Das Sportfest

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                         Juliette Streich

Am Sonntagmorgen hievte ich mich aus dem Bett. Ich würde nie eine Morgenperson werden, trotz der Sonne, die durch mein Fenster strahlte und der verlockende Duft nach Rührei, der von unten aus der Küche kam. Meine Schwester übernahm die Rolle des Kochens in unsere Familie.
Summend stand sie also auch an diesem Morgen am Herd und begutachtete das Rührei in der Pfanne.

„Na, gut geschlafen?", fragte sie mich, als sie mich von hinten kommen hörte, „Papa holt gerade Brötchen vom Bäcker.".

Stöhnend ließ ich mich auf meinen Platz fallen. In einer Stunde musste ich bereits bei meinem Handballspiel sein. Wie konnte man am Morgen nur so gut gelaunt sein?

„Wo ist Mama?", murmelte ich und nahm mir eine Weintraube.

„Wuselt irgendwo im Haus rum", antwortete Helena und stellte die Pfanne auf den Tisch. Dann setzte sie sich neben mich.

„Wie war Uni diese Woche?", fragte ich sie, den Mund voller Weintrauben. Ich beobachtete, wie meine ältere Schwester sich durch die Lockenpracht fuhr und geräuschvoll ausatmete.

Sie war jetzt das erste Semester an der Universität ungefähr 50 Kilometer von unserer Heimatstadt entfernt. Dort studierte sie Jura. Jeden Morgen fuhr sie erst mit dem Fahrrad zum Bahnhof und saß dann circa 45 Minuten in der Bahn, um zur Uni zu kommen.

Ich konnte mir gut vorstellen, dass das auf die Nerven schlug. Helena war drei Jahre älter als ich und besaß von uns beiden definitiv sowohl die bessere Ausdauer, als auch weitreichendere Motivation für das Lernen. Ich bewunderte sie für ihren Ehrgeiz, schließlich schaffte nicht jeder das Jurastudium. Bei Helena machte ich mir da aber keine Sorgen.

„Anspruchsvoll... Dagegen ist Schule wirklich nichts. Bei den Dozenten habe ich aber nochmal Glück gehabt. Ich habe gehört, dass das noch schlimmer geht", erzählte Helena und ich konnte die leichte Müdigkeit aus ihrer Stimme raus hören.

„Ist Melanie in vielen deiner Kurse?"  Melanie war Helenas beste Freundin und den Gefallen an Jura hatten sie auch gemeinsam entdeckt.

„In relativ vielen, ja. Gehst du mit deinen Freunden eigentlich auch wieder aufs Stadtfest?", fragte meine Schwester.

„Jup. Vielleicht mit der Mannschaft kurz, aber dann setzte ich mich zu der üblichen Truppe ab."

„Dann sehen wir uns bestimmt. Paul, Johan und Max sind für das Wochenende auch wieder in der Stadt. Melli und ich gehen dann mit den dreien hin."

Papa kam rein, samt Brötchen und Tageszeitung. Hinter ihm betrat auch unsere Mutter die Küche.

„Na ihr beiden, gut geschlafen?", fragte sie, bevor sie Papa die Brötchen abnahm, um sie in den Brotkorb zu packen.

Murrend nahm ich mir eine Laugenstange und nickte.

„Wann musst du beim Handball sein, Juli?", hakte meine Mutter weiter nach.

„In ungefähr 40 Minuten. Kann ich den Wagen nehmen?", nuschelte ich.

„Ja, kannst du machen. Außer dir brauch den keiner heute. Ich habe eine Straße weiter geparkt", antwortet mein Vater.

————

Um genau 11 Uhr verließ ich samt Sporttasche das Haus und ging zu unserem Auto.
Gerade, als ich den Kofferraum aufmachen wollte, überquerte Frau Lilienthal die Straße und steuerte einen schwarzen Audi an. Über ihre Schulter hatte sie ebenfalls eine Sporttasche geschwungen und in der rechten Hand hielt sie einen Hockeyschläger. Sie schien mich zunächst nicht zu bemerken, denn erst als ich den Kofferraum wieder zuschlug, guckte sie rüber.

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