Der tägliche Wahnsinn

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Feine Sonnenstrahlen drangen durch die hohen Fenster der großen Halle und tränkten das Frühstück der jungen Hexen und Zauberer in ihr goldenes Licht. An der verzauberten Decke leuchtete das Ebenbild des herbstlichen Himmels, der an diesem letzten Septembermorgen nur von wenigen Wolken geziert wurde. Es war noch relativ früh – lediglich vereinzelte Schüler und Schülerinnen saßen schon auf ihren Plätzen an den langen Tafeln der vier Häuser von Hogwarts.

Auch Harry trat soeben durch das mächtige Eingangstor, ließ seinen Blick durch die Halle schweifen und ging zur rechtsstehenden Tafel der Gryffindors. Die meisten der Löwen lagen noch in ihren gemütlichen Betten; wohl kaum würden sie früher erscheinen als sie es müssten. Der Tisch der Hufflepuffs war ebenfalls weitgehend leer, während am Tisch der Ravenclaws schon einige Stühle besetzt waren.

Harry suchte sich einen Platz am Ende der Tafel und griff zur Kaffeekanne, die ihn mit ihrem verlockenden Geruch in den Bann zog. Nachdem seine Tasse mit dem heißen Gebräu gefüllt war, wanderte sein Blick automatisch zu dem Tisch, der auf der gegenüberliegenden Seite der Halle stand. Einige aus dem Haus Slytherin hatten bereits mit dem Frühstück begonnen, doch ein gewisser blondes Junge war noch nicht zu entdecken. Der Schwarzhaarige schmunzelte. Vermutlich war Malfoy mindestens genauso müde wie er selbst und hatte sich getrost noch einmal umgedreht, bevor er sich dem neuen Schultag stellte.

Harry gähnte – vielleicht hätte auch er über eine weitere Stunde Schlaf nachdenken sollen. Noch bevor die Sonne aufging, hatte er mit offenen Augen in seinem Bett gelegen, dem grunzenden Schnarchen von Ron gelauscht und kurzerhand beschlossen, dass ihn ein heißer Kaffee glücklicher machen würde als nur eine weitere Minute in dem stickigen Schlafsaal der Jungen.

Der Gryffindor genoss die angenehme Ruhe und zog ein kleines Buch aus seiner Tasche, dessen samtener Bezug in einem dunklen Grün schimmerte. In silbernen Schnörkeln prangte der Titel auf dem Einband:

Die Magie des Körpers – Ein Handbuch für Zaubertränke

Er hatte das Buch während seines Ausfluges mit Dobby in der Winkelgasse gekauft und sich einen Trank markiert, den er zu gerne brauen würde. Durch die Aufregung der letzten Wochen, war dieser jedoch zunächst in Vergessenheit geraten, was Harry ein wenig missmutig stimmte. Es fiel ihm schwer, sich nur auf seine Interessen zu konzentrieren. Immer wieder wurde er mit anderen Dingen behelligt, die ihm große Steine auf seinen Weg rollten und ihn in Richtungen drängten, die er gar nicht einschlagen wollte. Er hasste seine Abhängigkeit, die ihm immer schmerzlicher bewusst wurde.

Harry war abhängig von Dumbledore, der ihm nur das verriet, was ihm gerade passte. Er war abhängig von dessen Entscheidungen, die eigentlich zu seinem Schutz dienen sollten und ihm dabei noch größere Sorgen bereiteten. Ebenso abhängig war er von Professor Lupin und Professor Canopus, obwohl er sie kaum kannte. Auch sie ließen ihn mit halbherzigen Informationen in der Luft hängen, ohne jeglichen Halt oder die Hoffnung, dass es schon bald Klarheit geben würde.

Er war die Abhängigkeit leid, denn diese war der Ursprung all der Enttäuschungen, die er immer wieder erfahren musste. Harry hatte beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
„Es ist Zeit, meinen eigenen Weg einzuschlagen.", murmelte er und klammerte sich mutig an den kleinen Funken Hoffnung, der mit diesem Vorsatz tief in ihm aufgeflammt war. Auch was seine einst sehr tiefe Freundschaft zur Ron und Hermine anging, wollte er fortan vorsichtiger sein. Die beiden hatten ihn durch die Vorenthaltung des gemeinsamen Urlaubs in Ägypten stark verletzt. Harry sehnte sich nach einem Menschen, dem er bedingungslos vertrauen konnte. Jemandem, dem Ehrlichkeit genauso wichtig war wie ihm selbst.

Seufzend rührte er in seinem schwarzen Kaffee herum und blätterte die Seiten des feinen Tränkebuches um, bis er die eine erreichte, die er sich in den Ferien markiert hatte. Begeistert las er noch einmal die Beschreibung durch:

FighterWhere stories live. Discover now