Kapitel 54

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"Hier wären wir.", dreht sich Sevde im Kreis mit ausgebreiteten Armen. "Gölyazi. Eine kleine Stadt auf einer Halbinsel, die unglaublich viel Geschichte mit sich trägt."

"Hier wurden schon ein paar Serien gedreht.", fügt Betül hinzu.

Wir laufen zu fünft über eine Brücke, die umgeben von Meer ist und erblicken direkt einen riesen großen, majestätischen Baum. Er hat einen dicken Baumstamm und eine unglaublich große Baumkrone, die uns bedeckt.

"Dieser Baum ist äußerst besonders.", zeigt Eda auf den Baum.

Es sind nicht allzu viele Menschen hier. Ein paar Bewohner der Halbinsel und ein oder zwei Touristen. 

Die Sonne hat sich dazu entschieden wieder aufzutauchen. Auch wenn es nicht warm ist, ist es angenehm. Daher haben sich meine Cousinen dazu entschieden Aykan und mich hierhin zu bringen.

Am Morgen waren Aykan und ich bereits an meinem Familiengrab und ich wusste nicht genau was ich empfinden sollte.

Ich hatte das Bedürfnis dazu zu weinen, aber wiederum auch nicht. Ich habe hauptsächlich ein paar Tränen verloren, aber so gemein das auch klingen mag, verspürte ich nichts.

Wie sollte ich etwas verspüren, wenn ich keine Bindung zu diesen Menschen hatte? Ich erinnere mich nicht an sie und so leid es mir tut, sie sind mir fremd.

Es war ein absolut eigenartiges Gefühl vor ihren Gräbern zu stehen, vor allem wenn die Erde des einen Grabes noch nicht getrocknet war. 

Noch eigenartiger war es mein eigenes, mit Asya Kartal beschriftetes Grab, zu sehen. 

"Dieser Baum wird auch als 'der weinende Baum' bezeichnet.", holt mich Sevde wieder aus meinen Gedanken heraus. "Denn dieser Baum weint blutige Tränen."

"Blutige Tränen?", wiederholt Aykan verwirrt.

"Blutige Tränen. Dahinter steckt eine tragische Liebesgeschichte, aber die erklärt euch lieber Betül. Sie kann das alles besser zusammenfassen.", wendet sich Sevde an Betül, die direkt anfängt zu erzählen.

"Diese Geschichte ist 700 Jahre alt, so auch der Baum.

Vor 700 Jahren lebten die Türken und Griechen gemeinsam hier. Unter ihnen verliebten sich eine Griechin namens Eleni und ein Türke namens Mehmet wie verrückt ineinander.

Dieser Baum war ihr Treffpunkt.

Nach dem Unabhängigkeitskrieg jedoch, verfeindeten sich die beiden Länder und die Griechen reisten von der Insel ab.

Als Mehmet davon Wind bekam, dass seine Geliebte abreiste, machte er sich auf den Weg zu ihr, jedoch kreuzte ihr älterer Bruder seinen Weg und sagte ihm, dass sie jemand anderen lieben würde. Er hörte nicht auf ihn. Dort kam ein Messer ins Spiel, mit dem der Bruder Elenis Mehmet erstach.

Der verletzte Mehmet ging zu dem Baum und legte sich daraufhin in die Mulde.

Eleni erfuhr durch eine Freundin was geschehen war und lief zum Baum, wo sie ihren verbluteten Geliebten entdeckte. Sie nahm ihn in die Arme und schaute ihn das aller letzte Mal an und sagte:

"Mach dir keine Sorgen, Liebes, wir werden uns gleich wieder vereinen und für immer die Mulde dieser Platane sein. Unsere Liebe wird ewig leben, solange dieser Platanenbaum existiert."

Daraufhin nahm sie sich ebenfalls das Leben.

Seitdem weint dieser Baum Blut.", erzählt Betül die Legende des Baumes als wäre es ihr Alltag.

Geschockt von der Geschichte, observiere ich den Baum genaustens und versuche mir das Geschehene visuell vorzustellen.

Mehmet und Eleni haben sich geliebt, sollten voneinander getrennt werden, aber fanden im Endeffekt wieder zueinander. Wortwörtlich durch Leben und Tod.

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