10 - Von dem verbitterten Gefühl von Verrat und dem Rauschen des Meeres

55 10 12
                                    

Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was hier vor sich ging, stürmte ich aus der Küche und drang an den Schülern vorbei, ohne auch nur ansatzweise Rücksicht zu nehmen.

Meine Sicht verschwamm immer mehr hinter einem Schleier aus Tränen, die nur bunte Flecken und unscharfe Körper in meinen Augen zuließen. Jayda sprach noch mit ihrem Exfreund, sah ich aus meinem Augenwinkel.

Ich nahm meinen Mantel und Schal von der Gardrobe und stürmte aus der Haustür, obwohl es draußen mittlerweile noch kälter geworden war.

Ein eiskalter Windhauch umhüllte meinen Körper wie der Mantel, der mich wärmen sollte. Wie konnte sie nur? Wie konnte sich mir das antun, wenn sie genau wusste, wie lange ich schon in Noah verliebt war?

Die Tränen strömten über mein Gesicht und auch mein Schluchzen konnte ich nicht mehr aufhalten, während ich einfach die Straße entlang ging.
Sie hatte ihn geküsst!

Ein paar einsame Schneeflocken verfingen sich in meinen Haaren, meinen Wimpern und auf meinen Wangen und hinterließen dieselbe Kälte wie die salzigen Tränen, die sich einen Weg über mein Gesicht bahnten.

Es erklangen Schritte hinter mir, die mich nur schneller werden ließen. Ich wollte jetzt weder mit May, noch mit irgendwem anderen reden. Meine Kehle schnürte sich zu, obwohl ich doch die ganze Wut und Enttäuschung am liebsten herausschreien wollte.
Aber wie konnte ich, wenn ich gerade die wichtigste Person meines Lebens verloren hatte?

Rechts von mir sah ich einen kleinen Pfad, der direkt zum Strand führte. Ich folgte ihm und bemerkte wenig später das Rauschen der sanften Wellen, sowie den salzigen Geruch des Meers.

Früher hatte ich das Meer geliebt. Wir waren oft dort gewesen, Mom, Dad, Jill und ich, aber mit der Zeit wurden unsere gemeinsamen Urlaub weniger. Die Zeit änderte so viel. Ich hatte mich geändert. May hatte sich geändert. Aber ich hätte nicht gedacht, wie fern wir uns mittlerweile waren.

Wie sollten May und ich uns je wieder verstehen können? Es würde nicht mehr so sein wie früher, das war mir klar.

"Ever." Ich drehte mich um.

"Was machst du denn hier?"

Ich drehte mich wieder weg und starrte stattdessen auf das Meer. Josh trat links neben mich.

"Was ist los? Ich habe zufällig gesehen, dass du weggelaufen bist und wollte nach dir sehen", erklärte er ruhig.

"Was machst du wirklich hier?", fragte ich ihn und schaute ihm fest in die Augen.

Er seufzte: "Mrs. Rosewood meinte, dass wir uns kennenlernen sollten."

Ich wendete mich enttäuscht ab und sah zu, wie sich das Wasser zu einem Berg anbahnte und sich schließlich überschlugen.

"Und ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Herz gebrochen zu bekommen", fügte er hinzu.

Bei diesen Worten spürte ich einen Stich in meinem Brustkorb und blinzelte meine Tränen nervös weg. Ich wollte mich nicht schwach fühlen, schon gar nicht, wenn jemand diese Schwäche sehen könnte.

"Ich hätte allerdings gedacht, deine Freundin weiß, dass du auf Noah stehst."

Verwirrt sah ich ihn von der Seite an. "Woher weißt du...?"

Er sah zu Boden: "Die Art, wie du in ansiehst. Das hätte jeder bemerken können."

Ich schüttelte den Kopf. Was waren Blicke schon wert?

Wir schwiegen eine Weile, bis die Worte meinen Mund verließen. Jetzt war sowieso alles egal, ich brauchte doch nur jemanden, dem ich alles erzählen konnte.  Ich konnte mich nicht einmal dagegen wehren, auch wenn ich es versucht hätte.

For EverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt