𝟕

614 45 6
                                    

Die Keramik-Tasse zerschellte am Boden, die Scherben flogen laut über diesen, bis sie verteilt liegen blieben.
 
Sein Vater hatte die Hand noch immer in derselben Position, die er gehabt hatte, bevor sein Tee hinuntergefallen war, er starrte seinen Sohn vor sich an, wusste nicht, was er sagen sollte.
 
Misaki hielt sich schockiert die Hand vor den Mund, als ihr die Kinnlade runterklappte, das wenige Personal, das soeben im Raum gewesen war, blickte ebenfalls geschockt zu ihm.
 
Es dauerte, bis der König sprechen konnte. „W-Wiederhol das", befahl er, ohne sich zu bewegen.
 
Kiyoomi sah zu Boden, hielt die Hände hinter seinem Rücken, überlegte, ob das hier die richtige Entscheidung gewesen war. „Ich will Atsumu als meinen Omega", wiederholte er etwas leise.
 
Nibori trat näher zu ihm, bis sie bloß ein halber Meter trennte. Nervös sah Kiyoomi zu ihm auf, dann spürte er auch schon die Ohrfeige.
 
„Wage es ja nicht, so etwas noch einmal zu sagen!", schrie er.
 
Sein Sohn hielt sich die brennende Wange, während er ihm tief in die Augen sah.
 
„Dieser Junge ist ein jämmerliches Dorfkind, der Sohn einer Dienstmagd. Du hast siebzig, SIEBZIG, Mädchen und Jungs zur Verfügung, du suchst dir gefälligst jemanden aus, der für dich geeignet ist!", brüllte er ihm ins Ohr. „Und wenn ich-"
„Aber Atsumu und ich gehören zusammen!", schrie er zurück, worauf er die nächste Ohrfeige einfing.
„Ich habe gesagt, ich will das nicht mehr hören! Und du unterbrichst mich nicht, verstanden?!" Klatsch.
 
Kurz blieb es still.
 
Kiyoomi wusste, dass er keine Chance hatte, doch er wusste auch, dass sich sein Körper und Herz ganz klar für den älteren Zwilling entschieden hatte, und dass sein Vater nicht einsehen konnte, dass es keinen Unterschied machte, ob ein Omega adelig war oder vom Land kam, machte ihn fürchterlich wütend.
 
„Du verstehst doch nichts davon. Du musstest heiraten, und deswegen müssen wir das anscheinend auch!", schrie er wieder.
„Ich habe geheiratet, weil es das beste für unsere Familie war! Wenn ich keinen Nachwuchs bekommen hätte, wäre unsere Familie zu Grunde gegangen!"
„Und dein geliebtes Geld weg, nicht wahr?!" Klatsch.
„Du kennst den Jungen nicht mal richtig! Und wenn du nicht damit aufhörst, bin ich gezwungen, ihn mitsamt seiner Mutter und seinem Bruder wieder rauszuwerfen!"
 
Kiyoomi schluckte, sah zur Seite, während seine Augen glasig wurden. „Das ist unfair..."
 
„Heul dich bei deinem Bruder aus, wenn er mein Nachfolger wird. Vielleicht hört der dir zu, aber mich interessiert es nicht. Ich habe schon geahnt, dass du dir über deine Zukunft nicht wirklich Gedanken gemacht hast, deswegen habe ich mir durchgesehen, wer von allen am Besten für dich wäre."
 
Die Augen des jungen Alphas weiteten sich, er sah wieder zu seinem Vater, der nun wütend die Arme vor der Brust verschränkte, ihn eindringlich musterte, als wolle er in seinen Kopf sehen, um herauszufinden, was mit ihm schiefgelaufen war.
 
„A-Aber-"
„Sie wird ab übermorgen des Öfteren vorbeikommen, damit ihr euch kennenlernen könnt. Die Hochzeit wäre in zwei Wochen, da solltet ihr es dann auch tun. Das ist zwei Tage vor der Thronübergabe."
 
Eine Träne bahnte sich ihren Weg aus seinem Auge. „Du machst das absichtlich, damit ich gematet bin, wenn Junichiro König wird, oder?"
Sein Vater grinste breit, nickte. „Dein Bruder wäre viel zu sanft mit dir. Aber jetzt bin ich hier der, auf den du gefälligst zu hören hast, und ich verbiete dir, dich mit Atsumu zu maten!"
 
Die Tränen flossen aus seinen Augen, er sah wieder zur Seite. Wenn er sich mit diesem Mädchen verbinden müsste, würde das auf ewig sein. Das hieße, selbst danach, selbst wenn Junichiro es ihm erlauben würde, hätte er keine Möglichkeit, sich von ihr zu trennen und das ganze noch einmal mit Atsumu zu machen.
Verbunden hieß verbunden, und das konnte nicht rückgängig gemacht werden.
 
„Ich hasse dich", sagte Kiyoomi leise, schniefte, dann lief er aus dem Zimmer, bevor er die nächste Ohrfeige abkassieren konnte, lief in sein Zimmer, schluchzte währenddessen.
 
Dort angekommen schloss er die Tür hinter sich, warf sich auf sein Bett, vergrub den Kopf in seinem Kissen, schluchzte laut in dieses.
 
Wieso war die Welt so ungerecht?! Wieso konnte er nicht einmal das haben, was er sich wirklich wünschte?!
 
 
 
 
„E-Es tut mir Leid, ich wusste davon nichts", erklärte Cho entschuldigend.
Nibori hob eine Augenbraue, setzte einen ungläubigen Gesichtsausdruck auf. „Achja? Anscheinend muss irgendetwas zwischen den Beiden passiert sein, sonst wäre mein Sohn niemals auf diese bescheuerte Idee gekommen."
 
Cho wusste nicht, was sie sagen sollte. „I-Ich weiß, das verstehe ich. Aber Ihr müsst mir glauben, ich wusste davon nichts", erklärte sie noch einmal. „Ich kann bloß mit ihm reden und sehen, was ich tun kann."
„Das wäre hilfreich", sagte der König monoton, während er sich umwandte, die sonst leere Waschküche verließ. „Und erklär ihm gleich noch einmal die Hausregeln, damit er sie nicht wieder vergisst", fügte er verspottend hinzu.
 
 
 
Vorsichtig öffnete Cho die Tür, spähte in den Raum.
Sie sah Atsumu auf seinem Bett sitzen, wie er sein Kissen umarmte, die Wand auf der anderen Seite des Zimmers anstarrte, als würde er dort etwas sehen, was ihn die Außenwelt vergessen ließ.
Osamu war nirgends zu sehen, aber dass dieser sich des Öfteren draußen herumtrieb war eigentlich nichts Neues, deswegen hinterfragte sie es nicht.
 
„Atsumu?"
 
Sie setzte sich zu ihm ans Bett, doch sein Blick war immer noch auf diese Wand gerichtet.
 
„Können wir reden?"
 
Er schüttelte den Kopf – seine erste Bewegung, worauf die nächste folgte, als er den Kopf etwas hob, tief durchatmete, die Augen schloss.
 
„Ich würde aber gerne mit dir über etwas reden."
„Ich aber nicht."
„Atsumu, es ist wichtig."
 
Ihrem Ältesten flossen ein paar Tränen über die Wangen, die er sich sofort wegwischte, als er zu ihr sah, fragend, aber zur selben Zeit genervt, die Augenbrauen hob, und nun wusste seine Mutter dann doch nicht mehr so recht, wie sie anfangen sollte.
 
„Ich hatte gerade ein Gespräch mit Nibori."
 
Die Tränen wurden etwas mehr, denn Atsumu wusste genau, was jetzt kam. „Ich hab einen Fehler gemacht", schluchzte er.
 
Cho legte ihm beruhigend die Hände auf die Schultern, rutschte näher zu ihm. „Hey..."
„Ich weiß, dass das falsch war, aber ich-"
„Hey... bleib ruhig, ich verurteile dich nicht. Ich will bloß mit dir reden", erklärte sie, worauf ihr Sohn sie wieder ansah, das Gesicht zur Hälfte in seinem Kissen vergrub. „Kiyoomi hat gesagt, dass er will, dass du sein Omega wirst und du zugestimmt hast. Stimmt das?"
 
Atsumu presste die Lippen zusammen, nickte, vergrub das Gesicht nun vollständig im Kissen. „Ich weiß auch nicht, irgendetwas in mir ist da, das mir sagt, dass ich ihn brauche...", schluchzte er.
Cho rutschte noch weiter zu ihm, legte eine Hand um seine Schulter, mit der Anderen wischte sie ihm die Tränen aus dem Gesicht.
 
„Du fühlst dich zu ihm hingezogen? Aber ihr kennt euch doch kaum, wie-"
„Ich weiß es nicht... es... ist einfach... plötzlich da gewesen", schluchzte er weiter, dann setzte er sich auf, sah ihr ins Gesicht, hob seine rechte Hand. „Du weißt, ich kneif mich immer, wenn ich nervös werde?"
Sie nickte.
„Ich habe das bei unserem letzten Gespräch heute gemacht, und danach hatte er denselben Abdruck auf derselben Hand. Wir hatten außerdem dieselbe Melodie im Kopf, ich war von ihm abhängig, als ich in der Heat war... ich... ich weiß nicht, was mit mir passiert, ich..."
 
Er vergrub das Gesicht in den Händen, während Cho der Mund offenstand. Hatte sie gerade richtig gehört?
 
Nach einer Weile sah Atsumu wieder zu ihr, zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Was ist?"
„I-Ich... E-Egal, d-das..." Sie winkte ab, schluckte, sah zur Seite. Das, was ihr Sohn ihr da gerade beschrieb, kannte sie nur allzu gut.
 
„Nein, sag es mir", sagte er, griff nach ihren Händen, doch sie schüttelte erneut den Kopf.
„Ich sage es dir, wenn der Zeitpunkt gekommen ist."
„Was-"
„Hör zu, ich verstehe, was und wie du fühlst, aber dir muss bewusst sein, dass das, was ihr beide euch hier wünscht, unmöglich wahrzumachen ist."
 
Atsumu schluchzte wieder. „Ich weiß..."
„Ich würde dir so gerne helfen, glaub mir... Ich wollte nie, dass ihr jemanden heiraten müsst, für den ihr nur ein Mittel zum Zweck seid. Aber so gerne ich dir das mit Kiyoomi ermöglichen würde, ich... es geht nicht. Und du musst jetzt stark sein, mit deinem Leben weitermachen, auch, wenn das jetzt vielleicht unmöglich wirkt."
„Ist das dein Ernst?!", fragte er ungläubig.
„Atsumu, das musst du einsehen. Wir leben in einer Zeit, in der es darauf ankommt, was man für einen Stand hat, ob man adelig oder nicht adelig ist, und so schwer es mir fällt, dir das zu sagen, musst du akzeptieren, dass du weitermachen musst. Du darfst jetzt nicht an ihm hängen bleiben..."
 
Der Blonde verzog das Gesicht. „Wieso? Weil die Natur sich entschieden hat, uns am Land und nicht zwischen Goldbarren aufs Leben zu bringen?!"
„Ich bin mir sicher, du wirst jemanden finden, mit dem du dich genauso verstehen wirst."
 
Atsumu biss sich auf die Unterlippe, fauchte, sprang von seinem Bett auf, stürmte Richtung Tür. „Was verstehst du schon davon?!", fragte er noch, dann war er auch schon weg.
 
Cho seufzte, strich sich über die Stirn. Sie wusste, wie schwer das für ihn war, aber sie wollte doch bloß das Beste für ihn. Und wenn das hieße, dass sie ihm diese Partnerschaft ebenfalls verbieten müsste, dann würde sie auch das tun.
Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was geschah, wenn Nibori davon Wind bekam, wenn die Beiden sich weiterhin treffen würden.
 
 
 
 
Der Himmel färbte sich schon in ein angenehmes Orange, als Osamu das wohl ärmste Viertel des Dorfes entlang ging. An den Wegrändern befanden sich Dutzende Menschen, die um Geld bettelten, die zerrissene und abgeschürfte Kleidung trugen, sich vermutlich seit Ewigkeiten nicht mehr gewaschen hatten.
 
Als er in eine Gasse einbog, leerte dort eine Frau aus dem obersten Stockwerk eines Gebäudes stinkende Abfälle hinaus auf die Straße, genauso wie gefühlt jeder hier dies des Öfteren tat – sonst würde es hier nicht so riechen. 
 
Er zog sich seine Kapuze noch weiter ins Gesicht, hob den unteren Kragen des Mantels an, sodass seine Nase bedeckt wurde und er den Geruch weniger wahrnahm.
 
Was er nicht alles tat.
 
Als er endlich auf der anderen Seite ankam, sah er durch den kleinen Wald, der sich ihm zeigte, bevor er rechts abbog, vor der alten Bäckerei stehenblieb, die schon lange geschlossen war und in dessen Inneren unzählige Spinnenweben zu sehen waren, die Fenster waren verstaubt, sowie alles, was da drin noch übrig war.
 
Osamu drehte sich wieder zu der Seite, die zu dem Wald führte, steckte die Hände in die Jackentaschen, während er wartete.
 
„Du hast mich aber ganz schön lang warten lassen", sagte plötzlich jemand, weshalb er zusammenzuckte. Beinahe hätte er geschrien, doch konnte sich gerade noch so zusammenreißen.
 
Er sah den Jungen an, der kopfüber von dem Dach des Ladens hing, sich nur mit Füßen und Händen hielt, ihm frech die Zunge rausstreckte und kicherte. „Hab ich dich erschreckt?"
 
Osamu legte den Kopf schief, seufzte, weshalb sein Gegenüber noch mehr lachen musste. „Ich hab dich nur nicht gehört..."
„Das sind die Vorteile eines Betas."
„Ich weiß."
 
Eine Weile starrten sie sich so an. „Kommst du dann auch irgendwann da runter, Rin?"
 
Rintaro lachte noch einmal, ließ sich dann auf den Boden fallen, landete perfekt mit den Füßen. Er seufzte fröhlich, richtete sich die braunen Haare zurecht, schloss dabei die gelb-grauen Augen, während er unschuldig lächelte.
 
Osamu näherte sich ihm, legte die Hände um seine Hüfte.
Rintaro sah zu ihm auf, dachte jedoch absichtlich nicht daran, den Abstand ihrer Lippen zu verringern, während er seine Hände auf den Oberarmen des Alphas ablegte.
 
„Deine Flexibilität bewundere ich immer noch...", sagte Osamu, während er mit seiner Nase gegen die des beinahe Gleichgroßen stupste.
„Und ich frage mich immer noch, woher ich die hab...", sagte er, fuhr mit dem Zeigefinger auf Osamus Wange herum, während sie sich tief in die Augen sahen.
 
Der Grauhaarige wollte ihn gerade küssen, doch Rintaro drehte seinen Kopf weg.
 
„Zurück zum Thema: Du warst lange nicht mehr hier. Ich dachte schon, du hättest jemand Besseren gefunden."
 
Osamu presste die Lippen zusammen. „Ja... tut mir Leid, mein Bruder war in seiner Heat, und ich musste ihm wieder einmal als Diener dienen."
Rintaro hob die Augenbrauen, legte seine Arme an seinen Schultern ab. „Aha..."
„Aha?"
„Aha."
„Du weißt, für mich gibt es niemand Besseren als dich", flüsterte der jüngere Zwilling, küsste ihn sanft.
 
„Nicht so schüchtern, Samu", flüsterte der Braunhaarige, worauf Osamu lächelte, seine Lippen fest auf seine drückte und ihn gegen die Wand presste.
„Glaub mir, es waren harte Tage. Ich bin alles andere als schüchtern."
„Na dann. Leg los~", hauchte er ihm zu, als ihre Küsse intensiver wurden, Rintaro seine Finger in Osamus Haaren vergrub, ihn somit näher zu sich zog.

A Million Dreams - SakuAtsuWhere stories live. Discover now