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Dieser Taemin marschiert direkt die Straße entlang. Immer tiefer scheinen wir in dieses Gebiet einzudringen und langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Über all liegen und sitzen junge und ältere Menschen, die einen mit einer Bier- oder Wodkaflasche in der Hand, sichtlich betrunken und die anderen scheinen auf einem Trip zu sein. Schützend lege ich meine Hand auf meinen Bauch, das ist kein Ort für mein Baby und mich. Hier soll wirklich Tae sein...?

Ich hätte mir niemals auch nur im Traum vorstellen können, dass so ein Ort in der Hauptstadt Südkoreas existiert.

Unwohl hole ich den minimalen Abstand zwischen Taehyungs Freund und mir auf. Keine Ahnung wieso, aber momentan vertraue ich ihm am besten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich nur reinlegt. Aber meine Naivität ist ja nichts Neues.

Taemin findet meine Ängste ziemlich amüsant, denn er schmunzelt hin und wieder oder schenkt mir einen belustigen Blick. Beleidigt ignoriere ich das. Dieser Typ scheint sich hier wirklich gut auszukennen, denn er biegt immer wieder in die unterschiedlichsten Richtungen ab, bis wir an einem verlassenen Bahnhof ankommen.

Keine Menschenseele ist zu sehen. Dieser Ort ist tatsächlich verlassen und noch immer kann ich nicht glauben, dass wir uns mitten in Seoul befinden. Ich fühle mich gerade eher wie in einem schlechten Film.

"Und hier soll mein Tae sein...?", frage ich leise und wähle das "Mein" bewusst. Dieser Mann soll schon wissen, wem hier Tae eigentlich gehört. "Ich weiß es nicht, aber bin mir ziemlich sicher. Er war immer hier, wenn ihn etwas belastet und er abschalten will, weil hier eben keine Sau ist."

Ich nicke unsicher und möchte schon den nächsten Fuß nach vorn setzen, doch da werde ich von der Hand Taemins an meinem Oberarm aufgehalten. "Kleiner, egal was du jetzt siehst, bitte laufe nicht weg, sondern helfe Taehyung. Ich kenne dich nicht, aber du scheinst ihm gut zu tun, denn er war wirklich lange nicht mehr hier. Davor hat er hier sogar mehrere Nächte übernachtet, gar gewohnt."

Dann lässt er meinen Arm los und gibt mir die Möglichkeit allein nach meinem Freund zu suchen, was ich auch schnellstmöglich tue. So schnell wie möglich möchte ich ihn wieder bei mir haben, immerhin habe ich auch gute Nachrichten zu erzählen. Ich gucke auf das Ultraschallbild und streichel dabei sanft lächelnd über die Kugel.
Tae wird sich so freuen, wenn er das sehen wird.

Die Freude hält mich lange an, denn als ich die Umgebung wieder auf mich wirken lasse, verfällt es in Sekunden. Hier hat er eine Zeit gelebt? Das ist doch unzumutbar... Wo waren da seine Eltern oder Namjoon?

Eine Gestalt holt mich wieder in die Realität zurück. Erst erschrecke ich, will weitergehen, werfe aber einen genaueren Blick auf die Person.

Taehyung...

"Oh mein Gott, Tae!", verzweifelt falle ich neben ihm auf die knie und rüttel an dem regungslosen Körper. "Tae, wach auf! Ich bins, Kookie!" Dann fällt mir die leere Spritze neben seinem freien Arm auf und erkenne beim genaueren Hingucken ein Einstichsloch. Zutiefst enttäuscht gucke ich in sein schlafendes Gesicht.

Vermutlich schläft er gerade gar nicht, sondern hat das Bewusstsein durch die Droge verloren.

"Ich hatte so Angst um dich, dass dir was passiert ist, dass du dir was antust... Ich hatte gehofft, dass du wieder nur einen Joint rauchst... Wieso gleich Heroin? Das Zeug bedeutet doch nur deinen Tod! Willst du uns alleine lassen? Willst du dein Kind alleine lassen, bevor es überhaupt zur Welt gekommen ist...?"

Ich kann nicht verhindern, dass heiße Tränen meine Augen verlassen und ich schluchzend meinen Kopf auf seine Brust lege. "So ist das also." Erschrocken gucke ich zu Taemin auf, der uns bemitleidend mustert. "Der Junkie wird Vater, was eine Ironie." Wie kann er in solch einer Situation noch Witze reißen?

"Er muss ins Krankenhaus!"

"Wenn du das tust, Kleiner, wird er bei der Polizei gemeldet, kommt in eine Entzugsklinik und hat riesen Scheiße an der Schuhsohle, weil er sehr viel Mist in seinem kurzen Leben gebaut hat. Du wirst ihn so schnell nicht mehr sehen. Willst du das wirklich?" Sofort schüttel ich den Kopf und gucke wieder verzweifelt zu Tae, der von dem ganzen nichts mitbekommt.

"Kannst du mir helfen, ihn nach Hause zu tragen...?", frage ich erschöpft und reibe die Tränen von der Wange. Er seufzt, stimmt aber zu. "Aber nur, weil er mein TaeTae ist!"

𝐏𝐫𝐞𝐠𝐧𝐚𝐧𝐭 𝐟𝐫𝐨𝐦 𝐚 𝐎𝐧𝐞-𝐍𝐢𝐠𝐡𝐭-𝐒𝐭𝐚𝐧𝐝 • ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWhere stories live. Discover now