Kapitel 2

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  Reflexartig greife ich nach meinem Kaffeebecher, der von dem Wind und der nicht vorhandenen Beschwerung in Form von Geld, beinahe davon weht. Es müssen nur wenige Stunden vergangen sein, da mein Magen noch kein Rockkonzert von sich gibt, sondern immer noch bei leisem Gesinge geblieben ist. Aber ich merke die Qual, die Gier nach einer Stärkung. Bisher laufen nur die arroganten Anzugträger der gegenüberliegenden Firma, dessen Geld ihnen für einen kostenlosen Kaffeebecher einer aufgrund Baumaßnahmen längst geschlossenen Tankstelle viel zu schade ist, an mir vorbei, ohne auch nur einen Funken an Interesse zu zeigen. 

  Ich setzte mich ein wenig auf, schaue den Menschen direkt ins Gesicht und sehe die Schadenfreude, Hoffnungslosigkeit oder die erbarmungslose Ignoranz in ihnen. Irgendetwas sagt mir, dass ich diesen Winter nicht überstehen werde. Vielleicht war es eine blöde Idee, an den Ort zurück zu kehren, an dem mein Bruder letztes Jahr an den schweren Folgen des Hungers von uns gegangen ist. Jeden Tag habe ich mir versucht einzureden, dass es nur eine Außnahme war...dass es ihm seine Nieren heimgezahlt haben...aber,... nein. Er musste mich im Stich lassen, weil ihm selber auch niemand helfen wollte. Und genau so werde ich wahrscheinlich enden. Ich werde verhungern, wenn sich nicht bald etwas ändert. 

"Haben sie wenig Geld für mich übrig?", frage ich einen eher klein-gebauten Typen in einem langen Wintercoat, der ihm bis zu den Knien reicht. Wie sehr ich ihm nach seinen Wintercoat fragen möchte...

"Haben sie bitteetwas Restgeld für mich übrig?", bekomme ich zuhören, bevor er an seinen heißen Becher schlürft und auf mich herab schaut. Unter seinem Kinn bilden sich Falten. 

"Tut mir Leid...", murmle ich in meinen dünnen Schal und ziehe die Knie an meine Brust, während ich schlucke, um abermals an die Schmerzen in meinem Hals erinnert zu werden.  Selbst sein voller Kaffeebecher könnte mir den Tag verschönern. Hoffnungslos starre ich das zerkratze Logo an, welches einst Bolder's Gas Station hieß, nun jedoch nur noch die Hälfte des Namens zu erkennen ist. Dies weiß ich, weil ich zuvor immer siebzehn Buchstaben zählen konnte, während ich mit meiner Mutter an dem schon immer heruntergekommenen Häuschen mit zwei Tankstationen vorbeigegangen war, jetzt jedoch nur noch acht und einen Halben. Anhand dieses Namens brachte sie mir das Zählen bei, als ich ungefähr vier Jahre alt war. Damals sagte sie zu mir, dass ich noch zu jung wäre, um Lesen und Schreiben zu erlernen...dann starb sie nur wenige Jahre später und konnte es mir leider nicht mehr beibringen. Auch mein Bruder kannte nur die wichtigsten Worte, also fragte ich immer ihn, welcher denn unser Zug sei oder mit welchen Zutaten die Nudelsuppe im Supermarkt wäre. Nun bin ich dem Schicksal ausgeliefert. Der Mann ist mit seinem heißen Kaffee verschwunden. Aber ich will nicht sterben. Herzlos. Ich schaffe das schon irgendwie! 

"Entschuldigen sie, haben sie wenn möglich ein wenig Geld für mein Mittagessen übrig?" Ich hasse es aufrdringlich zu sein, aber momentan sehe ich keinen anderen Ausweg mehr. Die Mutter der beiden Kinder, die mich beide auf Augenhöhe von Kopf bis Fuß mit weit aufgerissenen Augen beobachten, schaut sich um, bis auch sie mich auf dem Boden kauernd entdeckt und ihren Kopf nachdenklich zu einer Seite neigt. Der Junge mit den rosa Wangen bäugt sich zu meinem Kaffeebecher herunter und wird sofort mit einem Ruck von seiner Mutter zurück gehalten. Ich runzle meine Stirn. Fass das nicht an! George! Das fässt man nicht an! , höre ich sie nur wiederholend murmeln. 

"Was kannst du denn?", fragt er mich und die runden, braunen Augen betrachten mich erwartungsvoll. Die sanfte Stimme ist Musik in meinen Ohren. Seine Schwester scheint mittlerweile auch etwas Interesse an mir gefunden zu haben und ich sehe ihre Augen zwischen mir und ihrem Bruder hin- und her schwenken. 

"I-ch...also...", stottere ich und bekomme keinen einzigen Satz heraus. Was kann ich denn? ... Nichts.

Komm George! 

Million Dollars Between Us (Damien & Birdie - Trilogie #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt