Wut

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Severus betrat mit Harry auf dem Arm in das kleine Zimmer. So vorsichtig er konnte, legte er den Jungen auf dem Bett ab, zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn zu. Eine Weile stand er an dem Bett und sah auf das schlafende Kind. Immer wieder sah er die Bilder aus Harrys Erinnerungen vor sich und jeder Versuch, sie abzuschütteln scheiterte. Ohne darüber nachzudenken, strich er dem Jungen kurz über die Haare, dann drehte er sich um und ging leise aus dem Raum.

Als er in die Küche trat, saß Remus am Tisch vor sich zwei Gläser mit Feuerwhiskey.

»Ich dachte, du könntest es vertragen«, sagte er und reichte seinem Partner das Glas. Nickend nahm Severus entgegen und setzte sich dann. In einem Zug leerte er das Glas und rieb sich dann die Augen.

»W-was hast du gesehen?«, fragte Remus zögernd. Severus schüttelte den Kopf.

»Ich denke, ich habe nur an der Oberfläche gekratzt, aber es hat gereicht. Sie haben ihn gequält, geschlagen und vernachlässigt, seit er ganz klein war. Nach allem, was ich gesehen habe, ist es ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt...«, sagte Severus und Remus ahnte, dass dies nicht alles war. Er griff nach Severus' Hand und dieser sah auf.

»Was war noch?«, wollte er wissen.

»I-ich habe die Verbindung abgebrochen, bevor ... ich denke, er wurde missbraucht«, Severus' Worte halten, wie ein Kanonenschlag in der kleinen Küche wider. Remus sah ihn mit Entsetzen in den Augen an.

»A-aber...«, stotterte er. Tränen der Wut traten ihm in die Augen.

»Ich wünschte, ich würde mich irren, aber schon bei der Untersuchung gab es Anzeichen. Ich wollte es nicht glauben, aber es ist wohl so.«

»W-was für Anzeichen?«, wollte Remus wissen.

»Abgesehen davon, dass er allgemein in einem sehr schlechten Zustand ist, habe ich Anzeichen von älteren inneren Verletzungen gefunden. Blutungen im Darmbereich und auch verheilte Brüche der Hüfte, Oberschenkel und Rippen.«

»Was sonst noch?«, Severus stand auf und lief auf und ab.

»Wo soll ich anfangen? Er ist unterernährt, sein Immunsystem ist kaum vorhanden, Magielevel niedrig...und...und...und«, zum Ende war er immer lauter geworden und drehte sich nun schwer atmend zu Remus.

»Es tut mir leid, ich muss an die frische Luft. Bleib bei ihm. Er sollte durchschlafen, aber man weiß nie. Ich...es...«, Severus schüttelte wieder den Kopf, griff nach seinem Umhang und verließ das Haus.

Seufzend räumte Remus die Gläser ab und ging dann in den ersten Stock des Hauses. Er betrat Harrys Zimmer und setzte sich zu dem schlafenden Kind auf die Bettkante. Wenn Severus recht hatte, war es erstaunlich, dass der Junge sich überhaupt berühren ließ. Es zeugte davon, wie sehr er ihm und vor allem Severus doch vertraute. Sanft strich Remus, Harry über die Wange. Dieser seufzte tief und rollte sich klein zusammen.

Severus lief die menschenleere Straße entlang. Es dämmerte, aber die Luft war warm und es roch nach Spätsommer. Er lief weiter, ohne wirklich darüber nachzudenken, bis er an den altvertrauten kleinen Park kam, der am Ende von Spinner's End lag. Es war beinahe ganz dunkel, als Severus sich auf einer der Parkbänke niederließ. Er wusste nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Harrys Erinnerungen hatten in ihm niederste Instinkte hochkochen lassen. Er wollte Petunia und ihren Mann bestrafen, ihnen das antun, was sie dem wehrlosen Jungen angetan hatten. An diesem Abend hatte Severus zum ersten Mal nicht James Potter in Harry gesehen. Zum ersten Mal war es nur der kleine, schmale Junge, mit der Brille und den smaragdgrünen Augen, der ihn so flehend und panisch angesehen hatte. Severus stand auf und disapparierte. Er kannte die Straße, aber es waren gute neun Jahre vergangen, als er das letzte Mal hier war.

Mit deinen AugenWhere stories live. Discover now