Kapitel 18

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Lucius

„Schneller, Hagrid!"

Sie hatten gerade ein durchdringendes Heulen gehört, nicht allzu weit von ihnen entfernt. Der Halbriese keuchte. Er war kein ausdauernder Läufer und Lucius ärgerte sich beinahe, dass er ihm erlaubt hatte, mit ihm zu kommen. Seine Armbrust würde ihnen sicher noch nützen, doch wie sie es zu zweit mit dem Rudel aufnehmen sollten, das inzwischen offenbar verwandelt war, wusste er nicht. Sie konnten nur hoffen, dass die Verstärkung bald genug eintraf. Es dauerte nicht lange, bis sie eine mondbeschienene Lichtung ausmachten. Ein weiteres Heulen bestätigte, dass sie nun ganz nah waren. Lucius duckte sich hinter einen umgestürzten Baumstamm und lauschte. Hagrid war noch nicht wieder zu Atem gekommen und sog lautstark Luft ein. Er war auch nicht gerade unauffällig mit seiner massigen Gestalt.

„Warten Sie hier. Ich gehe etwas näher ran und versuche, einen besseren Blick zu bekommen."

Hagrid nickte und hielt sich die Seite, als er sich hinter die große Wurzel, die aus Erdreich gerissen worden war, fallen ließ. Lucius schlich von Deckung zu Deckung und mit jedem Meter, den er näher an die Lichtung gelang, stieg seine Nervosität. Er konnte bereits erkennen, dass eine zierliche Gestalt in der Mitte lag. Blut oder andere Kampfspuren konnte er nicht ausmachen, es sah aus, als ob sie schliefe. Zwischen den Bäumen entdeckte er mehrere gelbe Augenpaare und viel zu viele gefletschte Zähne. Nichts bewegte sich, nur die sich sanft im Wind wiegenden Bäume. Die Spannung war beinahe greifbar und erst der Ruf einer Eule direkt über ihm beendete das Stilleben. Er hatte gerade noch überlegt, ob er einfach versuchen sollte, Hermine zu packen und mit ihr davon zu fliegen, denn dann wären seine alten Todesser-Fähigkeiten wenigstens einmal zu etwas nutze gewesen, doch dafür war es zu spät.

Eine unsichtbare Macht zwang ihn, langsam auf die Lichtung zu kommen. Er versuchte, sich dagegen zu wehren, doch seine gesamte Willenskraft reichte nicht aus, um es zu verhindern. Jemand brachte ihn dazu, sich neben die reglose Frau zu knien. Er sah nun, dass ihre Augen weit geöffnet waren und im Mondlicht die Spuren von Tränen auf ihren Wangen glitzerten. Er vermutete, dass sie geschockt worden war, immerhin war sie noch am Leben, denn ihr Brustkorb hob und senkte sich stetig.

„So, so, da erscheint nun der edle Ritter in seiner strahlenden Rüstung."

Narzissa trat aus dem Schatten. Sie trug einen pelzbesetzten Umhang und lächelte diabolisch. Er sah sie überrascht an, mit ihr hatte er nicht gerechnet.

„Du bist so leicht zu durchschauen, Lucius. Fenrir und die anderen haben mir nicht geglaubt, dass es so einfach werden würde, aber hier bist du, der lebende Beweis. Noch."

„Was willst du? Was soll das alles?"

„Was ich will? WAS ICH WILL? ICH WILL GERECHTIGKEIT!", kreischte sie und stierte ihn an. Er hatte diesen Blick schon oft in Bellatrix Gesicht gesehen, aber noch nie an seiner Frau. Doch das gleiche Blut floss durch ihre Adern und es schien als hätte sie der Wahnsinn der Familie Black nun eingeholt.

Sie kam auf ihn zu, ihre Schritte ein wenig wackelig, aber dennoch erhaben und selbstsicher.

„Sieht es nicht friedlich aus?", flüsterte Narzissa und fuhr mit der Spitze ihres Zauberstabes über Hermines Schläfe bis zu ihrer Kehle, wo sie innehielt, „Als ob es schläft, das dreckige Schlammblut. Wie leicht wäre es für mich, diesem wertlosen Leben ein Ende zu setzen. Aber das wäre zu einfach, nicht wahr? Das würde nicht genug Eindruck hinterlassen, findest du nicht?"

Narzissa umgab eine starke magische Aura, die begann, sich kribbelnd auf ihn auszubreiten, je näher sie ihm kam. Sie beugte sich zu ihm hinunter, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten, und sah ihm fest in die Augen.

Crucio!

Er erwartete, den Schmerz zu spüren, doch sie hatte den Zauberstab nicht auf ihn, sondern noch immer auf Hermine gerichtet, die jetzt aus voller Kehle schrie. Obwohl er nicht getroffen worden war, fühlte er die Qualen beinahe körperlich. Narzissa hatte ihn die ganze Zeit angestarrt und packte ihn nun an der Gurgel. Sie gab ihm einen schier unerträglich brutalen Kuss, gegen den er sich nicht wehren konnte. Der Kuss des Todes. So kam es ihm jedenfalls vor - als ob sie gerade sein Urteil gefällt hätte.

Hermine

Das Ganze war auf eine erschreckende Art und Weise Ironie des Schicksals. Wie er selbst einst auf Harry gelauert hatte, um ihm die Prophezeiung abzujagen, war Lucius an diesem Tag seinerseits an einen Ort gelockt worden, wo nichts Gutes auf ihn wartete. Hermine konnte nun nachvollziehen, wie schuldig Harry sich gefühlt haben musste, als er blindlings ins Ministerium geeilt war, um Sirius zu retten, nur um letztendlich dazu beigetragen zu haben, dass er im Kampf fiel.

Der Schmerz des Folterfluchs durchzuckte sie nicht gänzlich unvorbereitet - sie hatte damit gerechnet, gequält zu werden - doch die Wucht des Zaubers traf sie dennoch hart. Als die Nachwehen der Schmerzen abebbten und ihr Kopf wieder klar wurde, sah sie, wie Narzissa ihre Finger in Lucius Kehle vergraben hatte und die beiden sich küssten. Heiße Eifersucht brannte in Hermines Eingeweide und sie ballte ihre Fäuste. Zu ihrer großen Überraschung, gelang es ihr tatsächlich, denn sie war nicht mehr gelähmt. Sie blieb jedoch weitestgehend regungslos liegen und hoffte auf einen günstigen Moment.

Narzissa stieß Lucius mit aller Macht zu Boden. Hermine konnte eine kleine Menge Blut aus den fünf Wunden tropfen sehen, die Narzissa mit ihren Fingernägeln verursacht hatte.

„Draco!", kreischte die Hexe, „Draco! Komm und begrüße Deinen Vater in unserer Mitte!"

Sie trat ein paar Schritte zur Seite und ein weißer Wolf kam langsam zwischen den Bäumen hervor. Es verlangte ihr alles ab, nicht in Panik auszubrechen und sich zu bewegen. Lucius war nicht in ihrer Reichweite und sie konnte ohnehin nicht von hier disapparieren, die Schutzzauber der Schule verhinderten das. Sie wusste nicht, was sie tun könnte, um sie beide zu retten, und ein leises Keuchen entfuhr ihr, als der Wolf zu sprechen begann. Die Stimme war etwas tiefer, etwas knurrender, aber eindeutig die von Draco.

„Hallo Vater", der weiße Wolf umkreiste sie und blieb schließlich nur einen Satz von ihnen entfernt stehen, „überrascht, mich zu sehen?"

Lucius röchelte nur leise.

„Du musst deutlich sprechen. Und schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!"

Der Wolf sprang nach vorne und schnappte nur wenige Zentimeter von Lucius Gesicht entfernt zu. Er lachte grausam und nun traten fünf weitere Wölfe auf die Lichtung. Große Macht musste hier im Spiel sein, sonst hätten sie niemals die Bestie in sich unterdrücken können. Keiner der Verwandelten machte auch nur Anstalten, sich auf die beiden Gestalten in der Mitte zu stürzen, was sie normalerweise sofort getan hätten. Narzissa tänzelte im Hintergrund und schien das alles sehr zu genießen. Es war nicht so, dass Hermine diese Hexe besonders gut kannte, doch sie hatte nie den Eindruck gehabt, dass sie ihrer Schwester besonders ähnlich war. Sie war ihr immer kühl, unnahbar und beherrscht vorgekommen. Jetzt war sie aber das lebende Abbild von Bellatrix. Der gleiche Wahnsinn, die gleiche ekstatische Grausamkeit, die gleiche Wankelmütigkeit.

Lumine II - WolfsbrutWhere stories live. Discover now