Trau dich

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                         Anna Lilienthal

Wie lange saß ich schon auf meinem Sofa und weinte? Ich fühlte mich unendlich kraftlos und leer, so als würde kein einziger Tropfen Wasser mehr in meinem Körper sein, doch die Tränen flossen immer noch.

Vor mir stand der Blumenstrauß mit weißen Rosen. Weiße Rosen als Zeichen für die Hoffnung. Neue Tränen liefen mein Gesicht runter. Alles in mir fühlte sich taub und doch gleichzeitig so schmerzvoll an. Es war unglaublich, wie sehr ein Herz doch wirklich schmerzen konnte.

Ich zog bibbernd meine Beine an mich ran und legte meine Stirn auf meine Knie. Wenn ich ehrlich war, verstand ich mich selber nicht mal richtig. All diese negativen Gedanken kamen aus dem Nichts. Die Wochen davor war ich zufrieden, ja glücklich, durch mein Leben gewandelt.

Es hatte mich zwar etwas gestört, dass ich Juliette nicht so oft außerhalb der Schule sah, aber ich hatte vollstes Verständnis für die Lage der 18-jährigen Abiturientin.
Dann hatte Maria mir heute von dieser schrecklichen Geschichte erzählt und ich war durchgedreht. Alle Alarmglocken in mir waren angesprungen, denn ich wusste, im Grunde war es nicht unwahrscheinlich, dass mir so etwas ebenfalls passieren würde.

Der Spruch >>The love was strong, but the timing was wrong<< flackerte vor meinen Augen auf und dann sofort die Leute, die immer zu sagen pflegte, dass es nie den falschen Zeitpunkt für Liebe gibt.
Wenn es scheitert, ist die Liebe einfach nicht stark genug.
Wen zwei Menschen sich lieben, dann schaffen sie es immer zueinanderzufinden und zusammen zu kommen, aber an einer Beziehung hängt manchmal so viel mehr, als nur zwei Personen und deren Liebe füreinander.

Manchmal gibt es eine dritte Person, manchmal gibt es die Moral und die Zweifel und manchmal hängt nun mal die Zukunft von einer Person an dieser Beziehung.Es ist immer einfach zu sagen, dass Liebe alles schafft und ich bin mir sicher, dass sie dies tut. Doch zu welchem Preis?

Ich schüttelte mich, ich wusste nicht, wohin mit mir. Nichts schien mir richtig oder angebracht. Wann hatte ich das letzte Mal so einen Schmerz gespürt?

Juliettes Augen drängten sich vor mein geistiges Auge. Wie zerrissen und traurig sie ausgesehen hatte.

Automatisch griff ich zu meinem Handy. Ich wollte nichts mehr, als ihre süßliche Stimme zu hören. Ich wollte ihr sagen, dass alles gut werden würde und das es mir mehr als leidtat, doch ich tat es nicht. Stattdessen drückte ich einen anderen Kontakt und hielt mir mein Handy an mein Ohr. Es dauerte einige Zeit, bis am anderen Ende abgehoben wurde.

„Anna? Was eine Überraschung von dir zu hören! Was gibts?"

„I-ich... Wo bist du gerade? Das kommt jetzt vielleicht komisch, aber könntest du vielleicht zu meiner Wohnung kommen?", meine Stimme zitterte und ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut los zu schluchzen.

„Klar, ich bin in der Stadt. Schick mir mal deine Adresse und ich mache mich auf den Weg."

Es dauerte einige Zeit, bis es klingelte.
Jedoch hatten meine Tränen nicht aufgehört zu fließen. Ich schleppte mich zu Wohnungstür und drückte den Knopf für die untere Haustür, dann hörte man auch schon schwere Schritte die Treppen aufsteigen.

„Für so viele Stufen bin ich zu alt!", keuchte mein Onkel Dieter, als er vor mir erschien.

Ich bat ihn rein, wir gingen ins Wohnzimmer und er setzte sich sofort auf das Sofa und musste tief ein und aus atmen.

„Schön hast du 's hier", röchelte er, immer noch mit der Luft ringend.

Ich nickte nur, wischte mir über die Augen und setzte mich vorsichtig neben Dieter. Dieser betrachtete mich nun zum ersten Mal richtig.

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