13 - Von dem Absender und Worten, die Augen öffnen

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Es waren fünf Tage vergangen, seit May und ich das letzte Mal miteinander gesprochen hatten.

Nun stand ich vor meinem Spind und kramte darin herum, bis ich endlich das fand, was ich gesucht hatte.
Ein hellbrauner, gefalteter Zettel. Neugierig öffnete ich ihn.

𝙵𝚘𝚛 𝙴𝚟𝚎𝚛

𝙼𝚢 𝚑𝚎𝚊𝚛𝚝 𝚒𝚜 𝚐𝚛𝚒𝚎𝚟𝚒𝚗𝚐
𝚌𝚊𝚞𝚜𝚎 𝙸 𝚔𝚎𝚎𝚙 𝚘𝚗 𝚋𝚎𝚕𝚒𝚎𝚟𝚒𝚗𝚐
𝚝𝚑𝚊𝚝 𝚢𝚘𝚞 𝚊𝚗𝚍 𝚖𝚎
𝚊𝚛𝚎 𝚖𝚎𝚊𝚗𝚝 𝚝𝚘 𝚋𝚎.

-𝚗𝚘𝚋𝚘𝚍𝚢

Ich lächelte und spürte sogleich die beruhigende Wärme in mir hochsteigen. Die Gedichte waren momentan das einzig glückbringende in meinem Leben. Sie fühlten sich fast schon wie eine Droge an, eine Sucht und ein Mittel, das ich nicht mehr missen wollte.

Aufgeheitert machte ich mich auf den Weg zur Toilette.

Im Toilettenraum angekommen sah ich kurz aus Reflex zum Spiegel, da dort jemand stand. Es war May.
Sie blickte im gleichen Moment auf und starrte mich mithilfe der Reflektion an.

Ich wollte mich gerade wieder wortlos abwenden, doch dann sah ich, wie hektisch sie ihre Hände wusch.

Das war kein normales Händewaschen, sondern ein so heftiges, als hätte sie einen Sauberkeitszwang. Aber so etwas hatte sie nicht.

Es war schon immer so gewesen, dass ich Ordnung in meinem Zimmer brauchte, während sie ihre Klamotten und Schulsachen stets quer auf dem ganzen Boden verteilt hatte. Wenn sie dann aber aufräumte, glich ihre Ordnung ungefähr meiner Definition von Chaos in meinem Zimmer. Sie meinte einmal, dass sie das brauchte, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen.

Dann bemerkte ich die schwarzen Streifen an ihren Fingern, die sich nur schwer abwaschen ließen.

Und in diesem Moment wurde mir alles klar.

Ihre Versuche, mir zu erklären, dass es Menschen gibt, die mich mögen, ihr wissendes Grinsen, wobei ich ihr überhaupt gar nicht gesagt hatte, dass ich ein weiteres Gedicht erhalten hatte, der Fakt, dass wir die Gedichte nie zusammen entdeckt hatten und nun auch noch die schwarze Farbe.

"Du hast mir die Gedichte geschrieben", platzte es fassungslos aus mir heraus.

Sie sah mich wieder an. Ich konnte keine einzige Emotion aus ihrem Gesicht lesen.

"Du hast lange gebraucht."

Ich starrte sie mit großen Augen an. Das Einzige, was sie dazu zu sagen hatte, war, dass ich lange gebraucht habe, um auf die Lösung zu kommen? Mein Kopf schüttelte sich wie von alleine. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein, verdammt nochmal!

"Mehr hast du nicht zu sagen? Oh, tut mir leid, dass ich nicht direkt in Betracht gezogen habe, dass die Gedichte von meiner toxischen besten Freundin kommen, die mich einfach nur verarschen wollte!", keifte ich sie an.

"Ich wollte dich nicht verarschen", meinte sie nur seelenruhig und trocknete sich endlich ihre Hände, da die Farbe der Schreibmaschine größtenteils verschwunden war.

"Ganz im Gegenteil, ich wollte nur das Beste für dich. Und dafür war es wichtig, dass du ein wenig mehr Selbstvertrauen bekommst. Und solange du dachtest, dass jemand auf dich stand, klappte das auch ganz gut. Du solltest mir dankbar sein."

"Dankbar?", ich lachte auf, "dankbar wofür?"

"Ich habe dir geholfen. Du warst glücklich."

"Ja, das war ich. Und jetzt entwickele ich vermutlich Vertrauensprobleme oder so eine scheiße, weil ich mir nie mehr sicher sein kann, ob mich jemand mag oder ob du da deine Finger im Spiel hast. Sag mir, wann habe ich dich do sehr verletzt, dass du mir das angetan hast? Erst küsst du Noah und jetzt stellt sich heraus, dass du die ganze Zeit die Absenderin war!"

For EverWhere stories live. Discover now