1. Warum

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"KAILY - GINA!"

Entnervt betrachtete ich das zerknüllte babyblaue Handtuch in der einen Ecke des Badezimmers, dann die im ganzen Bad verteilten Sachen und zum Schluss die riesige Wasserpfütze vor unserer Duschekabine.

Wann lernte sie bitte mal das Bad in Ordnung zu halten und wie ein normaler Mensch zu duschen?

"KAILY!", rief ich sie ein weiteres Mal sauer, nur ließ ich diesmal nicht ihren Doppelnamen fallen. Eigentlich reagierte sie sofort, wenn ich sie so rief.

Laut.

Genervt.

Mit Doppelnamen.

Ein paar Sekunden wartete ich mehr oder weniger geduldig darauf, dass sie endlich neben mir im Türrahmen auftauchte. Doch da sie sich noch immer nicht blicken ließ, drehte ich mich zähneknirschend auf den Fersen um und wollte gerade ihr Zimmer ansteuern, als es an der Haustür klingelte.

Unschlüssig blieb ich stehen und dachte verwirrt darüber nach, wer uns denn um diese Zeit bitte besuchen wollte.

Unsere Freunde würden erst um neunzehn Uhr zum Vorglühen auftauchen und so weit ich weiß, haben wir auch gar kein Paket oder sowas bestellt. Lieferte die Post um achtzehn Uhr überhaupt noch aus?

Ich machte einen Schritt Richtung Kailys Zimmertür, als es ein weiteres Mal klingelte und diesmal ziemlich lange und penetrant.

Was um Himmelswillen?

Wir lebten außerdem in einer ziemlich verschlafenen Gegend, irgendwo am Stadtrand in einer kleinen Siedlung. Unsere Doppelhaushälfte wurde generell oft übersehen, weil eine riesige Rosenhecke vor unserem Vorgarten die Sicht auf unser Grundstück und erst recht auf das Haus versperrte.

Man kam nur hierher, wenn man auch wirklich zu uns hinwollte. Hier verirrte sich selten jemand her.

Umso verwunderlicher, dass es um diese Zeit an unserer Tür klingelte...

Erneute dröhnte mir die Klingel in den Ohren, ganz lang und viel hintereinander, sodass ich das Projekt Kaily erstmal fallen ließ und noch eine Spur gereizter zur Tür davonrauschte.

"Wir wollen nichts kaufen und wir haben auch nichts bestellt. Also was wollen Sie bitt-" Ich verstummte schlagartig.

Hätte ich vorher vielleicht doch einen kurzen Blick durch den Spion geworfen, dann hätte ich mich schon mental auf das, mit was ich ihn nun konfrontiert wurde, besser vorbereiten können.

Oder besser gesagt mit wem.

Weiß.

Das ist das erste, was in mein Blickfeld geriet.

Ein weißer Stoff mit Knöpfen.

Ein makelos weißes Hemd spannte sich über breite Schultern und ließ einen nur erahnen, was für ein trainierter Oberkörper sich unter dem Stoff verbergen könnte. Mein Blick rutschte weiter herunter zu der dunkelblauen Hose, in die das weiße Hemd fein säuberlich hereingesteckt verschwand. Um das noch besser als Gesamtbild abzurunden, fehlte natürlich auch ein dunkelbrauner Gürtel nicht. Meine Augen hangelten sich an den langen Beinen zu den teuer aussehenden Lederschuhen herunter.

Der Mann musste sich sehr im Statdviertel geirrt haben und konnte hier in der Gegend definitiv lange nach einem auf hochglanz polierten und strahlenden Firmengebäude Ausschau halten.

Ein Räuspern riss mich von dem Anblick der brauen Lederschuhe los, die nicht so sehr optisch auf den Untergrund Rasen passten.

Als ich in das Gesicht blickte, fragte ich mich fassungslos, aus welchem Modemagazin er denn bitte entsprungen ist.

Von der makellosen gebräunten Haut mal abgesehen, hatte er fast symmmetrische Gesichtszüge. Es schien, als hätte ein Künstler entschieden, wo und wie markant die Gesichtszüge geformt werden und dass es als Gesamtbild absolut faszinierend und einprägsam wirken soll.

Die ausdrucksstarken Augen waren bestimmt auch von seiner Mischpalette entsprungen und wurden pingelig mit Fingerspitzengefühl eingezeichnet. Ein dunkelblauer Rand, der die Form der Iris darstellte und dann ganz langsam von dunkelblau zu hellblau und dann schlussendlich zu hellgrau überging, sodass die schwarze Pupille in einen besonders starken Kontrast zu ihrer Umgebung stehen konnte.

Die dunklen, leicht geschwungenen Augenbrauen verliehen dem Besitzer des Gesichts einmal mehr einen wachen und überlegenen Ausdruck.

Eine große tättowierte Hand ging sich durch die lässig sitzenden kastanienbraunen Haare, die sich an den Spitzen lockten und weitere Fragen hevorriefen.

Wie ist denn bitte eine Haarstruktur dieser Art bei einem Mann und auch noch bei nicht so langem Haar möglich? Wie kann das Haar erst glatt fallen und sich dann aufeinmal in dezenten kleinen Korkenzieherlocken umwandeln?

Mein Gegenüber sah mir ebenfalls nicht ins Gesicht und auch nicht auf die Haare. Eher betrachtete er das Bild auf meinem Shirt mit hochgezogenen Augenbrauen.

Na toll, warum musste ich heute auch unbedingt so einen riesigen glubschäugigen Hasen auf der Frontseite herumtragen?

Weil du das Shirt bequem findest, wisperte meine innere Stimme kichernd vor sich hin.

Bequem, aber ziemlich peinlich, wenn man so einen unerwarteten Besuch bekam.

Ich schluckte angestrengt meine Beschämung herunter. "Wie... Wie kann ich Ihnen helfen? Haben Sie sich verfahren? Wissen Sie nicht den Weg in das Stadtzentrum?"

Ganz langsam wanderten seine schönen Augen über meinen Oberkörper hinweg zu mir hoch und der nun viel zu intensive Blickkontakt machte es mir erst recht nicht leichter, mich in irgendeiner Art und Weise zu konzentrieren.

"Wohnen Sie hier?"

Seine Stimme war tief. Und obwohl er mir nur eine einfache Frage gestellt hatte, klang das eher nach einem Anfang für ein Verhör.

Ein Mensch, der nur auf eindeutige Antworten aus ist und langes unnötiges Geschwafel ungerne ertrug.

Tja, wenn der erfolgreicher Geschäftmann war, hatte der bestimmt auch keine Zeit für endloses Geschwafel.

Aber auch keine Zeit, um mal so eben einem Haus, versteckt hinter einer gigantischen Rosenhecke, in einem der ruhigsten Viertel der Stadt ein Besuch abzustatten.

Wie verrückt.

"Ja", antwortete ich schließlich gedehnt und strich mir eine meiner dunkelblonden Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Warum?"

"Dann gehört Ihnen der schwarze Dodge doch bestimmt auch ... oder?"

Oh, oh... hörte ich da etwa eine Spur zu viel Verärgerung mitschwingen?

Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust, weil ich irgendwie das Gefühl bekam, mich in irgendeiner Art und Weise zu verteidigen oder wenigstens zu schützen.

Der glubschäugige Hase bekam noch Depressionen, wenn er den jetzt ziemlich grimmigen Blick von ihm abbekommen würde.

"Nein", erwiderte ich schlicht und zu meiner eigenen Überraschung sehr gelassen. Naja, mal schauen, wie lange ich noch gelassen sein würde. "Warum?"

Und wieder ging er auf das warum nicht weiter ein.

Beantwortete er überhaupt mal Fragen von anderen?

"Wissen Sie zufällig, zu wem dieses Auto gehört?"

Warum wollte er das wissen? War er ein Autofreak und flippte bei schwarzen Dodges aus, wenn sie irgendwo in der Gegend herumstanden?

Ich legte den Kopf etwas schief und lehnte mich an dem Türrahmen an. "Ja."

Er holte tief Luft, ehe er sich plötzlich vorlehnte, um mit mir auf einer Augenhöhe zu sein. Sofort nahm ich einen angenehmen Duft war, der zu mir hervordrang und mich genauso um den Finger wickelte wie seine schönen Augen.

Erstes Kapitel und wie hat es euch gefallen?😊


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