K A P I T E L 23

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Kaum war Leonie weg, fuhr ein Wagen auf den Hofplatz. Es war mein Vater, der von der Arbeit nach Hause kam. Ich hörte die Autotür zu schlagen. Und noch eine. Wait! Noch eine?! Ich lauschte noch einen Moment. „Hast du denn keine Angst wie sie reagiert?" Seitwann sprach mein Vater mit sich selbst? „Ich habe keine Angst. Ich will sie endlich richtig kennenlernen." Eine Frauenstimme.

Warum eine Frau?

Man konnte die Bank nicht vom Hof aus sehen, da sie um die Ecke der Stallwand stand. Ich trat auf den Hof, sodass mich beide hätten sehen können. Nur bemerkt hatten sie mich noch nicht. Mir klappte die Kinnlade herunter. Da stand tatsächlich die Frau, die in meine Visite reingeplatzt war. Warum war sie hier? „Aber ich hab sie jetzt ewig nicht gesehen."-„Was ja auch nicht unbedingt ihre Schuld ist."

Mir reichte es. Ich musste wissen, von wem sie sprachen. Ich räusperte mich. „Wen wollen Sie endlich sehen?" Die beiden drehten sich um und mein Vater sah etwas bedrückt aus. Wie ein Kleinkind, dass Mist gebaut hatte und es seiner Mutter nicht erzählte hatte, diese es aber herausgefunden hatte. Kein schöner Anblick.

Offensichtlich ist bei beiden irgendwas blockiert. Sie sagten nichts, bis mein Vater es irgendwann schaffte, eine Handbewegung zu machen, die mir sagte, dass wir rein gehen.

Ich trottete den beiden etwas missmutig durch den Stall hinterher ins Haus. Irgendwas stimmte hier nicht ganz. Mein Vater machte die Tür zum Wohnbereich unseren kleinen Anwesens auf und bat uns herein. „Setzt euch doch an den Küchentisch. Wollt ihr was trinken?" Ich lehnte ab, doch die Unbekannte bejahte und fragte nach Wasser.

Während mein Vater das Getränk „zubereitete", musterte mich die Frau und lächelte mich an. Ich wurde nervös und fühlte mich eingeengt. Kurz bevor ich etwas sagen wollte, kam mein Vater dazu.

„Nun gut...Ich weiß nicht ganz, wie ich anfangen soll. Ich verstehe es selber noch nicht ganz." Wir schauten beide die Frau an. Sie räusperte sich, bevor sie zu sprechen begann.

„Du...Du bist so hübsch geworden!" Okay...Die Frau hat irgendeinen Schaden! Ich schaute sie nur fragend an. Was will die von mir?! „Das schockt dich jetzt bestimmt, also bleibe bitte ruhig. Also...Ich...Boah das ist gar nicht so leicht, wie ich es mir vorgestellt hatte." Sie schaute an die Decke und blinzelte ein paar mal.

„Könnten Sie es bitte einfach gerade raus sagen? Meine Geduld geht auf ihr Ende zu."
Sie nickte. „Okay. Also... Ich bin... Du bist... Man... Wieso fällt mir das so schwer? Puh... Ich bin deine Mutter." Abwartend sah sie mich an. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Hatte diese Frau gerade behauptet, meine Mutter zu sein?! Zugegeben; sie sah ein wenig aus, wie ich. Oder eben anders herum. Aber ‚klar denken' war jetzt gerade ein fremder Begriff für mich.

Mein Kinn klappte zum zweiten Mal runter. Sprechen ging nicht, ich musste das erstmal sacken lassen.

„Hast du Fragen?" Ob ich Fragen habe?! Dumme Frage! Ich konnte gar nicht klar denken, aber ich spürte, dass so einiges aus mir raus wollte.

„Warum lebst du? Bist du nicht tot? Warum kommst du jetzt her?" Ich schluckte und setzte erneut an. „Wo warst du?" Das konnte ich nur halb sagen. Ich erstickte an meinen Tränen.

Meiner angeblichen Mutter waren ebenfalls Tränen in die Augen gestiegen. Mein Vater wollte aber auch noch was loswerden. „Weißt du eigentlich, wie schwer die erste Zeit ohne dich war? Ich dachte, ich würde nie wieder gerade vor kommen."-„Lasst es mich bitte erklären. Nach meiner Schwangerschaft und Geburt mit Clara war ich unglaublich fertig.

Wenn man mit 18 sein erstes Kind bekommt, wird man erstmal ordentlich aus seinem normalen Leben gerissen. Alles wird verändert; während alle deine Freunde Freitags feiern gehen, bleibst du zu Hause und bangst um deinen Schlaf, weil dein Kind nicht einschlafen will.

Als mich dann zwei Monate später die Nachricht erreichte, dass meine Eltern bei einem Autounfall gestorben waren, half mir nichts mehr. Ich musste weg und irgendwo neu anfangen. Ich wanderte also aus. Nach Spanien.

Und hier nahm man offensichtlich an, dass ich verstorben war. Ich kann verstehen, dass ihr jetzt sauer oder enttäuscht seid, aber ihr müsst auch mich verstehen." Rede beendet. Oh wow!

Jetzt flossen bei mir, meiner Mutter und meinem Vater die Tränen. „Ich muss...mal weg." Ich stand auf und ging. Keine Ahnung, wohin, aber ich ging.

Irgendwann lief ich. Wohin, sah ich immer noch nicht. Meine Tränen füllten meine Augen, überrannten meine Wangen, um dann auf meinen Brustkorb zu tropfen. Wieso um alles in der Welt musste sie heute auftauchen? Wieso?! Der Tag war so perfekt. AUUUU! Mit einer Hand hielt ich mir mein Schienbein und mit der anderen wischte ich mir meine Tränen weg.

Ich war geradewegs gegen einen herausragenden Ast gerannt. Und jepp, ich bin im Wald. Wie auch immer ich hier her gekommen bin.

Mein Blick erkundete meine Umgebung und erkannte diese. Mein Körper wendete und ich ging, ohne irgendwas dagegen unternehmen zu können, wieder nach Hause. Ich fühlte mich wie betäubt. Alles passierte einfach und ich war da. Ich existierte. Nicht mehr und nicht weniger.

Zu Hause angekommen schlich ich die Treppe hinauf. Ich hoffte, dass Leonie in ihrem Zimmer war. Ich klopfte an und ging einfach rein. „Hey ähm...'Tschuldige, ich wollte eben echt wieder runter kommen, aber Diana hat mir geschrieben, ihr....Ach du Heiliger...Wie siehst du denn aus?" Ehrlich gesagt, wollte ich das echt nicht wissen. Ich will nur, dass das hier ein Traum war.

Ich erzählte ihr, so gut es denn ging, was eben passiert war. Zwischendurch fragte ich mich, wer von uns beiden jetzt die große Schwester war. Leonie war die beste Therapeutin, die ich je kennengelernt hatte.

Sie nahm mich in den Arm und hörte mir zu. Wie eine beste Freundin. Oh Gott Lea! Der muss ich das auch alles erzählen.

Danke Leonie." Sie nickte mir nur entgegen. „Ich glaube, ich gehe jetzt noch mal runter. Es kann sein, dass ich gleich noch mal hoch komme."-„Mach das, ich bin hier."

Ich ging also langsam Richtung Treppe. Ich kratzte meinen ganzen Mut zusammen, und ging ins Wohnzimmer, wo ich meine Eltern vermutete.

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