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„Guten Morgen, Schwesterherz", weckt mich eine zu gut gelaunte Thea, „Aufstehen, es ist so gutes Wetter draußen! Das willst du nicht verpassen."

„Lass mich weiterschlafen", murre ich unmotiviert und ziehe mir meine dünne Decke über den Kopf um Theas guter Laune zu entfliehen.

„Du Morgenmuffel", lacht sie nur und reißt mir in einem Schwung die komplette Decke vom Körper. Ernsthaft jetzt?

„Thea", meine ich angepisst, „Lass mich. Ich hatte gestern einen harten Tag."

„Und genau deswegen fahren wir beide jetzt an den Strand - natürlich mit deinem Auto!"

Seufzend schwinge ich meine Beine über die Bettkante. Meine jüngere Schwester bekomme ich sowieso nicht mehr los, dann kann ich jetzt auch aufstehen. Ich streiche mit meiner rechten Hand meine Haare glatt und greife dann zu einem der Haargummis auf meinem Nachttisch, um sie zusammenzubinden.

„Gut, dann mach dich fertig. Ich warte in der Küche." Und damit verlässt der blonde Wirbelwind mein Zimmer und lässt mich alleine zurück.

Nachdem ich mich einige Sekunden gesammelt habe, stehe ich auf und laufe zu meinem Schrank, um die Tasche für den Strand zu packen. Danach schnappe ich mir Klamotten und gehe in das angrenzende Badezimmer.

Kurz darauf komme ich fertig angezogen und gewaschen heraus. Ich hebe die gepackte Tasche vom Boden auf und mache mich dann auf den Weg zu Thea in die Küche.

„Willst du noch was essen bevor wir losgehen?", werde ich von Thea in Empfang genommen.

„Ja. Nervennahrung", gebe ich kurz angebunden von mir und greife nach einer Banane, die in dem Obstkorb auf der Ablagefläche liegt.

„Wo sind die anderen?", frage ich Thea, nachdem ich meine Banane aufgegessen hatte.

„Schlafen noch, sind genau so große Morgenmuffel wie du", grinst diese nur.

„Aber die hast du schlafen lassen", murmele ich vor mich hin, „Von mir aus können wir los."

„Prima, dann mal los!"

Wir laufen gemeinsam nach draußen in den Hof unseres Anwesens. Dort parke ich immer meinen Sportwagen - einen schwarzen Porsche von bester deutscher Qualität.
Ich schließe meinen Wagen auf und wir packen unsere Taschen in den Kofferraum.

„Ich liebe dein Auto", schwärmt Thea, „Darf ich fahren?"

„Nein, nein und nochmals nein. Ich fahre!" Mit diesen Worten öffne ich die Fahrertür und stecke den Schlüssel ins Schloss.

„Du bist echt gemein", scherzt Thea und hüpft auf den Beifahrersitz.

„Damit kann ich leben."

Ich starte den Motor und schon setzt sich das Auto in Gang.
Thea verbindet ihr Handy mit der Musikanlage und spielt den ersten Song ihrer Playlist ab. Kaum startet das Lied, wird es auch schon auf volle Lautstärke aufgedreht und meine Schwester beginnt fröhlich mitzusingen.

Mich wundert es ein Stück weit, dass wir problemlos das große Tor passieren können, welches unser Grundstück vom Rest der Welt abtrennt. Ich habe fast damit gerechnet, dass mein Vater - oder sollte ich eher Erzeuger sagen? - versucht, mich daheim einzusperren.

Wir fahren zuerst durch das weitläufige Wohngebiet mit den riesigen Villen und danach auf den Highway in Richtung Strand.

„Die Ausfahrt müssen wir runter", teilt Thea mir mit, nachdem sie die Musik leiser gedreht hatte.

„Diese schon? Ich dachte erst die nächste?", hake ich nach, setze aber dennoch den Blinker und wechsle die Spur.

„Wir fahren heute an einen anderen Strandabschnitt. Der, wo wir immer hingehen, ist total überfüllt in letzter Zeit."

Kaum habe ich mein Auto in eine der Parklücken bugsiert, springt Thea auch schon aus dem Auto und streckt ihr Gesicht der Sonne entgegen. Ich tue es ihr gleich und kneife meine Augen bei dem grellen Licht der Sonne erstmal zusammen. Halb erblindet taste ich mit meiner linken Hand nach der Sonnenbrille, die ich immer in meinem Porsche verstaut habe. Als diese endlich auf meiner Nase sitzt, kann ich auch wieder wie ein normaler Mensch sehen.

„Da geht's zum Strand", ergreift die Blondhaarige das Wort und deutet mit ihrem Finger auf einen schmalen Weg der in den Büschen verschwindet.

Wir laden unsere Taschen aus, ich schließe meinen Wagen ab und dann folgen wir dem Weg zum Strand. Der schmale Pfad schlängelt sich durch ein kleines Wäldchen, in dem es schön schattig ist und geht dann nach und nach über in Sand, bis man schließlich an einem wunderschönen Strandabschnitt steht. Es sind vereinzelt Menschen dort, aber höchstens zehn, mehr nicht.

„Guck mal, da hinten ist noch etwas Schatten", sagt Thea und zeigt auf eine Stelle, die dank einer großen Buche schön schattig gelegen ist. Bei Bedarf kann man wenige Meter nach vorne und läge dann in der Sonne.

„Ja, die Stelle sieht gut aus", stimme ich meiner Schwester zu und folge ihr dann.

Wir breiten unsere Handtücher aus und ziehen unsere Klamotten aus, sodass wir nur noch unsere Bikinis tragen.

„Danke, dass du mich gezwungen hast mitzukommen, Thea", bedanke ich mich, als wir in Richtung Wasser laufen, bei meiner Schwester. Denn seit wir das Haus verlassen hatten, habe ich kein einziges Mal mehr über die Heirat und das ganze Drama nachgedacht.

„Wofür hat man Familie?"

Wir waten in das kühle Nass und müssen schon nach wenigen Metern schwimmen. Das Meer ist heute ruhig, nur wenige Wellen schaffen es bis an den Strand. Zum Schwimmen sehr angenehm.

„Ich weiß, ich wollte dich eigentlich ablenken, aber hast du eine Entscheidung getroffen? Bleibst du oder gehst du?"

Schweigend schaue ich hinaus in die endlose Weite des Ozeans.
Bleiben oder gehen? Diese Frage hatte ich mir den kompletten gestrigen Abend und fast die ganze Nacht gestellt.
Es ist zu verlockend, einfach zu gehen. Alle Probleme hinter mir zu lassen und meinen Vater nie wieder zu sehen. Aber das würde auch ein Leben auf der Flucht bedeuten. Und meine Schwestern? Würde ich wahrscheinlich auch nicht mehr so einfach treffen können.
Andererseits würde bleiben bedeuten, dass ich einen Mann heiraten muss, den mein Vater und mein Bruder für mich ausgesucht haben. Ein Leben im goldenen Käfig. Und wer weiß, ob ich dann meine Schwestern noch sehen kann?

Im Prinzip deutet alles auf Flucht hin, aber meine Angst vor den Folgen ist zu groß. Es gibt Männer, die ihre Frauen wegen weniger umgebracht haben.

„Ich weiß es nicht", antworte ich meiner Schwester endlich, „Ist eine schwierige Entscheidung."

„Das alles hast du nicht verdient, Lillian", seufzt Thea, „Vielleicht sollten wir erst einmal herausfinden mit wem Dad dich verheiraten will? Und dann entscheidest du dich. Wir haben ja noch zwei Wochen Zeit."

„Klingt nach einem Plan."

Forced Love | ✓Where stories live. Discover now