, also schlossen sie einen Packt mit dem Tod. Sie gaben ihm ihr Kind und er machte sie dafür zu reichen Leuten. Der Tod stellte schnell fest, dass sie ein schlaues Mädchen war und auch wenn er es zuerst nicht wollte, er nahm sie unter seine Fittiche und lehrte ihr alles, was er wusste. Mit siebzehn Jahren schickte er Magica zurück auf die Erde, wo sie all ihr wissen nutzte, um sich an ihrer Familie, die sie so verraten hatten zu rächen. Sie tötete alle, behielt den Reichtum für sich selbst und lebte ein langes Leben auf Erden, wo sie anderen, die sie für würdig erachtete, Magie beibrachte. Sie war die erste Hexe."
,,Ich versteh es immer noch nicht Rodolphus" verwirrt sah ich ihn an.
,,Laut den Papieren, dich ich gefunden habe, heiratete Magica einen reichen Lord, Espharald Lestrange. Das sind die beiden Namen ganz oben auf dem Stammbaum den ich gefunden habe."
Nachdenklich sah ich ihn an. ,,Du willst mir also erzählen, dass du glaubst, dass wir direkte Nachfolgen, der ersten Hexe sind? Und das auf Grundlage von einem Märchen und einer alten staubigen Kiste, die du auf dem Dachboden unserer Großeltern gefunden hast? Du spinnst doch."
,,Vielleicht. Aber da gibt es noch etwas, das du wissen solltest. Unsere Großmutter hatte drei Totgeburten, bevor sie ihre erste Tochter zur Welt brachte. Eigentlich hast du also nicht drei Tanten, sondern sechs. Und das macht dich zur ersten Tochter, der siebten Tochter, einer siebten Tochter. Laut Stammbaum, der ersten in der Familie, seit Magica Robur."
Ich starrte ihn einen Moment sprachlos an. Er hatte den Verstand verloren. Da war ich mir absolut sicher!
,,Rodolphus, das ist ein Märchen" versuchte ich es nochmal mit Nachdruck.
,,Und was wenn nicht? Würde das dann nicht bedeuten, dass du unglaubliche Kräfte haben musst?"
,,Nein" erwiderte ich trocken. ,,Das würde bedeuten, dass ich einfach nur einen Stammbaum habe, der sich sehr weit zurück verfolgen lässt und das wir von einer uralten Zaubererfamilie abstammen. Das ist alles. Schau mich doch mal an! Siehst du hier irgendwelche besonderen Kräfte?"
,,Silvi, da ist etwas dran, da bin ich mir sicher. Ich weiß nicht was es bedeutet, oder ob es dir irgendwelche besonderen Kräfte oder sonst was gibt, aber meinst du nicht, es wäre zumindest wert mal nachzuforschen?" er sah mich eindringlich an. Mir war inzwischen klar geworden, dass er das absolut ernst meinte. Das hier war kein Scherz, Rodolphus war absolut überzeugt.
,,Das ist verrückt Rodolphus" sagte ich eine Spur sanfter. ,,Einfach verrückt. An mir ist nichts außergewöhnliches. Und meinst du nicht, wenn wir wirklich von der ersten Hexe überhaupt abstammen würden, wäre meine Mutter schon längst damit hausieren gegangen?"
Rodolphus schwieg mich einen Moment lang an. Er sah irgendwie enttäuscht aus und es tat mir wirklich leid, weil mir klar wurde, dass er große Hoffnungen in diese Idee gesetzt hatte. Dann seufzte er tief, griff in seine Tasche und zog einen Zettel heraus.
,,Versprich mir, dass du dir wenigstens das hier anschaust. Auch wenn du mir nicht glaubst, tu es für mich. Bitte."
Er drückte mir den Zettel in die Hand und stand dann auf, um zur Tür zu gehen. Dort blieb er noch einmal stehen und wandte sich zu mir um. Unverwandt starrten wir uns an.
,,Wir werden uns jetzt für eine lange Zeit nicht mehr sehen Silvi. Vielleicht nie wieder" er sah mich ernst an. ,,Aber ich glaube, dass du okay sein wirst. Egal was passiert."
Und dann ging er einfach. Er ließ mich völlig perplex am Küchentisch zurück, mit nichts als einem Zettel und einer Millionen Fragen, die ich ihm vermutlich niemals stellen würde. Für ein paar Minuten saß ich einfach da und versuchte zu verarbeiten, was hier gerade passiert war. Mein Cousin hatte offenbar vollkommen den Verstand verloren. Eigentlich nicht verwunderlich, nach all dem, was in den letzten Monaten mit ihm passiert war.
Dann erinnerte ich mich an den Zettel in meiner Hand und ich warf einen Blick darauf. In sauberer Handschrift stand dort: ,,The London Library Historical Department" darunter stand eine Nummer, von der ich annahm, dass sie zu einem Buch gehörte. Unschlüssig stand ich für einen Moment regungslos in meiner Wohnung, dann beschloss ich, dass ich es Rodolphus zumindest schuldig war, nachzusehen. Er hatte mich darum gebeten und mein Cousin nutzte das Wort bitte äußerst selten.

I might be crazy but at least I'm free - Blood is thicker than waterWhere stories live. Discover now