Zeugnisübergabe

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Anna Lilienthal

Ich war schon auf vielen Abibällen und Abientlassungen gewesen. Einmal im Jahr, wenn man es genau nahm. Das Kollegium nahm jedes Jahr an der Entlassungsfeier des 13. Jahrgangs teil. So war auch Jahr für Jahr die Begeisterung und das gewisse Etwas verschwunden und ich hatte einfach nur meine Zeit in den hintersten Reihen abgesessen. Natürlich war es immer irgendwie besonders, wenn man die jungen Erwachsenen dort vorne sah, wie sie glücklich ihr Abschlusszeugnis bekamen und feierten, dass ihre Schulzeit nun vorbei war. Doch wenn man das Jahr für Jahr sah und keine richtige persönliche Verbindung zu den Schülern hatte, wurde es schnell langweilig. Maria neben mir war jedes Jahr Feuer und Flamme. Sie putze sich heraus und liebte den großen Aufzug der Veranstaltung.

Es war früher Abend und gleich würde die Abiturentlassung dieses Jahr losgehen. An der Schule war es üblich, die Zeugnisübergabe abends zu machen und direkt im Anschluss in der Sporthalle den Abiball abzuhalten.Nun tippelte ich nervös hin und her, denn dieses Jahr hatte ich tatsächlich meine ganz persönliche Verbindung dort vorne.
In ein paar Minuten würden die Eltern der Abiturienten rein stürzen und somit auch Juliettes Eltern. Dann würde es nicht mehr lange dauern und sie selbst würde durch die Reihen schreiten. Genau aus diesem Grund hatte ich mich bei meinem Outfit auch besonders ins Zeug gelegt. Zwar war ich immer noch im Rahmen des Dresscodes des Kollegiums, was sich nie extrem aufpolierte, aber doch mehr, als ich es vielleicht sonst getan hätte.

Ein edler dunkelgrüner Hosenanzug schmiegte sich an meinen Körper und meine Füße steckten in hohen, schwarzen Stöckelschuhen. Meine Haare hatte ich aufwendig hochgesteckt.  Wir hatten nicht über ihr Kleid oder mein Outfit für diesen Abend gesprochen, also war ich unglaublich gespannt, was Juliette trug. Außerdem wollte ich sie beeindrucken, das konnte ich nicht abstreiten. Ich wollte bei dem Abschluss meiner Freundin gut aussehen.

War sie meine Freundin? Wir hatten noch nicht so richtig über uns geredet, jedenfalls hatten wir keine feste Entscheidung getroffen, doch ich wusste, dass ich Juliette an meiner Seite haben wollte.

Die Eingangstür der Sporthalle wurde geöffnete und die Verwandten und Freunde strömten in großen Scharen herein.

„Komm, setzten wir uns", flüsterte Maria mir zu und zupfte an meinem Hosenanzug.

Abwesend nickte ich und setzte mich auf die uns zugewiesen Plätze.

„Frau Lilienthal!", eine Hand legte sich auf meine Schulter, ich blickte auf und entdeckte Juliettes Mutter, die mich warm anlächelte.

„Frau S-Streich! Was eine... Freude!", stotterte ich und sprang übereifrig auf.

„Ebenfalls! Können Sie es glauben? Unser Schatz hat es geschafft!", flötete sie stolz.

„J-Ja, das stimmt wohl..."

„Juliette hat immer zu von Ihnen geschwärmt! Was sie doch für eine tolle Lehrerin wären und immer so nett...", sagte die Ältere, bis ihr Mann sie sanft am Arm berührte und sie zum Gehen aufforderte, „Es war mir eine Freude Frau Lilienthal, man sieht sich bestimmt mal auf der Straße!"

Waren das Juliettes Großeltern, die ihren Eltern da folgten? Vermutlich.

„Ja, bestimmt...", murmelte ich und setzte mich wieder.

Sie ahnte ja nicht, wie recht sie damit haben könnte. Nervös strich ich mir über die Beine.

„Sag mal, was hast du dich dieses Mal den so fein angezogen?", raunte Maria mir von der Seite ins Ohr.

„Was meinst du?", fragte ich gespielt unschuldig.

„Sonst war es immer nur eine Jeans und eine ordentliche Bluse. Dieses Mal ein teurer Hosenanzug und eine aufwendige Frisur...", stellte Maria misstrauisch fest.

Fliegen lernenWhere stories live. Discover now