Kapitel 20

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„Ich hasse Beerdigungen", sagte Ron und zupfte an seinem schwarzen Festumhang.

„Wer mag die schon."

„Kommt ihr? Wir müssen los", rief Mrs. Weasley von unten.

„Sind unterwegs!", brüllte Ron zurück und Hermine musste schmunzeln, weil sich in all den Jahren so wenig an der Kommunikation im Fuchsbau geändert hatte.

Molly und Arthur hatten darauf bestanden, dass Hermine fürs Erste bei ihnen bleiben sollte, um etwas zur Ruhe zu kommen. Ron war damit einverstanden gewesen und zu ihrer großen Erleichterung hatte sich ihr Verhältnis viel schneller normalisiert, als sie befürchtet hatte. Manchmal war er eben doch vernünftiger, als sie dachte. Und vernünftiger, als sie selbst. Das musste sie wohl fairerweise hinzufügen.

Sie reisten über das Flohnetzwerk ins Ministerium, wo eine Trauerfeier zu Ehren der Gefallenen stattfand. Harry und Ginny begrüßten sie und zusammen nahmen sie in der ersten Reihe Platz, neben Minerva, die ihnen matt zulächelte. Kingsley erhob sich und schlagartig kehrte Ruhe ein. Es war eine schöne Rede, die mit der nötigen Ernsthaftigkeit, aber auch mit Humor und schönen Anekdoten aus dem Leben der Verstorbenen, diesen einen ehrwürdigen Abschied bot.

Harry hatte Hermine bereits erzählt, dass Madam Hooch seit Jahren für die Aurorenzentrale gearbeitet und dafür gesorgt hatte, dass in Hogwarts alles mit rechten Dingen zuging. Sie hatte in den letzten Wochen in seinem Auftrag ein Auge auf Hermine gehabt und versucht, sie zu beschützen.

Marya Timms hinterließ einen Mann und zwei kleine Kinder, die sich weinend an den Händen hielten und denen Kingsley jede Unterstützung zusagte.

Der Zaubereiminister ließ es sich auch nicht nehmen, etwas über die Übeltäter zu sagen. Er sah sich selbst zum Teil in der Pflicht, da er sich von Witherfork hatte täuschen lassen, und versicherte den Anwesenden, dass alles getan werde, um die überlebenden Werwölfe einer gerechten Strafe zuzuführen. Doch man dürfe in aller Trauer nicht vergessen, dass auch sie zum Teil Opfer gewesen seien, die von Narzissa und Witherfork manipuliert und für ihre Zwecke instrumentalisiert worden waren.

„Meine Freunde, unsere Gedanken sind bei den Verstorbenen und bei denen, die noch um ihr Leben kämpfen. Lasst uns hoffen, dass wir sie bald wieder gesund in unserer Mitte begrüßen können", endete Kingsley und setzte sich, um mit den anderen dem Ministeriumschor zu lauschen, der zum Abschied den beiden Frauen ein berührendes Stück widmete.

„Wir wollen noch etwas essen gehen, kommt ihr mit?", fragte Ginny, nachdem sie sich von allen Bekannten verabschiedet hatten.
Ron und seine Eltern stimmten zu, aber Hermine schüttelte den Kopf.

„Ich werde ins St. Mungo gehen."

„Hermine... Er wird so schnell nicht aufwachen", sagte Molly und drückte ihre Hand, „gönn dir eine Pause und komm mit uns."

„Nein, ich will bei ihm sein."

„Gut. Dann sehen wir uns heute Abend."

„Wir begleiten dich", sagte Ron und sah zu seinem besten Freund, „oder Harry?"

„Klar. Wir lassen dich nicht allein im Krankenhaus und Trübsal blasen."

„Ihr müsst wirklich nicht..."

„Wir müssen nicht, aber wir wollen. Esst für mich mit, ja?", sagte Ron zu Ginny und seinen Eltern, und nahm Hermine bei der Hand.

Kurze Zeit später saßen sie zu dritt an Lucius Bett in der Suite im St. Mungo. Harry und Ron waren zuvor noch nie hier gewesen und staunten nicht schlecht.

„Das hier ist größer als unsere Wohnung, 'Mine. Unglaublich. Schaut euch allein die Möbel an, die müssen ein Vermögen wert sein."
„Ich weiß, Ron", sagte Hermine und verdrehte die Augen.

Sie war in der letzten Woche jeden Tag hier gewesen, doch immer nur allein. Es war ihr zuerst ein wenig unangenehm, dass Ron und Harry bei ihr waren, da sie befürchtete, sich Vorwürfe oder Eifersüchteleien anhören zu müssen, doch nichts dergleichen geschah. Ihre beiden Freunde unterhielten sich mit ihr, erzählten, was sie in letzter Zeit erlebt hatten, hörten ihr zu - kurz gesagt, sie waren für sie da. Es gab kein böses Blut zwischen ihnen und vor allem vor Ron hatte Hermine daher größten Respekt.

Lucius sah nicht gut aus. Er hatte zwar etwas Farbe zurückerlangt und auch die schwarze Masse, die eine Reaktion seines Körpers auf die Arznei gewesen war, war verschwunden, doch er war aus seinem Koma nicht erwacht. Manchmal glaubte Hermine, seine Augenlider zucken zu sehen, doch wenn sie dann genauer darauf achtete, bemerkte sie nichts dergleichen. Immer wieder kamen Heiler und studierten seine Lebenszeichen und versuchten herauszufinden, woran er litt, doch bisher war keinem von ihnen ein noch so geringer Durchbruch gelungen. Offensichtlich verhinderte ein Fluch oder ein Gift, dass er wieder zu sich kam und sein Bewusstsein wiedererlangte. Hagrid hatte den Ärzten natürlich die Bolzen seiner Armbrust zur Verfügung gestellt, damit sie sie untersuchen konnten, doch an ihnen war nichts ungewöhnliches festzustellen. Sie waren weder vergiftet noch verzaubert und hätten niemals diese Reaktion hervorrufen können. Bissspuren oder sonstige äußere Verletzungen hatte er nicht, abgesehen von den Kratzern an seinem Hals, und in seinem Blut gab es keine Rückstände von schädlichen Tränken oder ähnlichem. Sein Zustand gab daher den Heilern wirklich Rätsel auf.

„Ich halte das nicht mehr lange aus", sagte Hermine nach einer Stunde, die sie am Krankenbett verbracht hatten, „ich muss etwas tun."

„Du kannst nichts tun. Wir können nur warten."

Ihr Blick fiel auf Lucius Zauberstab, der auf dem Nachtkästchen neben einem Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit lag. Vielleicht würde sie in der Bibliothek in Malfoy Manor etwas finden, das ihr weiterhalf. Mit dem Zauberstab kam sie auch in den Geheimraum und solange sie die Bücher nicht mitnahm, würde ihr sicher nichts geschehen. Sie stand auf und nahm den Stab an sich.

„Ich habe eine Idee. Begleitet ihr mich?"

„Ja, aber wohin denn?", fragte Harry überrascht.

„Ins Haus der Malfoys."

„Oh", Ron kratzte sich am Nacken, „ich hatte eigentlich gehofft, nie wieder dort hin zu müssen."

„Ihr müsst nicht..."

„Doch, doch, natürlich kommen wir mit", Harry knuffte Ron mit dem Ellbogen in die Seite.

„Klar, irgendjemand muss ja auf dich aufpassen", grinste Ron und Hermine lächelte dankbar.

Sie verließen das Krankenhaus und apparierten vor das große Tor von Malfoy Manor, das einladend aufschwang, als sie sich näherten. Hermine klopfte an die Tür und bevor ihre Fingerknöchel das Holz ein zweites Mal berühren konnten, öffnete sie sich. Beedy begutachtete die Besucher mit ihren großen wässrigen Augen und lächelte freundlich.

„Guten Abend Ma'am, kommen Sie herein."

„Danke, Beedy."

Die drei betraten die Eingangshalle und Hermine wand sich an die Hauselfe: „Wenn es möglich ist, würden wir gerne in die Bibliothek."

Sie überlegte noch, wie viel sie der Elfe sagen sollte, doch die antwortete schon: „Natürlich, Ma'am."

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe ein wenig mehr Widerstand erwartet", flüsterte Ron Harry zu.

„Der Herr hat Beedy aufgetragen der jungen Dame jeden Wunsch zu erfüllen", sagte die Hauselfe und öffnete ihnen die Flügeltüren zur Bibliothek, „kann Beedy sonst noch behilflich sein?"

„Nein, vielen Dank."

Die Hauselfe verbeugte sich kurz und wuselte dann davon.

„Diese Uniform...", gluckste Ron, der dem kleinen Wesen nachgesehen hatte, „die Haube, ich meine, Leute, habt ihr die Haube gesehen?"

„Haben wir", sagte Harry und grinste kopfschüttelnd, „also Hermine, warum sind wir hier? Ich weiß zwar, dass du Bücher liebst und das hier ist wirklich beeindruckend, aber..."

„Hier entlang", sagte Hermine und führte sie in den Nebenraum. Mit Lucius Zauberstab öffnete sie den Durchgang und gab den Blick auf die geheime Abteilung frei. Sie hatte einen Anflug von schlechtem Gewissen, denn sie hatte eigentlich versprochen, niemandem etwas hiervon zu erzählen, geschweige denn jemanden her zu bringen, doch die Situation verlangte ungewöhnliche Maßnahmen.
„Wenn ihr etwas über Schwarzmagie wissen wollt, dann werdet ihr es wohl hier finden."

„Und wonach suchen wir?"

„Ihr wisst genauso viel wie ich auch. Wir suchen nach einem Gift, einem Zauber, irgendetwas, das diesen komatösen Zustand erklären könnte. Die Bücher sind thematisch geordnet, ihr könnt euch ganz leicht zurecht finden. Ich denke, wenn wir etwas finden können, dann hier, aber ihr könnt natürlich auch draußen suchen, da gibt es auch einige Werke, die uns vielleicht weiterhelfen können."

Sie ging hinüber zu den Tagebüchern der Malfoys und zog das von Abraxas heraus. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte er an unaufspürbaren Giften geforscht. Harry und Ron warfen sich einen vielsagenden Blick zu, doch dann krempelten sie ihre Ärmel hoch und begannen zu suchen. Sie lasen stumm, nur durch ein gelegentliches Schnauben unterbrochen, wenn sie über etwas besonders Widerwärtiges stolperten. Abraxas Notizen erwiesen sich als Sackgasse. Wie sie schon beim ersten Lesen festgestellt hatte, war seine Forschung einfach nicht erfolgreich gewesen - jeder Versuch ein Fehlschlag - und letztendlich hatte er es aufgegeben.

„Ich werde mich oben umsehen", sagte Hermine schließlich frustriert, nachdem sie einige dicke Wälzer überflogen hatte, und stieg die Wendeltreppe nach oben. Sie brauchte eine Pause und da sie im Besitz von Lucius Zauberstab war, könnte sie den Raum betreten, der ihr in ihrem Traum verschlossen geblieben war. Sofern er überhaupt existierte.

Sie verließ Lucius Salon und ging an den Zimmern der Familie vorbei zur Treppe, die weiter nach oben führte. Es sah alles so aus, wie sie es erwartet hatte. Die vergilbten Porträts von schlafenden Zauberern und Hexen auf der einen und zwei Türen auf der anderen Seite sowie eine schmale Treppe in den Eulenturm. Schnurstracks ging sie auf die Tür zu, an deren Rahmen eine kreisrunde Aussparung darauf wartete, aktiviert zu werden. Mit nun deutlich klopfendem Herzen schob sie den Zauberstab hinein und hörte ein leises Klicken. Sie drückte leicht gegen die Tür, die sich knarzend öffnete.

Dahinter lag ein überraschend großer Raum, eine Art Wohnzimmer, mit einst prächtigen Möbeln und Vorhängen, mit fein gearbeiteten Tapeten und einem prunkvoll gemusterten Parkettboden. Man konnte erahnen, wie das alles früher ausgesehen haben musste. Doch jetzt erinnerte es stark an die heulende Hütte. Und vermutlich war der Raum für den gleichen Zweck gebraucht worden. Alles, vom Boden bis zur Decke, war mit Kratz- und Bissspuren übersät. Einige weiße Fellbüschel lagen in den Ecken und auf den Polstern, zum Teil vermischt mit dunklem, getrocknetem Blut. Wenn es hier tatsächlich einen Schutzraum für Draco gab, der mit Lucius Zauberstab geöffnet werden konnte, musste er schon länger von der Verwandlung gewusst haben. Es traf Hermine einmal mehr, dass er ihr das verheimlicht, ja sie sogar belogen hatte, als sie explizit nach Dracos Verhalten und Zustand gefragt hatte. Das kannst du ihm vorhalten, sobald er wieder wach ist, sagte eine ihrer inneren Stimmen und hatte natürlich vollkommen recht. Das hier war nebensächlich. Vor allem half es ihr nicht weiter.

Als sie wieder an den Zimmern der Familie vorbeikam, entschloss sie sich dazu, in Narzissas Schlafzimmer nach einem Hinweis zu suchen. Vielleicht steckte sie auch hinter Lucius Zustand, wie hinter allem anderen. Vorsichtig teste Hermine erst einige Zauber an der Tür, doch sie schien weder versperrt noch durch einen Fluch gesichert zu sein, und ließ sich anstandslos öffnen.

Die Einrichtung ließ keinen Zweifel an der Abstammung der Bewohnerin. Ein übertrieben großes Bett mit einem Baldachin aus dunkelgrünem Samt und dazu passender silbriger Seidenbettwäsche lenkte den Blick sofort auf sich. Die Wände waren bis zu einer Höhe von etwa einem Meter mit dem gleichen fast schwarzen Holz getäfelt, wie der Boden. Die darüberliegende Tapete war in einem dunklen Smaragdton gehalten und feinste silberne Stickereien funkelten im Tageslicht, das durch drei bodentiefe große Fenster hereinfiel. Das mittlere Fenster war erkerförmig und ein großer wuchtiger Schreibtisch stand davor. Der dazugehörige Stuhl hatte eine sehr hohe Lehne und erinnerte eher an einen Thron. Von diesem Platz hatte man sicher einen beeindruckenden Ausblick über den Park und die angrenzenden Wälder. An einer Wand war über der Tapete ein Wandteppich befestigt, der stark an den im Grimmauld Platz erinnerte. Immerhin war es das Haus der Familie Black und Narzissa hatte sicher viel Zeit dort verbracht.

Neugierig öffnete Hermine die beiden Türen, die links und rechts von dem Himmelbett abgingen, und lugte hinein. Eine führte in ein klassisches Badezimmer mit einer freistehenden Badewanne mit glänzenden Krallenfüßen und die andere Tür in einen begehbaren Kleiderschrank, der wirklich der Traum jeder Frau war. Ein beeindruckender Spiegel war an der der Tür gegenüberliegenden Wand angebracht und bedeckte beinahe die gesamte Fläche. Er war, entgegen dem Silber-Grün-Schema der restlichen Einrichtung, mit einem breiten und verspielten Goldrahmen versehen. Auf einem Bügel hing ein Morgenmantel aus Seide und darunter ein spitzenbesetztes Nachthemd. Es war dasselbe Ensemble, das sie in ihrem Traum gesehen hatte. Hermine fühlte sich augenblicklich klein und mickrig, als sie sich im Spiegel sah, inmitten der prachtvollen Roben und blank polierten Oberflächen. Schnell verließ sie den Raum, denn sie war nicht hier, um Narzissas Garderobe zu bewundern.

Sie trat näher an den Schreibtisch, der ordentlich aufgeräumt war - das Holz glänzte wächsern und nur ein Tintenfässchen mit einer ausladenden, weißen Pfauenfeder und eine kleine Eulenstatuette standen darauf. Hermine war fasziniert von dieser Darstellung, das Gefieder und die Augen wirkten so real, es hätte sie nicht gewundert, wenn sie sich bewegt und Laute von sich gegeben hätte. Als sie erkannte, was sie da vor sich hatte, ließ sie sich in den Stuhl fallen und schüttelte entsetzt den Kopf. Das war Alva. Das war ganz eindeutig ihre Eule, die Zeichnung, die Größe... Sie hatte sich große Sorgen gemacht, als es in der ganzen Zeit keine Zeichen über ihren Verbleib gegeben hatte. Vorsichtig streckte sie die Hand nach ihr aus, sie befürchtete, dass sie bei der geringsten Berührung zerspringen könnte. Sie war ganz kalt und starr, nicht das kleinste Lebenszeichen ging von ihr aus.

Finite!

Sie richtete ihren Zauberstab auf das Tier und zu ihrer großen Erleichterung begann sie sich langsam zu bewegen. Die Spitzen ihres Gefieders wurden wieder weich und ihre Augen huschten hin und her. Alva drehte ihren Kopf ganz schnell, als sie die starre Haltung endlich verlor. Vorsichtig tippelte sie ein paar Schritte auf dem Tisch und spannte ihre Flügel weit auf.

„Hallo, meine Kleine", sagte Hermine glücklich und hielt ihr einen Finger entgegen, an dem das Käuzchen gleich zärtlich knabberte, „bist du auch froh, mich zu sehen?"

Die Eule schuhute und schwang sich noch ein wenig unbeholfen in die Luft, um eine Runde durch das Schlafzimmer zu drehen. Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, wurde sie wieder sicherer und landete schließlich in einem waghalsigen Manöver auf Hermines Schulter und ließ sich ausgiebig kraulen.

Aus den Schubladen des Schreibtisches kramte Hermine einen Bogen Briefpapier, auf dem das Memo verfasst worden war, das angeblich von Harry stammte, und ihren eigenen Brief. Nicht, dass es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Narzissa Alva abgefangen und den Uhu nach Hogwarts geschickt hatte. Notizen, ein Tagebuch oder etwas anderes, das ihr weiterhelfen könnte, fand sie allerdings nicht. Enttäuscht, aber doch überglücklich, das kleine Elfenkäuzchen wieder bei sich zu haben, verließ sie das Zimmer und trat hinaus auf die Galerie.

„Gut, dass du kommst, Hermine, ich glaube, wir haben... Was ist das denn?"

„Das", antwortete sie Ron, der auf das Käuzchen auf ihrer Schulter deutete, „ist Alva, meine Eule."

„Wo hast du denn jetzt so schnell eine Eule herbekommen?"

„Sie stand versteinert auf Narzissas Schreibtisch."

„Achso. Natürlich, warum auch nicht", sagte er mit einem für ihn typischen, irritierten Gesichtsausdruck.

„Ihr habt etwas?"

„Ja, Harry hat ein Buch über einen alten Kult gefunden, da stehen echt abgefahrene Sachen drin."

Sie gingen gemeinsam zurück in den Geheimraum und Harry übergab ihr ein Buch mit einem zerfetzten Ledereinband. „Wolfsbrut". Sie erinnerte sich an dieses Buch, es hatte hier auf dem Tischchen gelegen, als Lucius mit ihr hier war, sie aber nicht weiter interessiert.

„Du meinst, das hilft uns weiter?", fragte sie und blätterte ein paar Seiten durch.

„Was Malfoy angeht, bin ich mir nicht sicher, aber du solltest es trotzdem lesen."

Hermine setzte sich auf eine der Regal-Bänke und begann zu lesen. Ron hatte Recht gehabt, was die abgefahrenen Sachen anging. Wirres Gefasel von einem Aufstieg der Kinder des Mondes und der Rache an allen Unwürdigen. Offensichtlich hatten Witherfork und Narzissa versucht, den alten Kult der Wolfsbrut wieder zu beleben. Dabei nahmen die beiden die Position der „Eltern" ein, Narzissa als eine Art Brutstätte für mächtigere Wölfe, die nicht Knechte des Fluchs, sondern Herren über die neugewonnene Kraft waren, und Witherfork als der Schöpfer. Die Zukunft, die der Kult für sich malte, war dunkel und voller Wut. Wut über die Unterdrückung und Verfolgung durch die Zauberer, über deren Versuch, ihr Geschenk, wie sie es nannten, auszuroden.

Das ganze Buch war so hetzerisch geschrieben, dass es kein Wunder war, dass schwache oder verletzte Persönlichkeiten darauf ansprachen. Es gab nur schwarz und weiß, nur Ihresgleichen und jene, die es werden wollten, auf der einen und die Verleumder, die Unwürdigen, die allesamt auszurotten waren, auf der anderen Seite. Wer dem Kult im Weg stand, musste beseitigt werden und dabei möglichst noch einem Zweck dienen, als Quelle der Macht oder auch als Abschreckung für andere Ungläubige. Der Mutter wurde dabei eine besondere Ehre zuteil, sie bestimmte als Instrument des Schöpfers über Leben und Tod. Sie gab Leben, durch die Geburt eines neuen Anhängers, und sie nahm Leben, indem sie den Kuss des Todes an diejenigen weitergab, die nicht verdienten, weiter unter ihnen zu verweilen.

Der Kuss des Todes... Das war es. Das musste es sein. Hektisch las Hermine weiter, um möglichst schnell auf die Lösung des Rätsels zu kommen und dabei doch keine Details zu übersehen.

Endlich fand sie einen Absatz, in dem die Wirkung von Schwarzem Bilsenkraut oder Hexenkraut angepriesen wurde, das dem Opfer seine Kräfte entziehen und es langsam in einen wehrlosen Schlaf bringen soll. In diesem Stadium soll es dann der Stärkung des Rudels dienen. Die Vorstellung, dass das Rudel geplant hatte, Lucius zu fressen, war schwer zu ertragen, auch wenn es natürlich nahegelegen hatte.

Ganz zufrieden war Hermine mit ihrem Fund jedoch nicht, denn Lucius war es nach Narzissas Kuss nicht schlecht gegangen. Ja, das Buch sprach von einer langsamen Wirkung, doch als Hagrid ihn mit dem Bolzen getroffen hatte, war es rapide abwärts gegangen. Mit dem Silber... Sie sprang auf und rannte hinaus in den Hauptteil der Bibliothek und in den Raum mit den Zaubertrankbüchern. „Höchstpotente Zaubertränke", danach suchte sie fieberhaft und schlug es hastig auf, als sie es fand.

Da war es. Der Trank der Lebenden Toten. Sie fuhr mit dem Finger über die Zutaten und Anleitung und wurde tatsächlich fündig. Neben Wermut und Affodilwurzel musste noch der Saft einer Schlafbohne und Baldrian hinzugegeben werden. Die Schlafbohne musste mit einer silbernen Klinge aufgeschnitten, oder wie Harry es einst getan hatte, ausgequetscht werden. Sie zog ein weiteres Buch aus dem Regal, eine Art Zutatenlexikon, und blätterte bis zum Buchstaben S.

Schlafbohne, Die; Auch Schweinebohne genannt, ist eine Kapsel der in Europa heimischen Giftpflanze Bilsenkraut. Mit Vorsicht und in Maßen angewendet, ist sie eine höchst wirkungsvolle Zutat.

Das war es. Da hatte sie die Lösung. Narzissa hatte Lucius durch ihren Kuss oder vielleicht über die Wunden an seinem Hals den Saft von Schlafbohnen übertragen. Das Silber des Bolzen hatte damit reagiert und als Molly die Schmerzen mit Baldrian stillen wollte, hatte das dazu geführt, dass Lucius in eine Art Koma fiel. Jetzt, da sie wussten, was zu seinem Zustand beigetragen hatte, dürfte es für die Heiler ein Leichtes sein, ihn aufzuwecken. Sie klappte das Buch zu und ging erleichtert lächelnd zu ihren Freunden zurück.

Lumine II - WolfsbrutWhere stories live. Discover now