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Juliette Streich

Ich hatte es tatsächlich geschafft. Alle Abiturprüfungen, schriftlich sowohl mündlich, lagen alle gemeistert hinter mir.
Die letzten Wochen hatte ich zwar nur auf Autopilot verbracht und war mehr durch mein Leben gekrochen als aufrecht gegangen, aber dafür war alles jetzt vorbei.

Vorletzte Woche hatte ich dann auch meine Sportprüfung abgelegt. Ich wusste zwar schon davor, dass Anna persönlich sie nicht abnehmen würde, aber es war trotzdem aus irgendeinem Grund komisch, von einem unbeteiligten Sportlehrer bewertet zu werden und kritisch unter die Lupe genommen zu werden.

Anna hatte wohl schon des Längeren die Auflage bekommen, dass in der richtigen Sportprüfung ein völlig unbeteiligter Lehrer uns bewerten sollte. Das Fach Sport sah dies einfach so vor. Sie selbst hatte nur zugeguckt und mir somit die nötige Ruhe und den richtigen Ansporn gegeben.

Nun hatte ich auch dies geschafft und befand mich mit einem Kaffeebecher zum letzten Mal für längere Zeit auf den Weg in die Schule.

Heute würden die finalen Noten bekannt gegeben werden. Dafür hatte ich ein Termin um 12:45 im Büro des Jahrgangsleiters. Sofia und Paula hatten beide schon ihre Noten und ihren Durchschnitt bekommen und beide warteten nun gespannt mit mir. Ich sollte sofort schreiben, wenn ich fertig war. Innerlich wünschte ich, dass ich auch schon fertig wäre.

Nervös betrat ich das große Schulgebäude. Zwar wusste ich, dass ich nun eh nichts mehr ändern konnte und das ich mein Bestes gegeben hatte, doch ich war trotzdem unglaublich aufgeregt. Diese Noten und dieser Durchschnitt entschieden über einen großen Teil meines weiteren Lebens und ich war noch nicht bereit, das zu versauen.

Panik breitete sich mal wieder in meinem ganzen Körper aus. Warum hatte ich auch noch Unmengen an Koffein zu mir genommen? Ich rieb meine schwitzige Hand an meinem Pullover ab.

Die Schulflure waren leer, die 6. Stunde war im vollen Gange und niemand hielt sich außerhalb eines Klassenzimmers auf. Ich hatte noch 15 Minuten und ich wollte mich noch nicht auf einen der harten Stühle vor dem Büro des Jahrgangsleiters setzen. Außerdem saß da vermutlich gerade noch der Mensch, der vor mir dran war, immer hin war ich viel zu früh da.
Zu Hause hatte ich es aber nicht mehr ausgehalten, also konnte ich jetzt auch in der Schule rumtigern. Mit zittrigen Händen zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und tippte eine Nachricht an Anna.

„Bin jetzt schon da. Ich glaube, ich sterbe."

Merkwürdigerweise ging Anna sofort online und lass die Nachricht. Hatte sie nicht Unterricht?

„Oh Juli... Komm noch mal schnell zum Raum 110, habe da die Siebte."

Verwundert machte ich mich auf den Weg. Eine Etage über mir war der besagte Raum. An dem Raum angekommen bemerkte ich, dass die Tür auf war. Ich nahm Geräusche von einem Film oder Ähnlichem war. Als ich direkt vor dem Raum stand, sah ich das Lehrerpult und Anna, die sich an diesem angelehnt hatte. Sie lächelte, als sie mich entdeckte. Dann sagte sie etwas zu der Klasse und kam nach einigen Sekunden zu mir raus.

„Lässt du gerade deine Klasse alleine?", fragte ich verwundert.

Sie zog mich am Ärmel aus dem Sichtfeld der offenen Tür, dann sagte sie: „Ich meinte, ich müsse schnell noch was kopieren."

Anna hob ein Blatt hoch, was sie Alibi-mäßig mitgenommen hatte. Dies lockte mir ein Lachen hervor.

„Sehr schlau."

„Also...", sagte sie sanft und legte mir eine Hand auf die Schulter, „Mensch, du zitterst ja richtig!"

Ich nickte nur und biss mir auf die Unterlippe. Mir war es etwas peinlich, dass mein Körper immer so auf Stress und auf Nervosität reagierte.

Fliegen lernenWhere stories live. Discover now