*17* Nächtliche Suche

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Unruhig tigere ich in meinem neuen Zimmer auf und ab.

Es ist mittlerweile dunkel geworden, noch dazu pladdert der Regen gegen die Fensterscheibe und ein heftiger Wind biegt die Bäume im Wald hin und her.

Das Abendessen habe ich ausfallen lassen, ich hatte nicht besonders große Lust mit den Leuten, die mein Leben vollends zerstören, gemütlich an einem Tisch zu sitzen.

Zu dem Grund warum ich so nervös bin: Clayden ist nicht da. Seit er vorhin in den Wald gerannt ist ist er nicht mehr aufgetaucht und ob ich es nun will oder nicht mache ich mir Sorgen um ihn, denn das Unwetter, das da draußen tobt ist keinesfalls harmlos.

Anfangs Versuche ich mir noch einzureden, dass er mir egal ist, dass mir egal ist was mit ihm passiert oder auch nicht passiert aber je mehr Minuten verstreichen desto bewusster wird mir, dass es mir keinesfalls egal ist.

Im Haus ist es ebenfalls ziemlich unruhig, dauernd rennt irgendwer die Treppe hoch oder runter, Wölfe rennen in und aus dem Wald heraus, im Erdgeschoss hört man immer wieder wie sich jemand etwas zu schreit, die Haustür geht auf und zu.

Zur Sicherheit habe ich meine Zimmertür nur angelehnt, sonst könnte ich den ganzen Trubel wohl nicht hören.

Mal wieder fliegt die Haustür auf und ich sperre gespannt meine Ohren auf.

»Nichts. Wir haben das ganze Revier durchkämmt und haben keine Spur gefunden. Der Regen hat alles verwischt.«

Höre ich Coles Stimme in der Eingangshalle und luke vorsichtig um die Ecke.

Cole steht klatschnass und schlammbedeckt in eine Decke gewickelt in der Halle und schaut die Haushälterin Tine erschöpft und enttäuscht an.

»Wo sind denn die anderen?«

»Ich habe die Sucheinheit nach Hause geschickt, alle waren komplett durchnässt, dreckig und müde, außerdem haben wir keine Chance ihn heute Nacht noch zu finden, der Regen hat alle Spuren verwischt.«

»Der Arme Clayden, hoffentlich ist ihm nichts passiert!«

»Er antwortet nicht im Rudellink, das macht mir Sorgen. Keiner hat ihn gesehen, gehört oder gar gerochen. Es ist hoffnungslos.«

Erschrocken halte ich die Luft an. Clayden ist tatsächlich weg! Bei dem Gedanken was ihm alles passieren könnte wird mir unwillkürlich schlecht.

»Komm Cole, du kannst heute nichts mehr für ihn tun.«

Vernehme ich ein letztes Mal Tines Stimme, dann wird es ruhig. Zu ruhig.

Kein Geräusch ist mehr im Haus zu hören, keiner rennt mehr Treppen hoch oder runter, keine Wölfe sind mehr draußen zu sehen und die Haustür ist und bleibt zu. Das Rudel hat für heute aufgegeben.

Fassungslos setze ich mich auf mein Bett. Wie können die so einfach aufgeben?!? Ihr verdammter Alpha ist im Unwetter verschwunden!!

Entschlossen springe ich auf, keine Ahnung was mich dazu bringt das zu glauben aber ich denke ich kann ihn finden. Immerhin ist er mein Mate.

Na gut, ich spüre ihn Dank meiner menschlichen Seite nicht so sehr wie er mich aber das hier ist ein verdammter Notfall und einen Versuch ist es wert.

Leise schleiche ich mich aus meinem Zimmer die Treppe hinunter in die Halle, alles ist still.

Hastig husche ich durch die Halle und schlüpfe aus der Tür in die Nacht.

Als ich am Waldrand angekommen bin sehe ich mich noch einmal um, dass ja keiner sieht wie ich mich verwandle, dann verschwinde ich einige Meter in die Büsche und verwandle mich.

Mein strahlend weißes Fell kommt in der Dunkelheit noch mehr zur Geltung und dient nicht gerade für eine gute Tarnung, was mir aber im Moment vollkommen egal ist.

Schnuppernd recke ich meine Nase in den Wind und Versuche angestrengt die vielen Gerüche zu filtern und irgendwo eine Spur von Clayden ausfindig zu machen.

Nichts.

Der Wind verwischt die Gerüche und auf dem schlammigen Waldboden kann man keine Spuren erkennen.

Doch aufgeben zählt für mich nicht, ziellos renne ich durch den Wald, halte immer wieder an und schnuppere, doch ich bleibe erfolglos.

Irgendwann werfe ich mich niedergeschlagen auf den Boden, sofort verfärbt sich mein ehemals weißes Fell dunkelbraun und wird ekelhaft feucht. Zu allem Überfluss fängt es wieder an zu regnen und binnen Sekunden bin ich nicht nur dreckig sondern auch vollkommen durchnässt.

Mühsam rappele ich mich auf und gehe geduckt zurück Richtung Rudelhaus, als mir auf einmal ein bekannter Geruch in die Nase steigt und ich alarmiert meinen Kopf hebe.

Clayden!

Eilig drehe ich mich wieder um, nehme seine Fährte auf und folge dem Geruch zurück in den Wald, bis zu einem riesigen Felsbrocken.

Ziemlich weit oben kann ich mehrere Höhlen entdecken, in einer von ihnen leuchtet ein schwaches Licht.

Freudig renne ich darauf zu und versuche auf die nicht besonders hoch gelegene Höhle zuzulaufen, doch meine schlammigen Pfoten rutschen immer wieder unter dem glatten, felsigen Untergrund weg und ich fliege ein paar Mal beinahe auf die Schnauze.

Endlich bin ich bei der Höhle mit dem Licht angekommen und renne ein Stück hinein.

Was ich drinnen sehe verschlägt mir den Atem. Clayden sitzt seelenruhig in eine Decke gewickelt an einem kleinen Lagerfeuer und schaut mir lächelnd entgegen.

Perplex starre ich ihn an. Also irgendwie habe ich mir das hier anders vorgestellt, ich hätte erwartet ihn verletzt oder gar tot vorzufinden aber definitiv nicht so!

»Du fragst dich jetzt bestimmt was das hier soll?«

Sagt er immernoch lächelnd und zögerlich nicke ich.

»Tja, ich hatte schon länger den Verdacht, doch ich war mir nie hundert Prozent sicher, immer wieder hat es danach ausgesehen, dann wieder nicht aber letztendlich sprachen alle Anzeichen dafür. Du bist meine Mate, Jesse. Du wirst ganz sicher sauer auf mich sein deswegen aber das alles war geplant. Ich war nie verschwunden, das Rudel hat mich nicht gesucht. Das alles war inszeniert. Es war nur eine Vermutung, dass du mich suchen würdest aber es hat geklappt und somit ist es bewiesen. Du bist meine Mate!«

Erschrocken taumle ich einen Schritt zurück. Das kann, nein, das darf nicht wahr sein!

Abwartend schaut er mich an. Ich starre zurück. Dann kriecht ein verängstigtes Knurren meine Kehle herauf, sodass er mich erschrocken ansieht.

»Du wusstest es, oder? Warum Jesse? Warum tust du so etwas?«

Ich fühle mich, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen, mein Kopf ist leer gefegt.

Langsam, aber dann immer schneller gehe ich einen Schritt nach dem anderen Rückwärts, bis ich mich umdrehe und zurück in den Wald renne.

One and a half wolves [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt