Training

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Seitdem wir nicht mehr in Alaska wohnten, hatte ich nur noch minimal Kontakt zu den Denalis gehabt. Da ich mich mit Carmen und Eleazar am meisten verstand, wollte ich sie anrufen. Ich ging davon aus, dass Carlisle mit Tanya geredet hatte.
Um meine Ruhe zu haben, sprang ich aus meinem Fenster und kletterte danach auf eine hohe Tanne, etwas weiter entfernt vom Haus. Mich machte das sowieso schon immer ganz wuschig, dass jeder jeden hören konnte.
So setzte ich mich auf einen dicken Zweig und lehnte mich an. Ich realisierte seit langem wieder, wie wunderschön der Ausblick von hier oben war. Viel zu selten kam ich hier her...
Entschlossen aber irgendwie verunsichert wählte ich Carmens Nummer und wartete ab.
,, Hallo?", fragte eine Sekunde später Carmens sanfte Stimme und augenblicklich vermisste ich sie.
,, Hallo, hi... Hier ist Sam Cullen." Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht, die ganzen Erinnerungen vom letzten Jahr strömten auf mich ein.
,, Sam!", stieß sie schockiert aus.,, Ich habe Ewigkeiten nichts mehr von dir gehört. Wie geht es dir?" Überrascht lachte ich in den Hörer, bevor ich antwortete.
,, Mir geht es gut, Carmen. Wie geht es dir? Und Eleazar? Und den anderen natürlich?"
Danach folgten mehrere Minuten weitere Fragen von beiden Seite, wir hatten einfach zu lange nichts voneinander gehört.
Die Nachricht, dass Irina noch immer wütend auf uns war und noch nicht über den Tod von Laurent hinweggekommen war, überraschte mich zwar nicht, aber verunsicherte mich doch.
,, Carmen... Ich will nicht viel herumreden. Ich rufe eigentlich an, weil wir ein großes Problem haben. Carlisle hat bestimmt schon mit euch darüber gesprochen, richtig?"
,, Ja, Carlisle rief vor einigen Tagen an. Er wollte unsere Zustimmung und Sicherheit, im Falle des Angriffs, euch zu unterstützen", erklärte sie zögernd.
,, Genau darum möchte ich dich auch bitten... Alice hatte eine Vision, in vier Tagen werden wir angegriffen. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt eine Chance haben, es sind zu viele für uns..."
Einen Moment herrschte Stille in der Leitung.
,, Sam... weißt du, wir haben in der Familie darüber gesprochen und sind bereits zu einem Urteil gekommen. Es ist uns nicht möglich, euch zu unterstützen", seufzte sie und lehnte ab, bevor ich überhaupt weiteres erzählen konnte.
,, Wieso nicht? Ihr gehört zur Familie. Die Wölfe unterstützen uns, sie sind die einzigen, die uns helfen. Ist es nur wegen Irina?" Ich versuchte ihr gegenüber verständnisvoll zu bleiben, aber meine aufgehende Wut über diese dumme Aussage übertönte.
,, Es tut mir leid, ich kann nichts an dem Urteil ändern. Eleazar hatte es schon versucht, als wir das erste Mal abstimmten. Es gab aber keine Möglichkeit." Ich merkte, wie sie mir den entschiedenen Punkt verschwieg, aber wahrscheinlich war es so sowieso besser.  Vielleicht blieb mir so ein kleiner Wutausfall aus.
,, Okay, ich verstehe es zwar nicht aber ich kann nichts daran ändern. Grüße bitte alle und sage ihnen, dass ich sie vermisse. Ich muss jetzt auflegen, habe noch viel zu tun." Unangenehm schluckte ich, wobei mir auffiel, wie sehr mein Hals schon wieder schmerzte. Die nächste Jagd würde bestimmt bald stattfinden...
,, Es tut mir so leid, Sam. Ich werde alle grüßen. Vielleicht sehen wir uns bald wieder", verabschiedete sie sich. Das 'Bald' nahm ich nicht so ernst, unter Vampiren hieß das nicht unbedingt  innerhalb der nächsten zehn oder zwanzig Jahren.
,, Tschüss", war mein letztes Wort, dann legte ich auf.

Stumm verstaute ich das Handy in meiner Hosentasche, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Das war wahrscheinlich meine letzte ruhige Minute.

Aufgeregt lief ich neben Esme auf dem Weg zur Lichtung. Heute fand das erste Trainings statt und ich war nervös, gespannt und panisch. Die restlichen waren schon da, natürlich bis auf Edward und Bellchen, aber daran war ich gewöhnt.
Pünktlich erschien auch das Rudel, sie waren in Wolfsgestalt aufgekreuzt und guckten von einem Vorsprung zu uns runter. Erst als Seth zu mir kam, um mich zu begrüßen, trauten sich die Übrigen auch näher. Jacob sah sich suchend um und Sam stand unter Spannung, er vertraute uns nicht wirklich.
,, Sorry, für die Verspätung", hustete Edward hinter mir, als er mit Isabella aus dem Jeep stieg. Genervt runzelte ich die Stirn. Ich hatte nicht gedacht, dass Edward den Plan wirklich umsetzte und seine Freundin mitbringen würde. Ich meine, es stand zur Frage, ob ich überhaupt hier sein sollte aber bei ihr... pah.
,, Hi Jake", hörte ich das Mädchen ein paar Meter neben mir sagen. Seth und ich tauschten vielsagende Blicke aus, Sam knurrte.
,, Willkommen", begrüßte Dad die Wölfe und richtete seinen Blick auf den Rudelführer. Schleichend entfernte ich mich von Seth und stellte mich vor Edward. Isabella stellte sich zu Alice.
,, Jasper hat Erfahrungen mit Neugeborenen, er wird uns beibringen, wie wir uns gegen sie verteidigen können", erklärte Carlisle weiter. Die Köpfe der Wölfe ratterten, was war so besonders an Neugeborenen?
,, Sie wollen wissen, inwiefern sich Neugeborene von uns unterscheiden", übersetzte Edward für alle anderen.
,, Sie sind sehr viel stärker als wir. Durch ihre Adern fließt noch ihr menschliches Blut, unsere Art ist zu keiner anderen Zeit stärker als in den ersten sieben Monaten nach der Verwandlung", erläuterte mein Vater weiter und drehte sich dann zu Jasper. Er sollte fortfahren.
Für einen Moment wurde ich abgelenkt, Edward zog ein wenig an meinem Kapuzenpulli und richtete dann die Kapuze. ,,Was ist?", fragte ich ihn in Gedanken, guckte aber immer noch zu Jasper, der jetzt Weiteres über Neugeborene erzählte.
,,Du musst nicht kämpfen", dachte er und zupfte weiter an meiner Kapuze.
,,Ich lasse euch nicht alleine", hielt ich dagegen, meine ganze Aufmerksamkeit lag nun auf Edwards Gedanken.
,, Es würde uns allen leichter fallen, wenn wir die Gewissheit hätten, dass wenigstens die Jüngste von uns in Sicherheit ist."
,, Du kannst mich davon nicht abhalten und jetzt höre Jasper zu", beendete ich schnell das Thema. Denn ganz tief im inneren wollte ich gar nicht kämpfen, weil ich zu große Angst hatte, aber das musste niemand wissen. Selbst Edward würde es nie erfahren, egal wie oft er meine Gedanken lesen würde.
,, Es gibt zwei wichtige Sachen, an die ihr stets denken müsst", sagte Jasper an und verschränkte die Arme. Nun konzentrierte ich mich auf ihn, wollte Edwards Gedanken nicht mehr hören.
,, Die erste ist, dass sie niemals ihre Arme um euch legen dürfen. Sie würden euch sofort zerdrücken und alles in euch brechen", Jasper redete ungewöhnlich ernst und hatte einen einschüchternden Blick drauf.,, Die zweite ist, dass ihr die Neugeborenen niemals von vorne angreift. Nur das erwarten sie, ihr würdet sofort verlieren, ihr hättet keine Chance."
Panisch biss ich mir auf die Lippe, hatten wir überhaupt eine Aussicht auf einen Sieg.
,, Emmett!", befahl Jasper und nickte zu dem offenen Waldstück. Lächelnd kam Emmett und stellte sich ein paar Meter vor Jasper. Wir drehten uns alle zu ihnen um, ich war wahrscheinlich am aufgeregtesten.
,, Halte dich bloß nicht zurück, Bruder", grinste Jasper.
,, Würde ich niemals tun", erwiderte Emmett.
Augenblicklich stürzte sich Emmett frontal auf Jasper. Dieser blieb stehen und festigte seinen Stand, bevor Emmett in ihn hinein rannte. Durch Emmetts unglaubliche Stärke warf er Jasper ein paar Meter von sich und hatte schon sein Gewinnergrinsen drauf.  Diese kleine Ablenkung nutze Jasper, indem er zu ihm rannte und ihm mit einem Schlag in den Boden rammte.
,, Konzentriere dich", kommentierte er nur.
Erstaunt sah ich zu Edward hoch.
,, Wie?", flüsterte ich. Jasper hatte Emmett so schnell zum Fallen gebracht, das hatte ich nie erwartet.
,, Es ist die Taktik, nicht die Stärke", erklärte Edward mir. Wissend nickte ich, das machte absolut keinen Sinn.
,, Edward, Carlisle. Ihr seid die nächsten!" Jasper zeigte auf die freie Fläche. Wenn Ed so tolle Ratschläge geben konnte, musste er ja gegen Carlisle gewinnen können.
Zuerst sah es auch absolut danach aus, Edward schaffte es Carlisle auf den Boden zu schmeißen, aber dann hievte Carlisle sich wieder hoch und schlug den siegessicheren Edward auf den Boden.
Jasper grinste zu Edward:,, Eine Sache noch, drehe deinem Gegner nie den Rücken zu." 
Grummelnd stand Edward vom Boden auf und wischte sich den Dreck von seinen Klamotten.
,, Sam und Rose, ihr als nächstes!"
Nervös schob ich meine Ärmel hoch und festigte meinen Stand. Rose sah tiefenentspannt aus, das beunruhigte mich.
,, Los geht's, konzentriert euch!", gab Jasper das Startsignal und klatschte in die Hände. Sofort raste Rosalie auf mich zu und schubste mich. Ich flog gegen den nächsten Baum, der nach hinten abknickte. Schnell rappelte ich mich hoch und wich dem nächsten Sprung von meiner Schwester aus.
,, Verdammt!", fluchte ich, während ich weiteren Schlägen auswich. Als der nächste Schlag kam, parierte ich mit meinem rechten Arm und nutzte den Moment um Rose zu Boden schubsen , indem ich meinen Fuß hinter ihre Füße stellte und sie mit einem Ruck rüberstieß. Schleunigst entfernte ich mich einige Meter, bevor sie wieder stand.
,, Nicht übel", hörte ich Emmett im Hintergrund.
Defensiv verharrte ich in meinem Stand und wartete auf Rosalies Angriff.
,, Sam, beweg dich!", schrie Jasper vom Rand. Er war lustig, was sollte ich bitte tun.
Plötzlich raste Rose erneut auf mich zu und ich tat das, was Jasper befohlen hatte: Ich rannte ihr entgegen.
Kurz bevor wir aufeinander trafen, schrie unerwartet jemand. Abgelenkt knallten wir zusammen und landeten beide auf dem Boden.
Verärgert sah ich mich nach der Ursache der Ablenkung um und sah Isabella vor einem, aus der Erde ragenden, Stein auf dem Boden liegen. Peinlich berührt stellte sie sich umständlich wieder auf, alle Augen waren auf sie gerichtet.
,, Depp", stöhnte ich und verdrehte die Augen. Jacob knurrte zur Antwort und stupste Bellchen kurz an, um sicher zu gehen, dass sie okay war.
Konnte mal jemand den Knurrer abstellen?! Wir mussten hier zusammenarbeiten, da wollte ich nicht ständig angebellt werden. Seth sah es anscheinend genauso, zumindest zerfleischte er Jacob in seinen Gedanken.
,, Gut, das war doch gar nicht schlecht für den Anfang", fuhr Jasper fort.,, Als nächstes Kämpfen Alice und ich."
Der 'Kampf' der beiden war am angenehmsten mit anzusehen, es hätte genauso gut ein Tanz sein können. Danach trainierten Esme und Alice noch eine Runde, die Wölfe hielten sich weiterhin zurück.
,, Ich will jetzt gegen Sam kämpfen", lachte Emmett, als die nächste Runde begann. Jasper, tu mir das nicht an, versuchte ich ihm mit einem Blick zu sagen.
,, Von mir aus", stimmte mein Blondi von Bruder zu. Mit grimmigen Gesicht sah ich ihn an.
,, Es kommt nicht auf die Stärke an, denk dran", erinnerte mich Jasper und ignorierte meine Miene.
Eingeschüchtert stellte ich mich gegenüber von Emmett auf. Dass jeder zuguckte, verbesserte meine Unsicherheit nicht gerade.
,, Halte dich bloß nicht zurück, Bruder", ahmte ich Jasper von vorhin nach.
,, Würde ich niemals tun", grinste Emmett und zwinkerte mir zu. Er hatte das definitiv falsch verstanden.
Mit einem großen Sprung wollte Emmett bei mir landen, aber ich nutze den Moment, den er in der Luft verbrachte, und grätschte unter ihm hindurch.
Ich könnte sagen, mein imaginär lebendes Herz würde bis kurz vor dem Zerspringen klopfen.
Kaum war Emmett auf dem Boden aufgekommen, änderte er die Richtung und rannte zu mir.
Kurz vor mir bremste er ab und testete meine Nahkampffähigkeiten aus. Er holte weit aus und ich konnte gerade so ausweichen. Ich versuchte es ähnlich wie bei Rose und parierte den nächsten Schlag mit meinem Arm, aber Emmetts Stärke machte schon einen Unterschied. Meine Parade hielt ihn nicht weiter auf, er nutzte meinen verschränkten Arm, um mich zu fassen, mich mit Schwung über sich zu schwenken und dahinter auf den Boden zu schmettern. Glücklicherweise landete ich stabil und konnte mich hochhieven, bevor Emmett mich am Boden halten konnte. Schnell waren wieder mehrere Meter zwischen uns und Emmett grinste voller Genuss.
Fieberhaft sprintete er wieder auf mich zu. Mit einem Sprung in die Luft wollte ich ausweichen, aber als hätte er meine Gedanken gehört, sprang er ebenfalls hoch und erwischte mich in der Luft. Er schlang seine Arme fest um mich und wir landeten beide wieder auf dem Boden. Verknotet und bewegungsunfähig lag ich nun da, halb unter Emmett, mit fixierten Armen.
Triumphierend lachte er und rappelte erst sich vom Boden hoch und zog mich danach ebenfalls hoch.,, Du hast dich gut geschlagen", lobte Emmett mich und klopfe mir auf die Schulter.
,, Das stimmt wohl", stimmte Jasper zu.,, Wer möchte als nächstes?"
Ein rostbrauner Wolf trat vor, es war Jacob. Er gab ein Knurren von sich und zeigte mit der Schnauze zu Edward.
,, Liebend gerne", grinste Ed. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das so eine gute Idee war. Carlisle sah ebenfalls signalisiert auf und verfolgte jede Bewegung von Jacob und Edward.
,, Schaden wird es nicht", gab Jasper sein Einverständnis und stellte sich wieder an den Rand.
Jacob und Edward stellten sich ebenfalls gegenüber. Sie fixierten den jeweils anderen fest mit den Augen. Edward hatte schon lange nicht mehr so bedrohlich ausgesehen. Bei Jacob konnte ich es schwer einschätzen, aber so zähnefletschend verließ er bestimmt nicht immer das Haus.
,, Los geht's !", startete Jasper den Kampf.
Sofort rannte Edward zu Jacob und sprang über ihn, um ihn von hinten angreifen zu können. Da der Wolf die Wendigkeit so nicht besaß, konnte Edward ihn seitlich an den Rippen packen und ein paar Meter werfen. Jacob unterdrückte ein Winseln und stürzte sich mit einem Satz auf Edward. Mein Bruder konnte gerade so ausweichen, weshalb Jacobs Beißer nur noch seine Hose fassen konnte. Edward Hose war nun bis zu dem Knie auf der rechten Seite aufgerissen.
,, Keine Zähne, Jacob. Es ist nur Training!", brüllte Jasper, der wusste, was ein Wolfsbiss bei Vampiren anrichten konnte. Es war wie Säure, dass sich in unsere Haut brannte.
Edward wich nun beim nächsten Hieb der Pfote aus und schlug Jacob direkt auf die Schnauze.
,, Wie fühlt sich das an, du Köter!", knurrte er. Jacob jaulte schmerzhaft.
,, Edward, das reicht!", wetterte Jasper und kam, um die beiden zu trennen. Bevor er allerdings da war, sprang Jacob direkt gegen Edward und drückte ihn dann auf den Boden. Zähnefletschend drückte er seine Pfoten so fest es ging auf meinen Bruder.
,, Emmett!", donnerte Jasper, der Schwierigkeiten hatte, Jacob alleine von Edward wegzubekommen. Mit Schwung zogen die beiden Jacob von Edward.
,, Das reicht für heute", beendete Jasper das Training.
Sam rannte sofort den Hang wieder hoch und jaulte, die anderen Wölfe folgten ihm sofort. Außer Seth, er sah mich kurz leidend und entschuldigend an. Ich lächelte zuversichtlich, dann folgte auch er dem Rudel.

Ein Kampf um Respekt und Unsterblichkeit? -Die neue Cullen (Twilight fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt