Kapitel 12

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Es dauerte einen Moment, bis Hermine sich rührte. Mit so einem Gefühlsausbruch seinerseits hatte sie überhaupt nicht gerechnet, vor allem nicht, weil sie immer mehr Zweifel an seiner Ehrlichkeit bekommen hatte. Sie war fast davon überzeugt gewesen, dass er ihr den Traum eingepflanzt und irgendetwas Finsteres damit bezweckt hatte. Doch jetzt? Das kann aber auch alles zu seinem Plan gehören, sagte eine skeptische Stimme in ihrem Kopf. Ihr Blick fiel auf die Tasche mit den Büchern, die Lucius zurückgelassen hatte. Neugierig ging sie hinüber und leerte sie aus.

„Alte Runen leicht gemacht" „Runenübersetzung für Fortgeschrittene" „Alte Runen für ZAG und UTZ" „Die Macht der Alten Runen - ein Lehrwerk" „Zaubermanns Silbentabelle"

Er hatte sich tatsächlich Literatur für den Unterricht zugelegt. Und was war das? Sie nahm ein weiteres Buch und las überrascht den Titel.

„Wanderungen mit Werwölfen"

Das war doch eines von Lockharts Büchern. Tatsächlich, da stand es. Gilderoy Lockhart. Warum hatte Lucius sich ein Buch dieses Aufschneiders gekauft? Wanderungen mit Werwölfen. Sie hatte es mehrfach gelesen und wusste, dass der Autor darin damit prahlte, einen Werwolf mit einem Homorphus-Zauber dazu gezwungen hatte, sich in seine menschliche Gestalt zurück zu verwandeln. Wollte er sich für den Fall wappnen, dass sie angegriffen wurden?

Sie hatte natürlich während ihrer Arbeit im Ministerium immer wieder nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, den Fluch von einem Betroffenen zu nehmen, doch es gab einfach keine. Der Homorphus-Zauber sorgte dafür, dass ein verwandelter Werwolf seine Bestiengestalt verliert und wieder zu einem Menschen wird. Aber nur für diesen Mondzyklus, im nächsten Monat verwandelt er sich wieder. Die Folge des Zaubers ist neben der Rückwandlung ein Schmerz, der noch stärker ist, als der, den der Betroffene ohnehin bei jedem Vollmond erlebt. Da die Methode daher weniger effektiv und belastender ist, als die Wandlung durch den Wolfsbanntrank zu kontrollieren, wurde sie vom Ministerium als unnötige Qual verboten. Als Verteidigungsmittel gegen einen angreifenden Werwolf dürfte der Zauber aber natürlich weiterhin gewirkt werden.

Sie packte die Bücher wieder in die Tasche und machte sich selbst auf in die Bibliothek, wo ihr schon so oft das ein oder andere Stück Literatur weitergeholfen hatte. Auf dem Weg durch die Schule begegnete sie diesmal wieder keiner Menschenseele, doch zwei Mal sah sie einen Geist gerade noch hinter einer Ecke verschwinden. Sie meinte, einmal den blutigen Baron erkannt zu haben, und war froh, dass er sie nicht bemerkt hatte.

Als sie die schwere Tür der alten Bibliothek hinter sich schloss, hörte sie, wie hastige Schritte auf sie zu geeilt kamen. Sie drehte sich um und vor ihr stand Madam Pince, die sich in den letzten Jahren nicht verändert hatte. Die hagere, alte Hexe hatte noch immer den Ausdruck eines Raubvogels, der sich sofort auf seine Beute stürzen würde, wenn diese eine falsche Bewegung machte. In diesem Fall war das jeder Schüler, der ein Buch nicht sanft genug anfasste oder, Merlin bewahre, beschmutzte.

„Ahh, Professor Granger, ich habe Sie schon erwartet."

„Hallo Madam Pince, wie geht es Ihnen?"

Zu Hermine war die Bibliothekarin bald freundlicher gewesen als zu den anderen Schülern, da sie in ihr die gleiche Liebe zu Büchern erkannte, wie in sich selbst. Als Professor angesprochen zu werden behagte ihr irgendwie noch nicht. Daran musste sie sich definitiv gewöhnen.

„Gut, vor allem in den Sommerferien. Da sind keine kleinen klebrigen Finger in der Nähe und hinterlassen elendige Fettflecken. Kann ich Ihnen weiterhelfen? Suchen Sie etwas bestimmtes?"

„Ich möchte nur einmal ein wenig schmökern."

„Nur zu, nur zu. Sie kennen sich sicher noch aus?"

Lumine II - WolfsbrutWhere stories live. Discover now