Lügen

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Lotta:

Ein paar Tage später sieht die WG eigentlich ziemlich gut aus. Bis auf mein Bett, das immer noch nicht steht, ist alles aufgebaut und die meisten Sachen eingeräumt. So können wir sie hinterlassen, wenn wir am Wochenende zum Festival fahren. Das Hurricane! Ich freue mich einerseits tierisch. Doch andererseits steht die Sache von letztens steht immer noch zwischen Malte und mir, wie eine unüberwindbare Mauer. Er hat schon tausendmal versucht, aus mir heraus zu kriegen, was los ist. Und jedes Mal habe ich ihn wenig freundlich weggeschickt. Ich kann es ihm einfach nicht erzählen. Seit vorgestern meide ich ihn komplett, in der Hoffnung, die Gefühle für ihn würden sich in Luft auflösen, wenn er mir nicht mehr so nah kommt. Aber das ist natürlich total bescheuert. Es bewirkt das genaue Gegenteil. Am Abend liege auf meiner Matratze und muss mir endlich selber eingestehen, dass ich mich einfach so in Malte verliebt habe. Wie kann man sich nach so vielen Jahren plötzlich in jemanden verlieben? Nicht in irgend jemanden, sondern in den besten Freund? Ich verstehe es nicht. Aber ich weiß, dass es stimmt, denn ich vermisse ihn fürchterlich. Vermisse seine Nähe, seine Wärme, seine Stimme, seinen Geruch. Ich drehe mich immer wieder auf dieser blöden Matratze herum und finde doch keinen Schlaf. Sollte ich zu ihm gehen? Bei ihm kann ich doch immer einschlafen.. Mein Herz beginnt sofort, schneller zu schlagen. Ganz dumme Idee, Lotta. Tu es nicht! Ich presse meine Augen zu und versuche nochmal, einzuschlafen. Verflixt! Frustriert stehe ich schließlich auf und ziehe meine Decke hinter mir her, als ich zu Maltes Zimmer gehe. Zaghaft berühre ich das kühle Holz seiner Zimmertür, klopfe leise. "Komm rein, Chrissi!" Ruft er, ich öffne die Tür. "Darf ich auch reinkommen, wenn ich nicht Chrissi bin?" Frage ich verunsichert, Malte sitzt auf seinem Bett und schaut überrascht von seinem Handy auf. "Oh. Hey. Ich dachte, du wärst Chrissi, weil du sonst nicht klopfst. Aber.. Ja, komm rein." Ich schließe die Tür, Maltes Blick fällt skeptisch auf die Decke, die ich hinter mir her schleife. "Ich kann nicht schlafen." Erkläre ich, er schüttelt seufzend den Kopf. "Lotta.. Ich weiß, dass es nicht an der Umgebung liegt. Für wie blöd hälst du mich?" Fragt er traurig, ich setze mich neben ihm aufs Bett und zupfe schuldbewusst an der Bettdecke herum. "Tut mir leid.. dass ich dich angelogen habe.. Ich möchte bloß nicht über den wahren Grund reden, okay? Noch nicht." Verlegen schaue ich auf meine Hände. Das klingt so bescheuert. Malte legt eine Hand auf meinen Arm. Streichelt sanft meine Haut. "Wir konnten doch immer über alles reden. Wieso jetzt nicht mehr? Weißt du, ich möchte dir helfen, weil es furchtbar für mich ist, dich leiden zu sehen. Aber wenn du das nicht zulässt, weiß ich auch nicht weiter." Ich schaue ihn endlich an. "Du.. Ich weiß. Und.. Kannst du mich bitte einfach festhalten? Das würde mir schon helfen." Bat ich, Malte zögerte. "Bist du dir sicher? Oder bist du dann morgen wieder so komisch?" Autsch. Das tut verdammt weh. Jetzt weißt du, wie er sich fühlt. Ist super, oder? "Nein! Nein, ich zicke dich nicht nochmal so an! Bitte.. Ich möchte einfach nur schlafen." Murmel ich, Malte seufzt. Ich lasse mich von ihm an seine Brust ziehen. Er streichelt sanft meinen Rücken, als ich die Augen schließe und wegdämmere. Endlich wieder bei ihm. Er hat mir so gefehlt. Ich atme seinen Geruch ein, spüre seine Wärme und seine vorsichtigen Berührungen auf meiner Haut. Wie kann es sich so richtig anfühlen, mich an ihn zu schmiegen und gleichzeitig falsch sein? Jedes Mal genieße ich es mehr und jedes Mal treibe ich damit einen größeren Keil zwischen uns. Morgen früh wirst du diese Nacht wieder bereuen. Du bist so egoistisch, Lotta! Wie kannst du ihm das nochmal antun? Ich verbanne die Stimme aus meinem Kopf. Zumindest für jetzt. Ich will am Morgen nicht von Neuem die Nacht bereuen. Ich möchte viel lieber von ihm träumen..

Malte:

Am nächsten Morgen liegt Lotta nicht mehr neben mir, als ich aufwache. Ich ahne sofort, wieso. Bitte nicht. Bitte, bitte nicht. Ich setze mich auf und schaue mich um. Besorgt und doch irgendwie wütend stehe ich auf und gehe in die Küche. Doch da ist sie nicht. Ich weiß, was los ist. Ich warte Lottas Antwort auf mein Klopfen an ihrer Tür nicht ab, sondern gehe einfach rein. Sie sitzt auf ihrer Matratze und weint leise. Sie sieht so verwundbar aus. So durcheinander und verzweifelt. Ich möchte sie in den Arm nehmen und trösten. Meine Lotta.. Ich hocke mich hin und strecke meine Hand aus, um ihr die Locken hinters Ohr zu streichen. Nein, Malte! Sie wird dir nur wieder wehtun. "Geh weg!" Wirft sie mir sofort an den Kopf und rutscht von mir weg. Ich spüre ein Stechen in der Brust. Wieso weicht sie von mir zurück? "Geh weg, bitte! Es tut mir leid." Siehst du, Malte? Was denn nun? Kann sie sich mal entscheiden? Ihre Launen machen mich noch irre. Es ist genau das Gleiche, wie vor ein paar Tagen. Genau der gleiche Mist. Sie hat mich angelogen. "Lotta, bitte. Du hast gesagt, es passiert nicht nochmal und jetzt sind wir an dem gleichen Punkt wie vor ein paar Tagen. Und jetzt? Willst du mich jetzt wieder tagelang ignorieren? Und dann.." Ich knie mich vor ihr auf den Boden. "Und dann schläfst du wieder in meinen Armen, weil ich dir deine Lügen glaube und dir helfen möchte, und dann geht es wieder von vorne los? Ich kann das nicht, Lotta. Ich möchte mit dir kuscheln und dich trösten und für dich da sein. Immer. Aber dann musst du ehrlich zu mir sein." Sie schaut mir nicht in die Augen, als sie hektisch den Kopf schüttelt. "Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht, Malte." Schluchzt sie und tut mir damit wieder verdammt weh. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir leid tut, als ich wortlos aufstehe. "Nein, bitte nicht. Bleib.." Sie hält meine Hand fest, doch ich entziehe sie ihr grob. "Ich kann nicht, Lotta." Sage ich schroff, drehe mich um und verlasse ihr Zimmer. Im Flur begegnet mir Chrissi. Verwirrt schaut er mich an. "Weint Lotta? Was ist mit ihr?" "Tja, wieso fragst du sie nicht? Mir erzählt sie es ja nicht! Aber danke, dass du mal fragst, wie es mir damit geht!" Schnauze ich ihn an und stampfe ins Wohnzimmer. Chrissi folgt mir nicht. War ja klar. Ich höre ihn mit Lotta reden, verstehe aber nicht, was sie sagen. Viel zu spät merke ich, dass ich weine. Ein lautes Schluchzen verlässt meinen Mund, Tränen laufen über meine Wangen. Was hab ich dir getan, Lotta?
Irgendwann verlässt auch Chrissi ihr Zimmer wieder und ich horche, ob sie noch weint. Natürlich tut es mir leid, dass ich sie einfach so da sitzen gelassen habe. Ich vernehme kein Schluchzen mehr. Nur noch mein eigenes. Vielleicht hat sie sich beruhigt. Chrissi kommt ins Wohnzimmer, ich schaue ihn nicht an. "Und?" Nuschel ich. "Was und?" Fragt er pampig, ich beiße mir auf die Unterlippe, um mich zusammen zu reißen. "Wie geht's ihr?" "Du meinst, nachdem du einfach raus gegangen bist? Scheiße. Sie hat sich in den Schlaf geweint. Hast du gut gemacht." Er klingt sauer. Meine Unterlippe bebt, ich kann das Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Weinend antworte ich ihm. "Wieso hackst du jetzt auch.. noch auf mir herum? Ich weiß überhaupt nicht,.. was ich gemacht habe! Sie sagt mir ja nichts. Wenn ich.. Wenn ich wüsste, was ich gemacht habe, würde ich es wieder gut machen... Du kennst mich! Du weißt, wie wichtig sie mir ist!" Schniefe ich, aufgebracht. Sie ist viel mehr für mich als nur wichtig. Chrissi schaut mich überrascht und mitfühlend an. "Hey.. Nicht du auch noch! Komm her.." Er setzt sich neben mich und umarmt mich. Tröstend streicht er mir über den Rücken, während ich mein Gesicht an seiner Schulter vergrabe und alles raus lasse. Den Kummer, den Frust, die Sorge um Lotta, alles. Es tut unglaublich gut. Nur diese eine Sache.. Die verschweige ich ihm lieber.

Jeden Morgen - AnnenMayKantereit FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt