Sommerferien 1943

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Aurelia
Ich verbrachte viel Zeit alleine. Wenn ich zu Hause war, war immer etwas los, denn wenn mein Cousin und Maja arbeiteten, was sehr oft der Fall war, passte Tante Hepzibah auf den kleinen Robert auf. Diese Aufgabe nahm sie sehr ernst.
Anscheinend wollte sie bei ihm alles richtig machen, was sie bei Henry falsch gemacht hatte. Wie zum Beispiel, ihn einmal zu oft fallen zu lassen.

Nur Spaß.

Ein schlechter ich weiß.

Hier sieht man die geistigen und seelischen Höhenflüge, die ich hier hatte.
Zum Beispiel vom Bett zum Sofa, vom Sofa zum Kühlschrank und zur Toilette.

Wenn Tante Hepzibah nicht auf Robert aufpasste, backte sie Kuchen, kaufte neue Sammlerstücke, oder informierte sich über Investments. Sie wollte nämlich Geld anlegen, damit Henry und seine Kinder einmal reich würden. Und ich vielleicht auch.

So sehr ich es genoss, den kleinen, strampelnden Säugling zu beobachten oder Hepzibah dabei zuzusehen, wie sie in ihrem Element war, ich merkte, dass ich kein Teil dieses Rummels war.

Versteht mich nicht falsch. Ich liebte sie alle von ganzem Herzen. Aber gerade eben liebte ich sie mehr aus einem gewissen Sicherheitsabstand, sodass die fröhliche Hektik nicht auch noch von mir Besitz ergriff und ich letztendlich etwas tat, das ich bereute. Das passierte mir immer, wenn ich nicht nachdachte.

Lucy und Kendra waren beide im Urlaub und Tom gammelte deprimiert im Waisenhaus herum. Davon abgesehen fühlte ich, dass ich von ihm auch erst einmal Abstand halten sollte. Zumindest bis ich meine Gedanken bezüglich ihm ein bisschen geordnet hatte.

Ich versuchte, mich damit abzulenken, die Bücher für nächstes Jahr durchzulesen, ich strickte einen Pullover - natürlich magisch, ich nähte Sommerkleider, Blusen, Röcke, doch so sehr ich mich bemühte, die Gedanken kehrten immer zurück.

Letztendlich endete ich jeden Tag in der Hängematte und dachte nach.

Toms verschlossener Blick, als Myrthe gestorben war, Theos Mal, Tom und die Weggabelung. Meine Vision.
War es eine Vision gewesen? Hatte ich Versionen der Zukunft gesehen? Hatte der Text über Seelentiere Recht gehabt und ich konnte in die Zukunft sehen? So Wahrsagen-mäßig? Hätte ich das Fach Wahrsagen wählen sollen? Was bedeutete die Weggabelung? Waren es mögliche Schicksale?

Gab es nur diese zwei Wege? Hatte ich die Wahl zwischen meinem Mord an Tom, der mich nach Askaban bringen würde und in Dunkelheit enden würde und dem Wirrwarr, der ebenfalls in Dunkelheit enden würde?

Ich musste nicht darüber nachdenken. Ich würde Tom nicht töten. Ich wäre nie auch nur auf die Idee gekommen.
Aber wenn ich die Zukunft gesehen hätte, was bedeuteten das Baby, die rothaarige Frau, der Becher, das Diadem, das Medaillon? Wie führten sie in die Dunkelheit?

Die Zeit verging, während meine Gedanken kreisten und nirgends hinführten.

Jeden Tag wurde es Nacht und die Sterne leuchteten auf mich herab. Still, würdevoll, unnahbar und doch spürte ich eine Verbindung zu ihnen.
Eine Sehnsucht, die mich zu ihnen zog.

Die alten Griechen hatten geglaubt, dass die Seelen von Artemis' Kriegerinnen nach einem ehrenvollen Tod dort als Sterne für immer leuchteten, um den noch lebenden Kriegerinnen Trost und Mut zu spenden. Sie würden für immer leuchten und ihnen den Weg zeigen.

Zeigt mir den Weg!, dachte ich.

Nichts.

Am Ende waren wir alleine auf der Welt und wir müssen unsere Entscheidungen alleine treffen. Wir müssen die Verantwortung alleine tragen. Wir müssen unsere Fehler alleine machen und sie alleine wieder gut machen.

The other heir -You're never the only oneWhere stories live. Discover now