Mavie - Die Reiter der Königin

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Man wusste nie, was manbei einem Überfall zu erwarten hatte. Manche verliefen ein wenig friedlicher.Manche endeten in einem riesigen Chaos und in Zerstörung. Aber man konnte sichdarauf verlassen, dass sie alle grauenhaft waren. 


Mavie hatte an diesem Morgen keine Zeit, nachzudenken über das, was gestern geschehen war.

Als sie sich zur frühen Stunde aus ihrem Lager wälzte, kam sofort ein Schatten auf sie zugeschossen. Die alte Öllampe schaukelte an ihrer Schnur hin und her. Sie konnte sich gerade noch den Umhang über die Schultern werfen, bevor der Rabe darauf landete. Sie war gestern zu müde gewesen, um zu bemerken, dass er sie verlassen hatte, als sie sich hingelegt hatte.

Mit einer kurzen Handbewegung griff sie in die Blätter hinein. Fast war sie ein wenig erleichtert, als sie das glatte Holz der Armbrust spürte. Sie war noch da. Niemand hatte sie bemerkt.

Während sie sich den Krug schnappte und die knarzende Tür der Hütte hinter sich schloss, bedachte sie den Vogel mit einem wütenden Blick.

"Willst du mir nicht wenigstens sagen, was du von mir willst?"

Doch der Rabe blickte aus seinen gelben Augen geheimnisvoll zurück. Als wolle er ihr sagen: "Das wirst du schon noch sehen."

Sie machte sich auf den Weg zum Brunnen. Ihr Plan war aufgegangen. Der einzige Mensch, der im kühlen Nebel des Morgengrauens zu sehen war, war ein alter Holzfäller, der vor seiner Hütte seine Axt schliff. Mavie wusste, dass er keine besonders guten Augen hatte. Er würde weder sie noch den Raben bemerken, wenn sie Glück hatte. Lange würde die Ruhe allerdings nicht mehr anhalten.

Als Mavie mit dem gefüllten Krug zurückkehrte, öffneten sich tatsächlich schon die ersten  Hüttentüren. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie sich plötzlich wieder schlossen, wenn sie vorbeikam. Hin und weder entdeckte sie in den Fenstern ein Gesicht, dass nach draußen blickte. Der große Bauer zog mit mürrischer Miene seine Leinenvorhänge zu, als er sie entdeckte. Mavies Gesicht brannte. Mit gesenktem Kopf ging sie weiter, so schnell es ging, ohne das Wasser zu verschütten.

Plötzlich kam eine Gestalt aus dem Wald geschossen. Sie kam direkt auf sie zugerannt. Es war Unz. Er schien ziemlich außer Atem zu sein. Besorgt blieb Mavie stehen.

„Die Reiter kommen!"Unz war blass im ganzen Gesicht. Laut keuchend hastete er auf die Hütten zu. „Sie kommen!", brüllte er.

Das Dorf, das eben noch verschlafen, fast wie ausgestorben gewirkt hatte, wachte mit einem Schlag auf. Aus allen Richtungen ertönten laute Rufe. "Sie kommen! Sie kommen!" Es gab keine Hütte, in der nicht jemand herumgerannt wäre. Geheime Vorräte wurden versteckt, die Kinder geweckt, die Türen verschlossen und die Fensterläden verriegelt, als würden sie nicht wenig später gewaltsam wieder aufgerissen werden, so schnell, als stellten sie nicht das geringste Hinderniss dar.

Mavie glitt ihr Krug aus den Händen. Der Ton zerschellte am Boden in tausende Scherben. Der Rabe auf ihrer Schulter krähte laut und flatterte mit den Flügeln.Doch sie beachtete ihn nicht. Ohne eine Sekunde zu warten, sprintete sie zur Hütte zurück.

"Kenja, wach auf! Grab dich ein, schnell! Warna, versteck die Knollen! Job, du die Äxte!"

Es gab nur einen Ort in der kleinen Hütte, in der sie etwas verstecken konnten: Das Loch unter Jobs Lager. Sie hatten es im Frühling notdürftig ausgehoben und mit Brettern zugedeckt. Mavie und Tanjo schaufelten Kenja mit Blättern zu, bis nur noch sein kleiner Finger aus dem Lager herausragte. Sie vergruben ihn nicht, weil es wahrscheinlich wäre, dass die Reiter gerade ihn mitnähmen. Sondern weil sie alle um ihn am meisten Angst hatten.

Die Legende der Nachtigall 1 - Der Ruf des RabenWhere stories live. Discover now