16 - Von dem Konftlikt und des Rätsels Lösung

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Nachdem wir uns alle wieder ein wenig beruhigt hatten, erklärte uns Mrs Rosewood den Plan für die heutige Stunde.

"Wir haben nun schon drei Doppelstunden damit verbracht, uns an das Theater Spielen heran zu tasten.
Bis Ende Juni haben wir noch exakt 16 Wochen Zeit. Nach meiner Berechnung sollte das mehr als genug sein, um mit dem Stück anzufangen."

Lächelnd blickten uns Jayda und ich an. Endlich!

"Das Lernen kommt mit der Zeit. Je länger ihr spielt, desto besser werdet ihr", gab sie uns noch eine Weisheit mit auf den Weg.

"Nun, dann schlagt bitte die erste Seite des Skripts auf."

Statt auf der ersten Seite zu bleiben, blätterte ich unauffällig durch das Skript und überflog die Handlung. Mein Name erschien das erste Mal auf Seite fünfzehn. Immerhin, dann hatte ich ja noch ein wenig Zeit.

Seite dreißig, Seite 46, Seite 50 - oh nein. Meine Augen weiteten sich vor Schreck, als ich das Wort "küsst" neben meinem Namen sah. Schnell klappte ich die Seite wieder zu und blieb stattdessen beim Anfang. Vielleicht würde sich der Inhalt ja noch verändern, wenn ich ihn verdrängen würde.

-

Der erste Spieltag war erstaunlicherweise echt gut. Mrs. Rosewood teilte uns in Spielgruppen ein, die je nach Erscheinung der Personen entstanden. Ich war zusammen mit Cera - sie spielte Lady Harrington, meine verwitwete Tante - und Leuten, von denen ich nicht mal den Namen kannte, in Gruppe 2.
Zusammen spielten wir einige Einführungsszenen, die uns an die Schauspielerei herantasten sollten. Ich hatte zugegebenermaßen wirklich viel Spaß daran, aber bei dem Gedanken, dass ich das May zu verdanken hatte, drehte sich mein Magen um.

"Was ist denn da los?", fragte Jayda mich und nickte in Richtung einer großen Menschenmasse, die sich einige Meter vor uns um etwas versammelt hatten. Verwirrt und etwas zögerlich liefen wir direkt in die Gruppe herein, um einen Blick in den Kreis zu erhaschen. Ein Junge von gewaltiger Länge stand vor mir, sodass es mir nicht möglich war, etwas zu sehen. Ungeduldig drängelte ich mich an ihm vorbei und endlich konnte ich sehen, was hier Sache war.

Lauren Owen und Campbell Miller, seit dem Drama mit der Misshandlung seines Bruder Fion kaum mehr zusammen gesehen, standen in der Mitte des Kreises.
Campbell schmiss ihr wuchtige Beleidigungen an den Kopf, aber Lauren stand einfach nur da. Mit hasserfüllten, vor Wut schwarz gewordenen Augen, starrte sie ihm direkt in die Seele und ließ die Dinge über sich ergehen, als hätte sie längst aufgegeben.
Aber da war noch etwas, das ich nicht richtig deuten konnte. Ich wollte eine kranke Pädophile auf keinen Fall in Schutz nehmen, aber auf irgendeine Art und Weise erweckte ihr hilfsbedürftiger Anblick Mitleid in mir.

Schnell schüttelte ich den Gedanken beiseite und verfolgte stattdessen den hitzigen Streit.

"Was denkst du dir dabei? Ich will nie wieder auch nur ein Sterbenswörtchen mit dir reden!", spuckte Campbell die Wörter förmlich in ihr Gesicht.

"Du-", setzte Lauren an, aber wurde direkt übertönt.
"Du hast meine Familie zerstört!", schrie er. In seinen Worten lag die Grausamkeit der Hölle.

"Wir kennen beide die Wahrheit. Du kannst es noch gerade rücken", schoss Lauren zurück. Campbell trat bedrohlich einen Schritt näher an sie heran.
"Die Wahrheit? Die Wahrheit, dass du meinen Bruder misshandelt hast? Ja, wir kennen beide die Wahrheit. Und alle anderen auch."

Lauren setzte zu einer Antwort an, aber schloss ihren Mund wieder. Dann wanderten ihre Augen langsam von oben bis unten über ihn herab und fanden schließlich seine Augen wieder.

"Du bist abartig", sagte sie, ohne eine Emotion zu zeigen. Ihr Gesicht hatte sich verhärtet und blieb seinem Blick stand, während die elektrisierende Spannung im Raum zum Greifen nah war. Niemand wagte es, auch nur einen Ton von sich zu geben, denn alle warteten gespannt auf Campbells Reaktion.

Dieser schüttelte nur langsam verächtlich den Kopf und flüsterte: ,,Ich bin nicht der, den sie fürchten und verabscheuen. Du bist es."

Ich sah, wie Laurens Brustkorb vor Anspannung zitterte und sie ihre Hände zu Fäusten ballte. Doch dann, ganz plötzlich, ließ sie locker, schob die Menge auseinander und verschwand auf dem Gang. Zurück blieb unser versammelte Jahrgang, der ihr überrascht hinterher blickte und mittendrin Jeyda, Cera und ich.

Campbells Miene hellte sich ganz und gar nicht auf. Bebend drückte er sich unsanft an den Schülern vorbei, die ängstlich zur Seite sprangen.

"Ich wünschte nur, ich hätte einen winzigen Hauch dieses Dramas in meinem Leben", seufzte Jayda.
"Ich kann mir kaum vorstellen, dass du willst, dass dein Bruder von deiner Ex misshandelt wurde", murmelte Cera, woraufhin Jayda nur beschämt zu Boden blickte, da sie jetzt erst die Wirkung ihrer Worte erkannte.

"Ich gehe noch eben auf Toilette", meinte ich zu den Beiden und lief zwischen der Schülermasse, die langsam den Kreis aufgelöst hatten, durch.

Als ich ins Badezimmer eintrat, sah ich direkt auf Laurens Hinterkopf, die am Waschenbecken stand und verweint in den Spiegel starrte. Schnell wischte sie ihre  Tränen weg und öffnete den Wasserhahn, um ihre Hände zu waschen.

"Was willst du, Fox?", fragte sie leise.

Besonnen schüttelte nur langsam den Kopf und lief anstelle sie anzusprechen in eine der Toilettenkabinen, knallte die Tür hinter mir zu und lehnte meinen Kopf an die Wand.

Ich glaubte nicht, dass ich irgendwelche übermenschlichen Fähigkeiten hatte, aber ich kannte Lauren lange genug und genauso lange hatte ich Psychologie in der Schule, um zu wissen, dass das nicht alles sein konnte.

Warum sollte sie den Bruder ihres Exs missbrauchen?
Das ergab überhaupt keinen Sinn. Ich wusste nicht, was in Ihrem Kopf vor sich ging, aber irgendwie war sie nicht der Typ dafür. Etwa gegen der neunten Klasse hatten wir uns sogar ziemlich gut verstanden, bis sie mit Campbell zusammen kam, denn von dort an änderten sich ihre Charakterzüge schlagartig.

Ohne meinen Gedanken zu Ende zu denken und die Toilette benutzt zu haben, stürmte ich aus der Kabine heraus und erwischte gerade noch so Lauren, die gerade die Tür öffnen wollte. Ich zog sie am Arm zurück, woraufhin sie zusammen zuckte. Schnell ließ ich sie wieder los und sah verwirrt von meiner Hand zu ihrem Arm und dann zu ihren Augen.

Ihre hellen, braunen Kulleraugen strahlten keineswegs die Wärme und Geborgenheit aus, die sie einmal beinhalten. Vielmehr wirkten sie verloren, als hätte man ihnen vor langer Zeit den Glanz genommen.

"Lauren, du...", fing ich nach den richtigen Worten ringend an, aber sie unterbrach mich.

"Gib's auf, Fox. Der Zug ist abgefahren."

Mit diesen Worten wendete sich wieder von mir ab, aber ich knallte die Tür zu, damit sie endlich aus ihrer hoffnungslosen Lage befreit werden konnte.

"Was hat er dir angetan?", flüsterte ich mit Fassungslosigkeit in meiner Stimme, da mir langsam die Gegebenheiten klar wurden.

"Du meinst, dass er allen rumerzählt, dass ich seinem Bruder was angetan habe? Das solltest du ja wissen."

"Was hat er dir angetan?", wiederholte ich meine Frage, dieses Mal ein bisschen bestimmter.

Laurens Blick aber blieb fest und ihr Mund versiegelt.

"Er hat dich vergewaltigt und du hast dich jemanden anvertraut. Das hat er dich büßen lassen."

Schockiert durchdrang ich Lauren mit meinem fassungslosen Blick und sie schien immer mehr Schwierigkeiten damit zu haben, ihre Fassade aufrechtzuerhalten, bis sie schließlich ganz in sich zusammen brach und Lauren in Tränen ausbrach.

"Es waren 23 Mal. 23 Mal habe ich nein gesagt", flüsterte sie wimmernd.

Mein Herz setzte für einen Moment aus. Ich konnte nicht anders, als sie in meinen Arm zu nehmen und ihren kalten Körper an meinen zu drücken.

Das war mehr, als ein einziger Mensch mutterseelenallein ertragen kann.

"Du- du darfst das niemandem erzählen, bitte versprich es mir, versprich es mir!", flehte sie mich pausenlos an.

Ich würde es niemals jemandem erzählen. Aber ich würde für Gerechtigkeit sorgen, das wusste ich.

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⏰ Last updated: Sep 27, 2021 ⏰

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